Bon Jovi, Dan Reed


Fairness siegt: 40 Minuten Vor-Band gegen 100 Minuten Haupt-Act – das heißt auch bei dem kanadisch/amerikanischen Gipfeltreffen Äpfel mit Birnen zu verwechseln. Die Blitzumfrage unter den weiblichen Besuchern nach Konzertende gibt dennoch zu denken: Trotz aller Star-Vorteile bleibt der muskulöse Kanadier Dan Reed klarer Sieger nach Punkten in der Kategorie „Schönster Mann auf der Bühne“. Doch reicht das, um die Hauptgruppe abzuhängen?

Dan Reed Network, vor eineinhalb Jahren mit ihrer an die Blütezeit von Mothers Finest erinnernden Fetz-Mischung aus Rock-Riffs und harten Funk-Einlagen noch als die Zukunft des Rock ’n‘ Roll gepriesen, haben zumindest an diesem Abend ihre Zukunft schon hinter sich gelassen. Ein paar Wochen zuvor im kleinerem Rahmen der Münchner Theaterfabrik noch weit mehr als 30 Mark Eintritt wert, taugte der schwarz/weiße Kraft-Fünfer auf Bon Jovis leergeputzter Riesen-Bühne allenfalls zum Appetizer: recht lecker, schnell verzehrt und noch schneller vergessen. 40 Minuten im mittlerem Tempo kämpfen die für den Network-Sound wichtigsten Mannen an Bass und Schlagzeug die verzweifelte Schlacht gegen die Technik – kein Song ohne begleitenden Drum-Computer, alle grundlegenden Bass-Lines kommen vom Sequenzer und Melvin Brannon darf nur ab und an mit ein paar Slaps auf seinem Viersaiter den Funk-Neger spielen. Ein elektronischer Sound-Schnickschnack, auf den die nicht weniger aufwendigen Arrangements der US-Kollegen von Bon Jovi spielend verzichten können, ohne deshalb weniger Druck in die Lautsprecher zu bringen.

Und weil auch die große Bild-Leinwand den Backenknochen der Haupt-Band vorbehalten blieb, verpuffte die Ausstrahlung von Dan Reeds Luxus-Körper schon in den ersten zwanzig Reihen der Halle, so daß bei den gut 5.500 Gästen in der Olympiahalle schon bald die kanadischen Lachs-Häppchen vollständig verdaut waren und der Hunger nach Handfestem stieß.

„Hausmannskost aus New Jersev“ war auf dem Menü-Plan gestanden, doch schon wie bei den letzten Konzerten der Mannen um Sänger Jon Bongiovi im Herbst 1988 bedeutete dies weitaus delikatere Gaumenfreuden als etwa nur Saumagen ä lä Springsteen. So ausgekocht die Show von Bon Jovi mittlerweile ist. aufgewärmt schmeckt sie noch immer nicht. Jon selber verkündete zur Hälfte des Konzertes die Zahlen: München ist das 211. Konzert der nunmehr 14 Monate währenden NEW JERSEY-Welttournee. Und wo deutsche Durchschnitts-Rocker schon nach dem 24. Konzert jammern, sie wüßten nicht mehr, ob sie nun in Gelsenkirchen oder in Lüneburg sind, ist bei der amerikanischen Parade-Kapelle von Abnutzung und Ermüdung (fast) keine Spur. Allen voran Sänger Jon, im

Laute des Abends zu stimmlicher Bestform auflaufend, dem nur manchmal von dem erotischen Beckenschwung des herumturnenden Kameramanns die Show gestohlen wird. – Gut: Zum 211. Mal „Living On A Prayer“ abzunudeln, nachdem sie 20 Minuten lang die volle Energie in (weitaus bessere) Songs wie den Opener „Lay Your Hands On Me“ oder „You Give Love A Bad Name“, gepumpt hatten, ist ihnen genauso zu verzeihen, wie die inzwischen aus Rasier-Faulheit gewachsenen Vollbärte bei Gitarrist Richie Sambora und dem ungebrochen nach dem richtigen Timing suchenden Bassisten Alec John Such.

Nachdem es Bon Jovi mit dem letzten Album geschafft hatten, zwischen Pop und Metal eine tragfähige Brücke zu bauen, sind sie im Laufe der Mammut-Tour noch ein Stück näher an die Rock-Wurzeln gekommen. Selbst wenn Jon bei der Tränen-Ballade „I’ll Be There For You“ selbstverliebt den Bühnenboden küßt und anschließend auf der 30 Meter in die Halle ragenden Rund-Rampe den amerikanischen Rock-Traum mittels großer Bono-Gesten ins Volk zu bringen – mit fünf Zugaben, einem effektiv abgespeckten Sound und einer Kraft-Show ohne viel Firlefanz verabschiedet sich Bon Jovi als die derzeit beste Mainstream-Band in die verdiente LP-Pause.