Blur
Beim Duell um die Krone des Britpop blieben Blur hinter Oasis die ewigen Zweiten. Doch während die Gebrüder Gallagher heute in erster Linie durch Sprüche auf sich aufmerksam machen, legen Dämon Albarn und Band mit „"13" eine meisterliche Platte vor.
ES PASSIEREN ZUWEILEN SELTSAME Dinge im Leben. Das trifft sogar zu, wenn eine bekannte Band nichts anderes macht als ihren Job: Musik. In diesem Fall sogar: neue Musik. Blur heißt die Band, um die sich’s dreht. Sie feiert 1999 ihr 10jähriges Jubiläum und hat justament ihr sechstes Studioalbum veröffentlicht. Schlicht „13“ heißt die Schallplatte, und darauf sollen sich die Musiker wieder einmal neu erfunden haben. Klingt also wieder mal alles anders bei den Briten? Ähnliches war Blur auch schon im Vorfeld ihres letzten Albums attestiert worden. Sänger Danion Albarn schien das gefallen zu haben, und sein definitiver Satz zu Blur lautete: „Wir haben den Britpop umgebracht“. Das war schön griffig. Bei „13“ ist die Lage – jetzt mal ganz abgesehen vom dem „alles anders“ – ungleich schwieriger. Was kommt nach „umbringen“? Bestatten? Einäschern? Weder noch: Erstmal kam das britische Wochenblatt „New Musical Express“. Der „NME“ hatte Ende November letzten Jahres eine „Quelle“ aufgetan, war ob seines Informanten aufgeregt wie ein Rudel Gewürzgurken und spekulierte über die erste Single von „13“. „Tender Is The Night“ solle sie heißen, munkelte seinerzeit die „Quelle“, und eine musikalische Einordnung wurde gleich mitgeliefert: Der Song klänge wie eine Mischung aus John Lennons „Give Peace A Chance“ und „You Can’t AJways Get What You Want“ von den Stones. Zwei Monate später legte das andere der britischen Musikwochenblätter nach, der „Melody Maker“, diesmal gleich mit einem Statement zum kompletten Album – und das auch von einem, der mittendrin statt nur dabei war: Blut-Gitarrist Graham Coxon. „Mit diesem Album haben wir Gott gefunden“, dozierte er, „es ist ein Album der höheren Kraft, Mann. Klar, daß bei so viel Wirbel um die neue Platte auch die deutsche Abteilung der Blur’schen Plattenfirma mittun mußte. Wobei erleichternd hinzukam, daß die erste Single aus „13“ nun doch nicht „Tender IsThe Night“, sondern kurz und knapp „Tender“ heißt. Damit war der Weg frei, bei der Bemusterung der Single mal richtig Gas zu geben – mit einer süßen Sättigungsbeilage. „Milka Tender“, Geschmacksrichtung „Vollmich“. Haben wir gelacht. Aber für die Werbemaßnahmen ihrer Plattenfirma können Blur ja nichts; sind wir nicht ungerecht und hören lieber, wie „Tender“ wirklich klingt. Llngewöhnlich. Keinesfalls nach Blur. Auf alle Fälle: ungewohnt. Womit wir zurück sind bei „klingt wieder mal alles anders“. Denn „Tender“ ist ein Lied, das nicht Rock ist. Es ist nicht Pop. Es ist beseelt. Weil Dämon Albarn singt, was er noch nie gesungen hat: „Tender is the night… tender is the touch… of someone that you love to much… tender is my heart, for screwing up my mind, Lord I need to find someone who can heal my mind“. Es gospelt also auf der neuen Single von Blur – und das nicht etwa einfach so. Mit Dämon singt ein 40köpfiger Gospelchor, genauer: The London Community Gospel Choir. Mit viel Soul, viel Tambourin und vielen Handclaps. Hinknien, andächtig lauschen, mitklatschen? Vielleicht. Auf jeden Fall aber noch mal einen Blick aufs Album-Cover werfen. Richtig, die Platte zur Single heißt ja „13“. Und – ha es sind exakt 13 Songs drauf. Gehören Dämon und seine Belegschaft ab sofort zu den Erleuchteten? Und ist 23, die Zahl der Illuminaten, nicht 13 plus 10 Jahre Blur? Es besteht Klärungsbedarf, zweifellos. Über Blur gestern, Blur heute, möglicherweise sogar über Blur von morgen.
