Bonnie Raitt


Bonnie Raitt ist weder schön noch sexy. Sie behän gt sich nicht mit Glitter und Glanz und über sie gibt es keine Geschichten. Sie ist noch nicht mal hitverdächtig. Und dennoch hat sie sich zu einein der Lieblinge der amerikanischen Showszene hoch gesungen, mit einer Musik, die es schon immer gab und immer geben wird: dem Blues.

Bonnie Raitt steht auf der Bühne wie ein verschüchtertes Highschool-Mädchen, die Halbakustische in den Händen, als ob sie aus Glas wäre. Sie strahlt Ruhe aus und gleichermaßen Spannung. Doch schon mit ihren ersten Worten hat sie das Publikum im Griff, und wenn sie dann das erste Stück einzählt, stimmt die Stimmung. Sieben Platten hat Bonnie Raitt bis heute gemacht, und ein Konzert mit ihr ist wie eine Anthologie, eine Greatest Hits-Kollektion. Denn ihr erstes Album ist für sie heute noch genauso wichtig, wie ihr jüngstes, mit dem sie schließlich die Hitparaden eroberte.

Sieben Platten hat die Blues-Lady eingespielt – erst danach erreichte sie die Hitparaden

Sie hat sich in all den Jahren kaum weiterentwickelt – ihre heutige Reife hatte sie schon immer. Sie singt Blues- und Rockadaptionen von Jackson Browne, Eric Kaz, Bill Payne, J.D. Souther, Randy Newman oder James Taylor und verneigt sich dabei ehrfürchtig vor legendären Figuren wie Muddy Waters, Robert Johnson, Odetta, Etta James, Junior Wells und Sippie Wallace, der Bluesmatrone aus den zwanziger Jahren. Wenn Bonnie Raitt eigenes Material singt und dazu über die Bottleneck-Gitarre schleift, dann ist sie ganz mit ihrem Blues verwachsen. Sie ist mit dieser Musik aufgewachsen, hat sie neu entdeckt und sie der Rockgeneration der siebziger Jahre verständlich gemacht. In mosaikartiger Kleinstarbeit hat sich Bonnie Raitt eine Karriere geschaffen, deren Hergang sich wie die klassische Geschichte des verkannten Bluesgenies liest. Und jetzt, wo sie nach dem Erfolg ihrer LP „Sweet Forgiveness“ in den US-Charts im vergangenen Jahr halbwegs oben ist, sieht das Leben für sie ganz anders aus, als sie es sich vorgestellt hatte: Bonnie Raitt fühlt sich alleine, seit sie zu den Großen zählt.

Bonnie ist kein Showmensch, kann mit all dem Promotionrummel nicht viel anfangen und fühlt sich nur auf der Bühne glücklich und nicht allein. Sie ist ein Vollblutmusikant, der mit allen Wassern der amerikanischen Westküste und des Mississippi-Deltas gewaschen ist. Die Helden des Blues haben sie längst akzeptiert, obwohl sie eine weißhäutige Amerikanerin ist. Das fing schon an, als Bonnie Raitt gerade 21 war. Da nahm sie ihre erste Platte auf. Mit Junior Wells und Willie Murphy an ihrer Seite zeigte sie sich konsequent und ließ ihren Blues so klingen, daß er authentisch rüberkam. Sie wollte keinen Schönklang, sondern nur die Musik für sich sprechen lassen. Dieses erste Album von Bonnie Raitt ist mit Sicherheit eines der ganz wehigen, das in den siebziger Jahren auf einer Vierspurmaschine aufgenommen wurde.

Spätestens bei ihrem zweiten Album riß sich die Creme de la Creme um ihre Gunst. Die Liste der Musiker, die auf ihren nachfolgenden Platten mitspielten, liest sich wie ein Who s Who der amerikanischen Rockmusik. Da tauchen Namen wie Paul Butterfield, Dave Holland, Merle Saunders, Eric Kaz, Jackie Lomax und John Hall auf. Später ging sie dann eine fruchtbare Liaison mit der halben Little Feat-Mannschaft ein, die noch einen langen Schwanz an Westcoast-Prominenz hinter sich herzog. Besonders Bill Payne, Keyboard spielender Liebling aller singenden Damen, agierte nicht nur in einer musikalischen Rolle in ihrem Leben. Doch selbst dieser Katalog an Superstars brachte Bonnie nicht aus der Geheimtip-Ecke heraus. Erst „Runaway“, eine alte Rock‘ n’Roll-Nummer von Del Shannon, verschaffte ihr im letzten Jahr als Zugnummer von „Sweet Forgiveness“ die längst überfällige Popularität.

Heute liegt Amerikas Rockvolk Bonnie Raitt zu Füßen. Die ehrwürdigen Gemäuer der Carnegie-Hall in New York füllte sie genauso wie die großen Stadien der Brewers, Blackhawks oder Rambiers zwischen Pazifik und Atlantic. Bei einem mehrere Konzerte umfassenden Festival in New York im Sommer letzten Jahres war sie sogar der einzige Interpret, der im ausverkauften Central Park spielte.

Bonnie Raitt wurde am 8. November 1950 in Burbak, Kalifornien geboren. Ihr Vater John Raitt gehörte der Glitzer-Schickeria von Hollywood an und war ein gefeierter Musical-Star. So wurde Bonnie schon früh mit dem Show-Biz konfrontiert. Vielleicht ist das eine Erklärung dafür, daß sie von Show und dem damit verbundenen Rummel nichts hält. Vielleicht war es auch eine Trotzreaklion der damals 13jährigen, als sie sich mit der Gitarre zu beschäftigen begann, um die Traditionais der Bluesväter Muddy Waters, Robert Johnson und John Hammond zu singen, deren Musik aus einer völlig konträren gesellschaftlichen Schicht kam. Nach einem kurzen Studium in Cambridge verschrieb sie sich ganz der Musik und tingelte durch die Clubs der Ostküste. 1971 machte sie mit dem Medium Schallplatte Bekanntschaft, und schon 1972 trat sie zusammen mit Sippie Wallace beim Ann Arbor Blues-Festival in Michigan auf. Diese heute legendäre Begegnung zweier Generationen des Blues brachte ihr die Anerkennung bei den Vätern dieser Musik, in der der ganze Rock wurzelt. Und da der Blues schon immer Ausdruck und Botschaft einer unterprivilegierten Bevölkerungsschicht war, blieb Bonnie weiterhin Geheimtip.

Bonnie Raitt vermißt alte Freunde – der Erfolgsstreß raubt ihr die Zeit

Viel Wasser mußte den Mississippi hinunterfließen, um das womöglich einzige Mädel der Welt, das den Herren der Schöpfung zeigen kann, wie man eine Bottleneck-Gitarre spielt, aus der Anonymität zu holen. Und jetzt, wo Bonnie Raitt wie ein heller Stern am überfüllten Himmel des amerikanischen Showbusiness steht, wird sie nachdenklich. Sie vermißt ihre alten Freunde, weil ihr der Erfolgsstreß keine Zeit mehr übrigläßt. Ihr seelisches Gleichgewicht kann sie sich heute nur noch mit ihrer Musik erhalten. Ein Trost immerhin bleibt ihr: Ihr Erfolg zeigt, daß aufrichtige Emotionen, so wie sie sie mit ihrer so ungemein ausdrucksstarken Stimme an den Mann bringt, heutzutage auch beim breiten Publikum wieder gefragt sind.