Boom Box: Wie war das eigentlich noch mal mit R’n’B?


Zehn Jahre ist es her, da Timbaland und Pharrell das Genre mit radikaler Methodik und todsicherem Gespür für Hits auf die Spitze trieben. Diese Ära der Superproduzenten hallt noch heute nach, in den Beats britischer Begabungen wie Hudson Mohawke und James Blake, aber auch im barocken Spulipop von Forest Swords und The XX.

Zehn Jahre ist es her, da Timbaland und Pharrell das Genre mit radikaler Methodik und todsicherem Gespür für Hits auf die Spitze trieben. Diese Ära der Superproduzenten hallt noch heute nach, in den Beats britischer Begabungen wie Hudson Mohawke und James Blake, aber auch im barocken Spulipop von Forest Swords und The XX. Zeitgenössischer R’n’B dagegen findet quasi nicht statt. Die Branche setzt verzweifelt auf Gimmicks wie Autotune und Europäer. Ansonsten: hat die ewige Sade das beste Soulalbum des vergangenen Jahres aufgenommen. Konkurrenz kommt einzig von The-Dream. Der schreibt hauptberuflich Welthits für Beyoncé und Rihanna, erfand sich zuletzt aber auch selbst zu einer Art Comicvariante von R. Kelly um: noch mehr Wumms unter den moderat massentauglichen Massageölmelodien, noch groteskere Kadenzen, noch abstrusere Wasserstandsmeldungen aus dem Schlafzimmertrakt. „You can’t match a love like mine / It’s like trying to rob me with a BB gun / But my lovin‘ gets in poppin‘ like the Taliban.“ Megalol, wie die Zielgruppe sagt.

Passend also, dass sich dieser Tage auch das Original zurückmeldet – und dabei einen ganz anderen Weg einschlägt. Statt Massage gibt es bei Kelly 2011 eine Message, und die heißt Liebe, nicht Schweinkram. Eine fast klerikale Keuschheit durchzieht sein zehntes Soloalbum Love Letter. Die Musik dazu klingt mal nach Erwachsenenentspannung aus den Achtzigern, mal nach Syl Johnson, mal nach genuinem R. Kelly: mit klarer Kopfstimme, Glaspiano und Arpeggien aus dem siebeneinhalbten Himmel. Immer aber klingt sie großartig. Ein brillanter Songschreiber ist R. Kelly ja stets gewesen. Auch in jenen finsteren Jahren, da er – nicht ganz zu Unrecht – als liederlicher Lustgreis abgestempelt wurde, der in seinen Bumsballaden zudem so tat, als hätte es nie irgendwelche Sextapes mit 15-jährigen Mädchen gegeben. Love Letter funktioniert also auch als Rehabilitierungsmaßnahme. Weil er sich zurückhält und seine Stimme zudem eine Eleganz und Energie ausstrahlt, wie man sie lange nicht gehört hat von dieser großen, tragischen Figur des Soul. So lässt man ihm selbst eine Coverversion von Michael Jacksons „You Are Not Alone“ durchgehen, immerhin hat er das Stück für den King Of Pop einst selbst geschrieben. Besser als Michael ist das ohnehin. Und vielleicht sogar ein bisschen Konkurrenz für die ewige Sade. Vom ewigen R. Kelly.