Blur gestern, das war vor allem der leidige Krieg mit Oasis. Wobei natürlich schon die Vokabel „Krieg“ deplaziert ist wie nur was. Krieg war am Golf, Krieg ist im Kosovo. Bei dem, was zwischen Oasis und Blur abging, handelte es sich lediglich um ein gigantisches Medienspektakel. Grandios inszeniert von den jeweiligen Protagonisten und schön abwechselnd immer wieder mit Inhalt gefüllt, aber mit zunehmender Dauer doch eher langweilig und enervierend. Oasis hatten eindeutig mehr four-letter-words in ihrem Grundwortschatz, und sie waren auch härter, wenn es darum ging, den Kollegen einen mitzugeben. 1995 etwa, als irgendjemand auf die großartige Idee gekommen war, Dämon Albarn und Noel Gallagher gemeinsam als „songwriter of the year“ auszuzeichnen. Noels geschmacklose Reaktion: Er fände es in Ordnung, wenn Dämon an AIDS sterben würde. Wenn Blur sich hingegen Oasis annahmen, war das in der Regel nicht besser – aber eindeutig besser formuliert. „Wir bringen keine hirnlose Musik raus, um allen eine Freude zu machen, die über nichts in ihrem Leben nachdenken wollen. Oasis sollten auch mehr über ihre Songs nachdenken, aber dann würden viele Fans sie nicht mehr verstehen“. Soweit Graham Coxon, Gitarrist und ein Freund klarer Aussagen. Klar war übrigens auch, wo die britische Rock- und Pop-Presse in dieser Auseinandersetzung stand: immer auf der Seite von Oasis. Warum? Weil Oasis einen alten Männertyp wieder auf topmodem trimmten: den Lad. Der Lad säuft, furzt, rüpelt, rauft und bewegt sich phonmäßig eher im oberen Bereich. Und den Lauten machen, das konnten und können insbesondere Liam und Noel Gallagher ganz hervorragend. Außerdem hatten es die beiden seinerzeit ganz dolle mit Frauen, vorzugsweise Blondinen. Und Liam hatte sogar Patsy Kensit. Die hat er immer noch, heute bisweilen in einer schlagenden Verbindung. Die Gallaghers sind demzufolge nicht unbedingt Sympathieträger. Und so was kommt immer noch bestens an in der Presse. Über richtige Männer kann man eben richtig viel schreiben. Hauptsache Schlagzeile.
Nicht, daß Blur nicht soffen und Drogen naschten – ganz im Gegenteil. Insbesondere Graham Coxon war ein Freund von Getränken mit hoher Drehzahl, und auch der Rest der Blur-Belegschaft war immer präsent, wenn es galt, einen sicherzustellen. Aber irgendwie konnten Blur diese Facette in ihrem Leben als Popstars nicht so medienwirksam vermarkten wie Oasis. Lind dann gab’s ja auch noch die Biographien der Musiker, die der Presse eine Positionierung zweifellos erleichterten. Hier die Kinder aus der soliden Mittelschicht Londoner Vororte, Reihenhäuschen mit roten Klinkern und Vorgarten: Blur. Und dort die schmuddeligen Arbeiterkindern aus Manchester, chronisch Dreck unter den Fingernägeln und es immer nicht ganz leicht gehabt: Oasis. Als Erwachsene durften die Gebrüder Gallagher sogar noch zugeben, daß sie als lugendliche PKWs aufgebrochen hatten. Heute Suppentopf-Frisuren, früher Autoradioklauer. So was schafft zusätzliche Credibility.
