Bodenbeben


Ehrenbürger in der Affenstadt: Modeselektor stellen ihre Definition von zeitgemäßer Tanzmusik zusammen.

Gernot Bronsert und Sebastian Szary mögen mit allen vier Beinen fest auf dem Boden stehen. Dieser aber bebt gewaltig. In nicht mehr als zwei Sommern haben sie Techno zurück auf die große Bühne gebracht. Ganz ohne den Erlösergestus der alten Stadionrave-Garde um Underworld und Orbital. Dafür mit Witz, Verstand und guten Freunden wie Apparat und der Pfadfinderei. Sie haben ein Label namens Monkeytown gegründet und darauf die Karriere des Berliner Schlitzohrs Siriusmo lanciert. Sie haben die Ehrenbürgerschaft in Glasgow und Ferropolis erworben, Fettes Brot für die Jetztzeit frisiert und auch sonst ein paar tolle Platten gemacht, die keiner braucht, aber alle wollen. Parallel basteln Bronsert und Szary als DJs Wochenende für Wochenende an einer Welt, widde-widde-wie sie längst nicht mehr nur ihnen gefällt. In dieser Welt treffen sich zwei parallel verlaufende Straßen nicht in der Unendlichkeit, sondern im Hier und Jetzt. Mitten in der Affenstadt, wo sich Techno und Dubstep so dieses und jenes sagen, aber ganz bestimmt nicht Gute Nacht.

Ihre Definition von zeitgemäßer Tanzmusik haben Modeselektor nun auf einer Compilation ausbuchstabiert. Die 18 exklusiven Stücke auf Modeselektion Vol.01 kommen von engen Vertrauten wie Apparat und Siriusmo, aber auch von Gleichgesinnten aus Den Haag und Bukarest. Sie kommen von Shed und SBTRKT, vom Boss des Londoner Night-Slugs-Kollektivs Bok Bok und dem ehemaligen Wighnomy-Bruder Robag Wruhme. Sie klingen mal nach Garage oder Footwork, mal nach Dubtechno oder UK Funky, manchmal sogar nach dem Testosteronelectro der Röhrenjeansfraktion. In ihrer Gesamtheit aber erklären sie erstaunlich prägnant, wie es kommen konnte, dass junge Menschen in Ostlondon plötzlich Chicago House und die Platten von Ostgut Ton im Radio hören wollen, während sich der Easyjetset im Berghain zu den Bassmutationen von Mala und Ramadanman locker macht. Denn Jacks House mag über die Jahre viele Kinderzimmer bekommen haben. Für besonders gute Gäste aber gibt es noch immer einen Generalschlüssel. In Croydon, Friedrichshain, der Affenstadt, und überall sonst.

Albumkritik S. 102

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