Böhse Onkelz


An keiner anderen Band scheiden sich die Gei- ster mehr als an den Böhsen Onkelz. Während viele die vier Frankfurter auch Jahre nach deren Abkehr von der Faschoszene noch dem braunen Sumpf zuordnen, loben andere die Wandlung der Böhsen Onkelz hin zu den Guten Onkelz. ME/Sounds begab sich auf Wahrheitsfindung.

Vom demokratischen Lager lange als musikalisches Aushängeschild der deutschen Jungfaschisten gegeißelt, wird den Böhsen Onkelz seit einiger Zeit von vielen Seiten die Absolution erteilt. „Fakt sei, schreibt zum Beispiel die seriöse und gewiß nicht nach rechts tendierende Süddeutsche Zeitung in ihrer Ausgabe vom 8. Juni, daß sich bei den jüngeren Liedern der geläuterten Böhsen Onkelz „kein einziger Hinweis auf eine Nazi-Band“ finde, „dafür aber viele Sprüche, bei denen Faschos die Ohren klingeln“. Sind die Böhsen Onkelz demnach zu Guten Onkelz mutiert? Etliches spricht dafür. Während die vier Frankfurter in den 8oer jähren nationalistische Nettigkeiten wie ‚Türken raus‘ und ‚Deutschland den Deutschen‘ grölten, wurden sie später unter anderem bei einem antifaschistischen Festival beklatscht. „Wir haben… schlimme Fehler gemacht“, zitiert die SZ die Böhsen Onkelz mit Blick auf ihre braune Vergangenheit, „wir stehen aber dazu und wollen zeigen, daß es ein Irrweg war.“ Um diese Haltung zu unterstreichen, ist eine Pressemitteilung über die diesjährigen Tourneetermine der Böhsen Onkelz mit dem Logo „Einsatz gegen rechten Terror“ versehen.

Bereits am 8. Dezember 1992 berichtete die Süddeutsche Zeitung, daß die vier Hessen „unter Nazi-Skins als ‚linke Schweine‘ gelten“. Keine drei Jahre aber Hunderttausende von verkauften Platten später sind die Böhsen Onkelz bei der renommierten Firma Virgin (Peter Gabriel, Simple Minds, Rolling Stones) unter Vertrag. Unter anderem deswegen, wie Virgin-Geschäftsführer Udo Lange versichert, weil „der Band zu Unrecht der Vorwurf der Rechtsradikalität anhaftet“ und „die Onkelz letztendlich eine klasse Rockband sind“. Der Fachhandel und ein großer Teil der Plattenkäufer dagegen betrachtet die Böhsen Onkelz zumindest mit Skepsis — „keine Band wie jede andere“, heißt es in diesem Zusammenhang immer wieder.