Und so was macht sogar manchmal echte Siegertypen. Und das, obwohl es zunächst gar nicht danach aussah. Im August 1995 kulminierte das Spektakel um Blur und Oasis in der zeitgleichen Veröffentlichung neuer Singles. Blur hatten ihr „Countryhouse“ extra zwei Wochen vorgezogen, um simultan mit Oasis‘ „Roll With Me“ am Start zu sein. Und Blur gewannen: „Countryhouse“ ging von null auf eins, für „Roll With Me“ blieb der zweite Platz. Der Erfolg war allerdings nur von kurzer Dauer. Denn obwohl auch „The Great Escape“, die LP zur Single, im September 1995 zunächst die Chans toppte – gegen das einen Monat später veröffentlichte Oasis-Album „(What’s The Story) Morning Glory?“ hatten Blur keine Chance. Oasis schafften eine Nummer 1 in Great Britain, räumten bei der „96er Ausgabe der Brit Awards groß ab – beste Gruppe, bestes Video (für „Wonderwall“), bestes Album – und hatten im Gegensatz zu Blur auch in den Staaten Erfolg. In den USA erreichte „(What’s The Story) Morning Glory“ Platz vier der Hitparade. Und dann schließlich: 1997. Blur sind im Rennen um die Verkaufszahlen längst eindeutig zweiter Sieger und veröffentlichen im Februar mit „Blur“ ihre neue Platte.
Ein schlicht nach der Band benanntes Album als Nummer 5 im Gesamtwerk? Ein Neuanfang? Ia! Und ein Album mit einer Vorab-Single, deren Titel unglaublich clever gewählt war: „Beetlebum“. Ein Song, der ganz ähnlich klang wie er hieß und zugleich ein Abgesang war auf alles, was Blur bis dato gemacht hatten. Siehe: „Wir haben Britpop umgebracht“. Der Rest auf „Blur“ war ungewohnt und ziemlich gegen den Strich gebürstet: Erstmals Gesang von Graham Coxon, viel Folk- und amerikanische Lo-Fi-Einftüsse, viel weniger Kinks, dafür mehr Country. Und vor allem: wüste Gitarrenorgien. Viel Krach im Song, besonders im „Song 2“ – ein Lied, mit dem Blur amerikanischer klangen als jemals zuvor. Aber: Nachdem mit „Beetlebum“ die erste Auskopplung abgefrühstückt war, machte ein großartiger Satz die Runde: „Ich hör‘ die (nächste) Single nicht“. Von wegen. Das Stück „Song 2“ wurde die weltweit erfolgreichste Blur-Single. „Blur“ war also alles andere als kommerzieller Selbstmord. Lind „the-artists-formerly-known-as-Oasis-Konkurrenten“, die Vertreter von Cool Britannia und Brit-Pop, die waren damit endgültig passe. Die Geschichte mit dem „Song 2“ ist auch heute, zwei Jahre nach dem Album „Blur“, immer noch nicht durch. Im Gegenteil. Und sie ist nach wie vor wichtig. Immens wichtig sogar. Das findet jedenfalls Dämon Albarn, wie er da so sitzt und spricht.
„Ich glaube nicht, daß ‚Song 2‘ unser Image verändert hat, er hat uns überhaupt erst ein vages Image gegeben. Eins, das zu uns paßt und eins, das völlig daneben ist“. Das klingt beim ersten Floren ein wenig kryptisch, ist aber in etwa vom gleichen Kaliber wie die Einordnung, die Damon seinerzeit der Band ob des kompletten „Blur“-Albums verpaßte. Damals sprach der Sänger vom „British Slacker“ und war hinterher kreuzunglücklich mit diesem Slogan.
