Bono Vox
Und wieder regnet es Feuer und Schwefel. Mit biblischer Sprachgewalt attackiert U2s Chef-Moralist einmal mehr die Heuchler und Halbherzigen dieser Welt. Anläßlich der Veröffentlichung von THE JOSHUA TREE sprach Teddy Hoersch mit ihm in Dublin ME/SOUNDS:
Welche Erwartungen knüpfst du an das neue V2-Album THE JOSHUA TREE?
BONO VOX: „Um ganz ganz ehrlich zu sein: Ich kann mir manchmal überhaupt nicht erklären, warum irgendeiner auf der Welt ein U2-Album kauft. Nun, was erwarte ich also …?? Ich glaube, es öffnet viele Türen für U2. Wir haben z.B.’in musikalischer Hinsicht aufgemacht. Wir haben zum erstenmal äußere Einflüsse auf uns wirken lassen: Gospel. Blues, Funk …“
ME/SOUNDS: U2 hatte in der Vergangenheit einen sehr eigenen, leicht identifizierbaren Sound entwickelt. War es an der Zeit, andere Akzente zu setzen?
BONO VOX: „In gewisser Hinsicht schon, denn mit dem größer werdenden Erfolg von U2 gab es auch immer mehr Kopisten. Es ist schon vorgekommen, daß Edge im Proberaum einen Gitarrenpart spielte und dann plötzlich sagte:
,Hm, nein, das kann ich nicht verwenden, das klingt zu sehr nach U2. ‚ Und wir sagten: Jloppla, Edge, hör mal, wir sind U2.‘ Aber er hatte irgendwie recht: Der typische U2-Sound wurde so etwas wie eine Zwangsjacke. Früher haben wir es uns selbst verboten, fremde Einflüsse wahrzunehmen. Nachdem dieser Zwang aufgehoben war. wurde uns klar: Edge muß nicht sein typisches Stakkato bringen, damit es nach U2 klingt. Ich muß nicht unbedingt eine weiße Flagge schwenken, damit’s nach U2 aussieht. Es geht nicht um die Instrumente, die wir spielen und die Art, wie wir sie spielen, sondern um die Menschen, die da spielen.“
ME/SOUNDS: Greifen wir mal einige Stellen heraus: Auf „In God’s Country“ spielt Edge eine ganz klare Gitarre, die fast an Duane Eddy oder die Shadows erinnert. Bei „Trip Through Your Wires“ gibt’s ein blues-ähnliches Intro und Reminiszenzen an Country & Westem …
BONO VOX:'“Ja, das sind genau die Sachen, von denen ich sprach. In den vergangenen Jahren hätten wir das meiste davon in der Schublade verschwinden lassen. Diesmal heißt die Devise: Warum nicht? Laß es uns versuchen!
Als Songschreiber habe ich mich diesmal stark mit Amerika auseinandergesetzt. Mein Versuch: Ich wollte auf bildhafte Weise über Amerika schreiben und dabei herausfinden, welche Wirkung es eigentlich auf mich hat. Dies fiel damit zusammen, daß Keith Richards mich während der .Silver And Gold‘-Sessions auf den Blues antörnte. Er spielte mir z.B. John Lee Hooker vor — und es dämmerte mir, daß ich in diese Welt nicht einmal den kleinsten Blick geworfen hatte.“
ME/SOUNDS: Du sollst es – ausgelöst durch das Treffen mit Keith Richards und Ron Wood (anläßlich der Mitarbeit an dem „SUN CITY „-Projekt — die Red.) bedauert haben, daß du keine Wurzeln, keine Geschichte hast…?
BONO VOX: „Jaja — einerseits habe ich es bedauert, andererseits ist die Geschichtslosigkeit gerade das Spezielle an U2. In dieser besagten Nacht jedoch habe ich miterlebt, wie Mick Jagger und Keith Richards diese Songs aus den Fifties sangen, C& W-Stücke, Blues… Irgendwann reichte Keith mir seine Akustische und sagte: Jetzt bist du dran, spiel uns mal ein paar von deinen Lieblingssongs vor. ‚ Aber da mußte ich passen. (Lacht} Hätte ich etwa versuchen sollen, ein Stück von Philip Glass zu summen? Oder einen U2-Song auf einer Sechssaitigen zu spielen?? Das geht einfach nicht. Wir haben einen Sound kreiiert, der dann in einen Song komprimiert wird. Aber das kann man nicht so einfach reproduzieren.