Wie also sind die Onkelz einzuschätzen? ME/Sounds versuchte, in einem ausführlichen Gespräch mit Bassist und Texter Stephan Weidner (32) Antworten auf diese Frage zu finden. Bedauerlicherweise blieben etliche Aussagen Weidners ausgesprochen nebulös. Um eindeutige Statements bemüht, hakte die Redaktion nach, wurde jedoch mit der Auskunft beschieden, Weidner werde weitere Fragen nicht beantworten. Immerhin räumt der Onkelz-Autor mit Blick auf die Vergangenheit Fehler ein, aber: „Der Zusammenhang zwischen dem Rechtsruck 1992 und den Böhsen Onkelz war für mich immer schwer nachvollziehbar. Es ist klar, daß man damals Schuldige gesucht hat — und da waren wir natürlich ein gefundenes Fressen.“ Daß die Böhsen Onkelz „keine Engelchen“ waren, gibt ihr Texter zu: „Wir kennen das Leben auf der Straße in allen Formen. Und sollte es mal gar nicht anders gehen, muß man sich halt mal eins aufs Maul hauen lassen oder dem anderen eins aufs Maul hauen.“ Daß es in Deutschland sehr häufig Ausländer sind, die „eins aufs Maul“ bekommen und daß die Schläger oft jenem braunen Sumpf entstammen, dem in den 80er Jahren auch die Böhsen Onkelz zugeordnet wurden, ist Weidner bewußt. Empfindet er die Fascho-Phase seiner Band heute als Jugendsünde? „Man darf nicht alles auf das Alter schieben und die Sache damit verharmlosen. Ich versuche gerade zu analysieren, wie weit damals meine Ausländerfeindlichkeit wirklich ging und woher sie kam. Trotzdem — Fakt ist, daß keiner von uns jemals in einer rechten Partei Mitglied war und wir diese Parteien niemals unterstützt haben. Wir haben niemals Embleme solcher Parteien getragen und haben auch niemals mit Hakenkreuzen kokettiert.“ Muß man auch gar nicht, wenn man einst einen Song wie ‚Türken raus‘ im Repertoire hatte. Auch wenn Liedgut dieser Art längst zur entfernten Vergangenheit der Band-Geschichte gehört, gibt es nach wie vor eingefleischte Onkelz-Fans wie Daniela aus Hamburg. Sie ist Anfang 20, lebt mit einem militanten rechten Skinhead zusammen, haßt Ausländer und freute sich schon im Vorfeld auf die neue Platte der Onkelz. „Viele Bands haben ein breit gestreutes Publikum“, sagt Weidner dazu. „Solche Leute (wie Daniela, Red.) sind bei uns in der absoluten Minderzahl. Manchmal bekommen wir Fanpost von ihnen. Denen schreiben wir immer zurück und versuchen — vor allem bei sehr jungen Leuten — herauszufinden, was dahintersteckt. Wir fragen sie, was sie sich dabei denken, ob sie überhaupt wissen, was sie da sagen, ob sie sich damit nur profilieren wollen, oder ob wirklich eine Ideologie dahintersteckt. Und wir machen ihnen auch immer unseren Standpunkt klar.“ Nur, welcher Standpunkt das genau ist, geht weder aus Weidners Interview-Aussagen noch aus seinen Songtexten eindeutig hervor. Immerhin betont er, daß „Leute, die sich (bei Onkelz-Konzerten, Red.) eindeutig in die rechte Richtung outen, sei es durch T-Shirts oder den Hitlergruß, sofort rausfliegen“.

Überhaupt, meint Weidner, „hat doch jeder extreme Nazi kapiert, daß wir ihm keinen Boden bieten. Klar, daß die uns jetzt als

‚linke Verräter‘ titulieren. Aber damit fühle ich mich wesentlich wohler, als wenn ich von denen Akzeptanz verspüren würde.“ Daß alles, was nicht explizit rechtsradikal ist, automatisch als links zu gelten hat, ist Teil der totalitären Nazi-Doktrin. ‚Linke Verräter‘ sind die Böhsen Onkelz deshalb noch lange nicht. Trotzdem fühlen die Frankfurter sich in der Rolle des Opfers. So meidet das Quartett im Rahmen der diesjährigen Tournee die neuen Bundesländer, „um nicht vor einem Haufen Rechtsradikaler spielen zu müssen“. Vor einem Publikum, das sie nicht haben wollen, möchten die Onkelz auch nicht auftreten. Die Ursachen für den immer noch vorhandenen Zulauf von radikalen Rechten jedoch haben Weidner und die Seinen inzwischen weitgehend verdrängt. Zwar hält Weidner den Song ‚Türken raus‘ „aus meiner heutigen Sicht für puren Schwachsinn — schon damals, wenn man genau hingehört hätte, hätte man den Text gar nicht ernst nehmen können“. Aber: „Der Song ist 1982 entstanden. Damals waren wir noch Punks und keine Skins. In Frankfurt hatten wir uns ständig mit ausländischen Jugendgangs Schlägereien geliefert. Der Text hat nichts mit Nationalsozialismus zu tun. Es war eher eine ReRektion auf das, was uns konkret passiert ist.“

Konkret passiert sind auch erhebliche Abverkäufe von Onkelz-Platten auf dem Rock-O-Rama-Label, das seinerzeit die Aufnahmen vieler Fascho-Bands veröffentlichte. „Als wir (bei Rock-O-Rama, Red.) unterschrieben haben, war das eigentlich ein reiner Punk-Vertrieb. Richtig schlimm geworden ist das eigentlich erst nach unserer Zeit“, meint Weidner, der im Zusammenhang mit den umstrittenen Rock-O-Rama-Veröffentlichungen darauf hinweist, daß „wir seit zehn Jahren kein Geld aus den Verkaufserlösen mehr bekommen haben. Das kann man anhand unserer GE-MA-Abrechnungen nachprüfen. Wir versuchen jetzt, auf juristischem Weg die Rechte an dem alten Material zu bekommen, um die Platten endgültig vom Markt zu nehmen“.