Was sicherlich auch nicht unwesentlich daran lag, daß er dafür vom Kollegen Coxon ordentlich abgebürstet wurde. „Das war so ein typischer Fall, bei dem Damon erst was sagt und später drüber nachdenkt. Dieser Ausdruck hat mich echt beleidigt. Slacker sind schreckliche Typen. Ich glaube, Damon wußte gar nicht, worüber er da geredet hat“. Dämon ruckelt ein wenig auf dem Stuhl hin und her, rechts und links von seiner Pinocchio-Nase grinst es, und dann geht die Story mit dem „Song 2“ noch weiter. „Das Lied wird demnächst in einer Folge der ‚Simpsons‘ vorkommen. Es wird laufen, wenn die ganze Familie komplett zur Superbowl marschiert“. Damons Grinsen erreicht nun noch breitere Dimensionen. „Ich habe immer schon davon geträumt, bei den Simpsons dabei zu sein“. Keine Frage: Der Mann ist zufrieden. Und was den „Song 2“ angeht, erzählt er auch gem. Richtiggehend ins Plaudern gerät er da. In bezug auf das neue Album ist das anders – da muß Damon erstmal warm werden. Beinahe jedes Wort muß man ihm aus der Nase ziehen, und noch nicht einmal zu einer Veränderung, die man auf dem Cover von „13“ nachlesen kann, mag er sich so recht äußern. Blur haben nämlich nach fünf Platten, auf denen sie mit Stephen Street zusammengearbeitet haben, erstmals den Produzenten gewechselt. Der Mann am Mischpult war diesmal William Orbit. Ja, genau der. Eben jener William Orbit, der es vor Jahresfrist geschafft hat, den gepflegten Mainstream-Pop Madonnas mit entschärften Techno-Beats und ambientartigen Soundschleifen zu verheiraten. Warum William Orbit? Ein Bruch mit der Vergangenheit oder zumindest ein Schnitt im Schaffen von Blur? „Wir haben phantastische Sachen mit Stephen gemacht, und wir haben immer noch großen Respekt vor ihm. Aber wir waren an dem Punkt angelangt, an dem wir unsere eigene Arbeitsweise in Frage stellten. Die Sache mit William Orbit war eine ganz neue Erfahrung. Alles, was wir ihm am Anfang gesagt haben, war „mach‘ das Beste aus dem, was wir dir geben“. Ein Procedere, das man sich en detail so vorstellen darf: Blur haben sich im Studio zwei Wochen lang den Wolf gespielt, Orbit hat einfach alles mitgeschnitten, und am Ende hatte er jede Menge Demos und halbfertige Songs. „Sein lob war es, Demos und Songs – ganz einfach zwei Dinge – zu einem großen Ganzen zusammenzubauen. Es war tatsächlich so, als ob wir jemandem ein komplettes Equipment gegeben haben, damit der irgendwas daraus macht“. Mit dem „irgendwas“ ist Damon Albarn hochzufrieden. Mit der Single „Tender“ sowieso, weil er die Idee mit dem Gospel-Chor hatte. Vor allem aber deshalb, weil es auf „13“ etliche Songs gibt, die aus den bisher bei Blur dominierenden Songstrukturen ausbrechen. „Bei den meisten Liedern gibt es nicht mehr das Ding Strophe-Refrain-Strophe-Refrain. Vor allem im Mittelteil sind einige Lieder, die einfach irgendwo anfangen, sich einfach irgendwohin bewegen und einfach irgendwo aufhören. Das ist ganz klar Williams Verdienst. Das ist großartig. Und es ist so einfach zu machen, wenn du einmal gehört hast, wies geht“.
DER BLUR-SÄNGER IST ENTHUSIASMIERT. ABER BLEIBT ZUGLEICH auch realistisch. „Es war nicht einfach für uns, aus der alten Strophe-Refrain-Strophe-Nummer auszubrechen. Und natürlich kann uns auch William nicht plötzlich in eine amerikanische Lo-Fi-Band verwandeln. Aber jedenfalls ist unsere Musik nicht mehr so britisch – that’s fine“. Und dann kommt ein Satz, der eindeutig klar macht, daß Dämon das warm-up beendet hat. „Eigentlich ist das mit dem neuen Produzenten so: We used to walk on the Street, and now we’re in Orbit‘. Wow. Das ist mal schön auf den Punkt gebracht. Das ist Pop. Und das ist auf alle Fälle der Damon, den man am liebsten knuddeln möchte. Weil Damon jetzt drin ist im Interview, und zwar so richtig. „Wußtest du übrigens, daß die Blur-Oasis-Fehde endgültig vorbei ist? Wenn ich jetzt zufällig Liam Gallagher treffen würde, ich würde glatt mit ihm einen trinken gehen. Ich habe Liam schon immer gemocht“. Ein kurzer Blick an die Zimmerdecke, flugs die Augen des Gegenüber gestreift – und Damon weiß, wie’s weitergehen soll. „Das Album heißt ’13‘, weil wir 13 Gigs in 13 Ländern spielen werden. Über den Zeitraum von 13 Wochen. Haha. Nein, im Ernst: Es heißt einfach ’13‘, weil das Studio, in dem wir es aufgenommen haben, die Nummer 13 hatte. Naja, jedenfalls haben wir große Teile dort aufgenommen – und ein bißchen was auch in Island.“ Island. Schönes Stichwort. In Island ist Dämon Albarn auch, wenn er gerade mal keine Platte aufnimmt. In Island hat der Musiker seit ein paar Jahren ein Haus, und nach Island zieht er sich zurück, wenn er mal Pause machen will vom Popstar-Sein. Dämon Albarn empfindet Island als friedlich, für ihn sind dort die Dinge in der richtigen Balance. Ist Island mit seiner bizarren Landschaft nicht ein seltsamer Platz?