Nun — das machte mich schon irgendwie traurig. Als ich mich morgens um acht von Keith verabschiedete, nahm ich mir vor: Ich werde einen traditionellen Blues schreiben. Nach einer Stunde hatte ich .Silver and Gold‘ (nachzuhören auf dem SUN CITY-SAMPLER – die Red.) geschrieben. Drei Tage lang haben wir dann an dem Stück gearbeitet: verändert, umgeschrieben, gesungen, neu abgemischt… Dabei ist etwas Lustiges passiert. Um den Takt zu halten, habe ich mit dem Fuß gestampft. Und Keith und Ron sagten: ,He, guck mal, der macht’s schon wie der olle John Lee Hooker:
Aber das war Zufall. Ich bin nämlich der Einstellung aufgewachsen: Scheiß auf den Blues. Was willst du mit diesem Zwölf-Takt-Kram, den die Bar-Bands landauf landab in den Striplokalen spielen?! Gar nichts! Genau aus diesem Grund haben wir mit U2 auch ganz von vorne angefangen — ohne jede Rückbesinnung auf Althergebrachtes. Aber nach all den Jahren war es interessant herauszufinden, wie die Auseinandersetzung mit solchen Genres verlaufen würde.“
ME/SOWDS: THE JOSHUA TREE scheint mehr durchkonzipierte Songs als jedes andere U2-Album zu enthalten, oder?
BONO VOX: „Ja. das stimmt. Songwriting hat uns bis THE JOSHUA TREE eigentlich überhaupt nicht interessiert. Vorher war vieles, was wir machten, einfach improvisiert.
Ich habe bis dato auch nie meine Texte aufgeschrieben. Das fand ich zutiefst altmodisch. Ich machte mir bloß grobe Skizzen, sehr impressionistisch, bildhaft. Bei WAR fing ich langsam an, einige Texte niederzuschreiben, aber ich hatte immer noch diese Abneigung. Diesmal habe ich das von vorneherein gemacht.“
ME/SOUNDS: Wenn man die Texte etwas genauer anschaut, hat’s den Eindruck, als gäbe es in deinem Vokabular Schlüsselbegriffe wie ,Jire“, „blood“, „burning crosses“. Ist das ein beabsichtigter Symbolismus?
BONO VOX:“.Es gibt diesen Symbolismus, aber beabsichtigt ist er nicht. Das entstand ganz zufällig, unbewußt. Die Sache fing wohl mit meinem Interesse, meiner Liebe für die Wüste an. Das wiederum hat damit zu tun. daß ich einen Monat lang mit meiner Frau Allie in einem Lager in Äthiopien gearbeitet habe. Komischerweise löste nicht die Armut und Verzweiflung, die wir dort oft hautnah erlebten, den Kulturschock aus. sondern die Rückkehr in die sogenannte zivilisierte Welt: Dublin, London, New York. Das war der Kulturschock — uns zu sehen als das, was wir sind: fette, verwöhnte Kinder.
Und plötzlich verkehrte sich alles ins Gegenteil: Dublin ist eine Wüste. London und New York — Wüsten. Nicht materiell oder physikalisch. Hier war Wüste wegen der seelischen, geistigen und sozialen Verarmung. Die Menschen in Äthiopien hingegen haben echte und starke Gefühle, Gemeinschaftssinn, eine innere Stärke und Schönheit. Das Interesse an dem Motiv ,Wüste‘ führte zur Auseinandersetzung mit diesbezüglichen amerikanischen Landschaften — siehe auch das Cover — und den entsprechenden Stellen in der Bibel.
Das Ganze konnte man gedanklich auch anbinden an Blues und Folk. Wenn man hört, daß z.B. ein Robert Johnson singt .Blues comin‘ down like a hau, blues comin‘ down like a hail …‘ Wow — das könnte ich auch geschrieben haben! Plötzlich sah ich auch meinen eigenen Platz. Während der ersten drei Alben habe ich mich ständig gefragt. ob ich in dieser Rock ’n‘ Roll-Branche bleiben will, denn sie war schon an sich bis oben hin voller Scheiße. Es war abzusehen, bis ich auch voller Scheiße war wie all die anderen. Deswegen habe ich auch OCTOBER quasi aus Trotz gegen all diese dümmlichen Klischees geschrieben, als Reaktion gegen diese angebliche Rock ’n‘ Roll-Rebellion. die mit einer lose über die Schultern hängenden Lederjacke daherkommt. Scheiße!