In welchen Stückzahlen alte Onkelz-Platten heute gehandelt werden, wissen die vier vom Main nicht. Aber: „Wir hören nur von unseren Fans öfter, zu welchen horrenden Preisen diese Bootlegs verkauft werden. Bootleggen ist in Ordnung, das zeigt dir, daß du berühmt bist. Aber es sind auch Bootlegs mit eindeutig faschistischer Covergestaltung dabei — braune Farbe mit Reichsadler und altdeutscher Schrift. Gegen die gehen wir so gut es geht juristisch vor“, berichtet Weidner.

Der Onkelz-Autor, für den es „keine Rolle spielt, in welches Land ich reingeboren wurde“ und der als Vegetarier „nicht mal besonderen Spaß an der deutschen Küche“ hat, denkt heute schon mal über seine „Vorbildfunktion für jugendliche“ nach: „Früher hast du jeden zweiten Tag gekotzt, weil du dich wieder vollgesoffen hast. Das war ein zentrales Thema deines Lebens, und deshalb hast du auch darüber gesungen. Inzwischen sind einige Dinge dazugekommen, die vielleicht wichtiger sind als das Saufen.“ Welche „Dinge“ Weidner konkret meint, läßt sich an den meisten seiner neuen Songtexte allerdings nur schwer ablesen (siehe Plattenbesprechung). Latent scheint nur ein tiefer Haß gegen die Gesellschaft — wobei nie klar wird, wer damit überhaupt gemeint ist und wer wem etwas antut — und ein daraus resultierender Bedarf an „Helden“ und „Legenden“.

Zu beidem, so scheint’s, fühlen sich die Böhsen Onkelz berufen. Denn „das Leben stinkt, es stinkt gewaltig.“ Weswegen Weidner („Wichtig ist, daß ich weiß, was ich mit meinen Texten meine.“) denn auch keine besonders hohe Meinung von unseren Politikern hat: „Ich kann mich mit keiner Partei so identifizieren, daß ich sie wählen könnte. Ein absoluter Wahlboykott“, wagt Weidner sich vor, „das wäre doch schon was. Den Politikern zu zeigen, daß man mit ihren ewigen Konzessionsentscheidungen nicht mehr zufrieden ist. Zu zeigen, daß unsere angebliche Demokratie gar keine ist. Daß wir in Wahrheit von ganz anderen Leuten regiert werden als von einem Herrn Kohl.“ Wer diese Leute sein sollen, sagt der Textdichter Stephan Weidner nicht. Statt dessen sinniert der Onkelz-Autor über seinen Einfluß auf die Fans: „Wenn ich den bewußt einsetze und ihnen nicht irgendwelche Parolen an den Schädel schmeiße, ist das doch in Ordnung. Wenn ich versuche, ihre Fantasie anzuregen, sie zum Denken zu bewegen und ihnen nicht vorgebe, in welche Richtung sie denken sollen. Es ist doch ein Unterschied, ob ich mit diesem Einfluß ein Volk in den Krieg treibe, oder ob ich versuche, sie (die Fans, Red.) in eine freier denkende Gesellschaft zu weisen.“ Ähnlich diffus und die eigene Bedeutung maßlos überschätzend fällt auch der größte Teil von Weidners neuen Songtexten aus. Wobei man diese Tatsache schon fast als Trost empfinden darf. Denn immerhin nehmen sich Stephan Weidners wirre Worte neben den gewaltverherrlichenden Texten einiger US-Rapper beinahe schon besinnlich aus.