„Nicht für mich“, sagt Damon, „oder: nicht mehr. Ich weiß zum Beispiel, wann der Waschsalon zumacht“. Dämon Albarn interessiert sich aber nicht nur für Island und isländische Münzwäschereien. Ein besonderes Faible hat er auch für die deutsche Sprache. Stolz ist er auf seine Sprachkenntnisse, der Dämon, und wenn er die Gelegenheit hat, sie praktisch anzuwenden, macht er vor nichts und niemandem halt schon gar nicht vor einem Mitglied des Diplomatischen Dienstes. „Ich hab‘ den deutschen Kultur-Attache getroffen, letzten Dezember, auf einer Weihnachtsfeier. Ich war ziemlich betrunken und natürlich haben wir uns auf Deutsch unterhalten. Naja, ich hab’s versucht. Aber sein Englisch war entschieden besser als mein Deutsch. Ich mag die deutsche Sprache, ich weiß auch nicht, warum. Seiner Vorliebe für Deutsch schlägt sich auch auf dem elften Stück des Albums nieder. Ein Stück übrigens, das belegt, daß man aus allem und jedem einen Songtitel machen kann – sogar aus fränkischen Sportschlappen. „Trimm Trabb“ heißt der Song, was orthographisch zwar nicht ganz korrekt ist, aber immerhin: Dämon hat’s wieder versucht. Und er weiß Bescheid: „Trimm Trabb war ein Sportschuh von adidas. Aus den 70ern, und heute ist der Kult. Und ‚Trimm Trabb‘ bedeutet im Deutschen soviel wie „los geht’s, vorwärts“. Dämon kommt immer mehr in Fahrt, redet sich verstärkt in Rage und fragt: „Na, und was bedeutet nun adidas?“ – „Das ist eine Verschmelzung aus Vor- und Nachnamen des Firmengründers, Adi Dassler“ – „Ach was“, sagt Dämon, „ich dachte, es bedeutet ‚all day I dreamed about sex.‘ Und was ist nun genau mit Trimm Trabb…?“ Die Tür geht auf, und Graham Coxon kommt herein. Aber nicht einfach so. Der Blur-Gitarrist hat eine kleine Kamera in der Hand, die schwer teuer aussieht. Graham bringt den exklusiven Apparat in Position und fixiert das Gesicht des lournalisten. Der lournalist ist verwirrt, Graham ist entzückt, macht erst mal ein Foto, freut sich und setzt sich hin. „Wo waren wir?“, fragt Damon. „Habt ihr schon über die neue Platte gesprochen?“ fragt Graham, hält kurz inne und legt dann los. „Das mit ’13‘ ist nämlich so: Auf dem Album ist jede Menge dangy Keyboards-Chaos drauf, wir haben oft improvisiert, rumgejammt und einfach Spaß gehabt. Dave war entweder mit seinen Drums zugange oder hat mit William Drumcomputer programmiert. Gegen Ende des Albums gibt’s immer mehr kaputten Gitarrenkrach. Und wüste Verzerrer. Naja, vor allem in der Mitte – zum Beispiel in ‚B.L.U.R.E.M.I.‘, unserem Song über eine lange Beziehung zu einer Major Company…“. – Es sprudelt nur so aus Graham heraus, und er ist noch längst nicht fertig. „Wir schlagen folkige Kapriolen – wie bei dem Song ‚Coffee & TV“, den ich selber singe. Und dann lassen wir es fiepsen, flirren, flackern – alles zusammen, und doch wieder nichts davon. Hör dir nur den ‚Swamp Song‘ an. Und je länger das Album läuft, um so unkonventioneller wird es. Der Gesang passiert auf einer völlig anderen Schiene als die Instrumentalparts. Und sicherlich wird ’13‘ gegen Ende auch beklemmender. Und amerikanischer“. Der musikalische Direktor von Blur hat gesprochen. Zu erzählen gibt es aber trotzdem noch reichlich. Auch was die Zeit unmittelbar vor den Aufnahmen zu „13“ betrifft: „Mit Transcopic‘ hab‘ ich mein eigenes Label gegründet, und durch meine Solo-Platte bin ich einiges losgeworden, was dringend raus mußte. The Sky Is Too High‘ war für mich wie ein Frühjahrsputz im Kopf.