Ich schrieb ,Gloria‘ nach einem Gregorianischen Gesang, mit einem lateinischen Anfang; ein Album voller Themen, die mit Rock ’n‘ Roll nicht allzuviel zu tun hatten. Na. dann guckt mal, was ihr damit anfangt, dachte ich mir. Mir war’s egal, ob die Leute das haben wollten oder nicht. Zu dieser Zeit war ich total verunsichert, ob ich mit meinem Leben nicht etwas Sinnvolleres anfangen könnte als in einer Band zu sein, die rund um die Welt reist und auftritt. Doch nach UNDER THE BLOOD RED SKY habe ich begriffen: Es ist das beste für mich. Ich habe zwar bis jetzt nicht herausgefunden, wer ich bin, aber (lacht) jetzt weiß ich doch wenigstens schon einmal, was ich mache: Ich schreibe Songs und singe sie …“
ME/SOUNDS: Als du unsicher warst über deine Zukunft als Musiker: Hattest du da berufliche Alternativen?
BONO VOX: (grinst) „Nein, aber zu dieser Zeit führte ich ein sehr extremes Leben. Ich verbrachte die meiste Zeit damit, in der Bibel zu lesen, den Koran und andere Religionen zu studieren. Ich hätte mir durchaus vorstellen können, auf der Straße als… Edge war mit mir einer Meinung: Rock ’n‘ Roll war ein eitles Geschäft. Es ekelte mich irgendwie, in dieser Branche zu sein. Stell dir vor: Man fotografiert dich. Was für ein eitler Quatsch! Eine Hälfte meiner Persönlichkeit liebte solche Prozeduren, wurde gern fotografiert, ging gern auf die Bühne — die andere Hälfte fühlte sich deswegen total schuldbeladen.
Aber diesen Zwiespalt habe ich inzwischen überwunden. Keine Schuldgefühle mehr! Das ist es, was ich tue und basta! Jeder muß herausfinden, was er und wofür er es tut. Sei es die Mutter, der Arbeiter in der Fabrik, der Lehrer in der Schule … Was immer man tut — und wenn man begriffen hat warum —, sollte man so gut tun, wie man es tun kann. Ich versuche genau das: Ich bin ein Sänger. Also! Ich habe das Gefühl, daß ich gerade erst ansiefaneen habe zu sinnen.“
ME/SOUNDS: Warum bist du überhaupt nach Äthiopien gegangen ‚.‘ BONO VOX: „Nun, zum einen wohl, weil ich in die Live Aid-Sache involviert war… (Nachdenklich) Erinnere dich, als wir WAR veröffentlichten, war hierzulande die New Romantic-Sache in vollem Gange. (Macht ein übertriebenen Kußgeräusch) Rock ’n‘ Roll war unheimlich hübsch, der ganze Cocktail-Set. WAR lief völlig gegen diese Bewegung. Wir machten diesen bis auf die Knochen nackten Sound, diese von John Lennon inspirierten, direkten Texte. ,Sunday Bloody Sunday und all das.
Damals glaubte ich auch, daß Musik soziale Veränderung initiieren kann, obwohl dies vielleicht nur der Versuch war. meine eigenen Schuldgefühle zu beruhigen. Wer weiß das schon??!!
Egal: Nichtsdestotrotz hatte ich mit Live Aid zu tun. Und hatte prompt mit den üblichen Vorurteilen zu kämpfen: ,Gähn — Rock ’n‘ Roll kann die Welt nicht verändern. Gähn!!‘ Ich hatte lange und heftige Diskussionen mit Bob Geldof diesbezüglich. Er sagte: .Popmusik ist ein kleines schwarzes Ding mit einem Loch in der Mitte. Es macht Spaß, aber es ist doch nur Popmusik …“ Viele Musiker, die ich hier gar nicht nennen sollte, vertraten und vertreten eine ähnliche Auffassung. Und Bob Geldof? Seine Idee und Realisierung von Live Aid hat dann letztendlich so viele Menschenleben gerettet. Das muß ihn nachträglich ganz schön durcheinandergebracht haben.
Nun, langer Rede kurzer Sinn, ich fühlte mich in vielerlei Hinsicht dieser Band Aid-Idee verpflichtet und wollte diese Verpflichtung auch körperlich umsetzen. Deswegen ging ich nach Äthiopien mit Allie. Unser Besuch wurde bis vor zwei Wochen geheimgehalten. Ich habe mich erst hinterher entschließen können, darüber zu reden, denn ich wollte das in keiner Weise ausgenutzt sehen.“
ME/SOUNDS: Was genau habt ihr in Äthiopien gemacht?