“ Auch für die anderen Blur-Mitglieder haben Solo-, Nebenbei- und Zwischendurchprojekte mittlerweile einen hohen Stellenwert. Dämon Albarn war mit diversen Remixen beschäftigt, drehte Tracks von Massive Attack durchs Mischpult und fühlte sich besonders aufgrund einer Anfrage aus dem Land des Lächelns gebauchpinselt. Der japanische Faxenkasper Cornelius wollte einen Remix, er bekam ihn, und Dämon freut sich noch heute: „It’s nice to be asked. Irgendwann wird Cornelius dafür uns remixen – so läuft das eben“. Überhaupt ist Dämon seit ‚Blur‘ auch in anderen Zusammenhängen ein gefragter Mann. In Antonia Birds „Face“ debütierte er als Schauspieler, und für „Ravenous“, den neuen Film derselben Regisseurin, schreibt er gerade den Soundtrack – zusammen mit dem Avantgarde-Komponisten Michael Nyman. Immer was zu tun gibt es auch für Baßmann Alex lames: Wenn Blur aussetzen, ist er als Popstar mit der Combo Fat Les unterwegs. Und eine richtige Aufgabe fern der Musik hat er sowieso schon seit längerem gefunden. Zusammen mit Drummer Dave Rowntree unterstützt er seit geraumer Zeit das Projekt „Unbemannte britische Marsexpedition im Jahr 2003“. Alex James sitzt übrigens schon seit geraumer Zeit in der Runde, und jetzt spricht er auch. Und schon ist die Lobhudelei für William Orbit wieder in vollem Gange. „Ein neuer Produzent. Neue Horizonte. Ich denke, das sind für uns alle gute Gründe, morgens aufzustehen.“ Für Dämon Albam ist ’13‘ noch mehr. Vor einem halben Jahr hat er sich endgültig von seiner Langzeit-Freundin, der Elastica-Sängerin lustine Frischmann, getrennt. „Es war nicht einfach“, sagt Dämon Albarn. „Die Trennung war schmerzhaft. Schließlich habe ich mit lustine die meiste Zeit in meinen Zwanzigern verbracht, es war ein große Sache für uns beide und ein wichtiger Lebensabschnitt. Und wenn es zu Ende ist, ist es wie eine Scheidung. Insofern hat das Album eine Menge mit den letzten zwei Jahren in meinem Leben zu tun. Es ist das erste Album, das ohne den direkten Einfluß von Justine entstanden ist.“
Und zum Schluß sagt Damon, daß „das ganze Blur-Oasis-Gedöns wirklich traumatisch war. Absoluter Kinderkram. Alles was ich heute will, ist ein Musiker sein. Mein Gott, ich bin jetzt 30, und es ist überhaupt nicht schlimm. Ich mach‘ mir nicht mehr so viele Sorgen um dies und das. There is more space, when you’re 30“. Damon Albarn, 30, Sänger und Musiker. Die Kollegen aus der Band, inzwischen auch alle Thirtysomethings. Als letzter hat Graham Coxon dieses Alter erreicht. Vor kurzem erst. Und alles ist gut. Und ’13‘, die Platte zum zehnjährigen Blur-Iubiläum, die ist sogar noch besser. More space eben.