BONO VOX: „Ursprünglich sollten und wollten wir Kornsäcke stemmen, Hintern abputzen, u.a. Aber es stellte sich heraus, daß ich an einer anderen Stelle viel nützlicher war. Ich schrieb eine Art Lernprogramm über Ackerbau. Gesundheit und Hygiene. Zusammen mit Allie schrieb ich Einakter und Songs, die wir den Kindern und Erwachsenen im Lager vorsangen und -spielten. Die Einakter handelten z.B. von dem Nutzen einiger Pflanzen. Die kriegen von Europa Tomaten-, Karotten- und Blumenkohlsamen, wissen aber gar nicht, was das eigentlich ist. Die haben noch nie in ihrem Leben eine Möhre gesehen, geschweige denn gegessen.
Ein anderer Sketch hieß .The Labour Play‘ — er handelte von einner Geburt. Das Ganze war als Pantomime aufgezogen — und wir setzten die Lagerbewohner für die Sketche ein. Das Mädchen, das die Schwangere spielte, drückte und mimte die Wehen. Es ging in diesem Einakter darum, das Abnabeln und Stoppen von Blutungen zu verändern. Man benutzt dort Kuhmist, um die Blutungen nach der Geburt zum Stillstand zu bringen. Dadurch werden Mutter und Neugeborenes infiziert und — sterben.
Von solch einfachen Sachen handelten die Sketche und Songs. Das Letzte, was ich tun wollte, als ich nach Äthiopien fuhr, war Songs schreiben, g Sie wußten nicht, wer ich war. Sie hatten zum ¿§ Glück nie von U2 gehört. Sie kannten nicht einmal & die Beatles. Aber sie fanden zufällig heraus, daß ich ^ Gitarre spielen konnte — und so kam’s halt dazu.“ 2
ME/SOUNDS: Du hast auch an der „Conspiracy OfHope“-Tourfär Amnesly International teilgenommen. Heißt das, du glaubst immer noch, daß man mit populärer Musik politisch etwas bewirken kann?
BONO VOX: „Ja, ich bin so langweilig und altmodisch. Stell dir das vor! Ich benutze unsere Musik, um mich selbst zu wecken. Werden auch andere dadurch wach, fein! Aber ich wage nicht zu behaupten, daß U2 notwendigerweise die Zuhörer aus ihrem Schlaf weckt. Diesen Bob Dylan-artigen Eifer , Wann wacht ihr endlich auf?‘, den haben wir bei U2 nicht mehr. Wir haben auch nicht den Stein der Weisen, aber wir haben kleine Dinge mitzuteilen. Ein Beispiel: Als wir zwei Wochen lang mit der .Conspiracy Of Hope‘-Tour unterwegs waren, hat sich die Anzahl der Amnesty International-Mitglieder verdoppelt. Das sind Ergebnisse, finde ich. Das sind doppelt so viele Leute, die sich für die Menschenrechte einsetzen, das sind doppelt so viele Beiträge, das sind doppelt so viele Leute, die anderen aus dem Gefängnis helfen.“
ME/SOUNDS: Viele deiner Songs gründen auf persönliche Erfahrungen. Gibt es auchfiir die Songs von THE JOSHUA TREE solche Hintergründe?
BONO VOX: „Sicherlich. Aber ich vermeide es tunlichst, den Kontext, in dem ein Song entsteht, zu erklären. Aber man muß als englischsprachiger Musiker denjenigen ein Kompliment machen, die sich intensiv mit einer fremden Sprache beschäftigen und sich in Texte hineinlesen, die nicht in ihrer Muttersprache geschrieben sind. Darum mache ich in deinem Fall eine Ausnahme …“
ME/SOUNDS: Fangen wir mit „Bullet The Hlue Sky“ an. Es heißt dort: Jacob wrestled the angel and the angel was overcome/Plant a demon seed, you raise aflower offire/See them burning crosses, see theflames, higher and higher …“ Entstehen solche Texte aufgrund deiner Bibellektüre oder…
BONO VOX: (lacht) .“Bullet The Blue Sky handelt von meinen Erlebnissen in El Salvador und Nicaragua. Einmal hielt ich mich 40 Meilen außerhalb von San Salvador in den Bergen auf, eine Gegend, die von den Rebellen kontrolliert wurde und ständig unter Beschüß lag. Ich war in Begleitung eines Bauern, der mir die Gegend zeigte, als sie anfingen, ein Dorf zu bombardieren. Ich habe mir fast in die Hosen gemacht. Ich wollte nur weglaufen, aber wohin? Wohin läuft man, wenn überall die Kugeln und Granaten einschlagen?
Ich schaute den Bauern an: Was passiert hier? Was tun wir jetzt? Und er erklärte mir seelenruhig: ,Reg dich nicht auf, wir sind hier, das ist auf der anderen Straßenseite. Kein Grundsich aufzuregen!‘ Und angesichts seines Mutes fühlte ich mich doppelt feige, dumm, lächerlich. Diese Leute sind einfach unglaublich: Sie pflanzen ihr Saatgut in die Krater. Der Krieg pflügt ihr Land.
Ich versuchte einen Song über Angst zu schreiben — mit der Haltung eines alten Bluesmannes. Das jedoch als elektrischer, acidgeschwängerter Blues im Stile von ,Apokalypse Now“. Primitive Bilder. Bilder aus der Bibel.““
ME/SOUNDS: Ein anderer Song, „With Or Without Out“, erschien mir wie ein verqueres Liebeslied?
BONO VOX: „Wirklich, ein sehr verqueres Liebeslied. Darüber möchte ich nicht allzugerne sprechen. Es muß genügen, wenn ich sage, daß es von der Gewalt der Liebe, von der Gewalt in der Liebe handelt. Es geht nicht einmal um den Konflikt zwischen animalischer Geilheit und moralischer Verpflichtung — es geht um den Konflikt, zu einer inneren Verpflichtung Ja zu sagen und zugleich Angst zu haben vor dieser Verpflichtung. Jeder Mann wird dieses Gefühl kennen: Man kann nicht mit, aber auch nicht ohne sie leben. Eine einfache aber doch komplexe Sache. Ich finde. Liebende sind die gewalttätigsten Personen, die man sich vorstellen kann. Menschenfresser.“
ME/SOUNDS: Kannst du eigentlich immer noch mit alten Freunden einen trinken gehen?
BONO VOX: „Weißt du, in Irland legt man gegenüber dem Erfolg und den Erfolgreichen eine sehr gesunde Respektlosigkeit an den Tag. Eine Geschichte dazu: In Amerika sieht man zu dem Haus auf dem Hügel und sagt: .Eines Tages werde auch ich da oben leben.‘ In Irland hingeeen schaut man da hinauf und sagt: .Eines Tages bist du Bastard auch wieder hier unten …'“
ME/SOUNDS: Welche – rein äußerlichen -Veränderungen hat der Erfolg mit sich gebracht?
BONO VOX: „Erfolg ist ein Kuhhandel: Man kriegt viel, wenn man bereit ist, viel aufzugeben. Ich sehe meine Familie und meine Frau selten — das ist das eine. Außenstehende sehen jedoch meistens das, was man sich leisten kann. Klar, kann ich es mir leisten, nach Amerika zu fliegen oder Freunde in Deutschland zu besuchen. Aber andererseits kann ich nicht mehr unbehelligt auf die Straße gehen, ohne daß jemand kommt und nach einem Autogramm für seine Tochter fragt.“
ME/SOUNDS: Als der kürzlich verstorbene Regisseur Tarkowsky in den Westen kam, sagte er, daß die Kunst hier tot ist, weil sie kommerziellen Bedürfnissen zu genügen hat…
BONO VOX: „Es ist so schwer, sich nicht zu verkaufen. Und gerade die, die am lautesten behaupten, daß sie sich nie kaufen lassen, sind die ersten, die es geschehen lassen. Was ist aus all den Punks geworden, die gegen das Establishment standen?
Wenn kommerzieller Erfolg dein erklärtes Ziel ist. bist du in dem Moment tot, wenn du den Erfolg erreicht hast. Aber wenn du kreative und künstlerische Ziele verfolgst, dann wirst du sie — und das ist gut so — nie erreichen. Ich werde immer ein unruhiger Geist bleiben.“
ME/SOVNDS: Kannst du dir vorstellen, auch in 20 Jahren noch auf der Bühne zu stehen ?
BONO VOX: „Noch vor kurzem hätte ich gesagt: Nein. Aber nachdem ich gesehen habe, wie die Falten aus Keith Richards Gesicht verschwinden, wenn er seine Gitarre auspackt, würde ich sagen: Kann sein … Ja! Keith ist immer noch verliebt in das, was er tut. Und wenn ich das in 20 Jahren noch sagen kann, dann werde ich Songs schreiben und sie singen.“