Blumfeld – Ein Lied Mehr – The Anthology Archives Vol. 1
Deutschlands beste Indie-Pap-Band in Aufläsung wagt einen Versuch der Historisierung: Eine 5-CD-Box bietet die ersten drei Alben der Band an plus zwei CDs mit raren und live entstandenen Aufnahmen.
Die Nachricht über die Trennung von Blumfeld ist gerade mal zwei Monate alt. Und kaum ein Jahr ist es her, da veröffentlichten sie Verbotene Früchte, und der Apfelmann tanzte noch fidel durch Deutschlands Konzerthallen. Doch das ist Geschichte, und die vorliegende Box, „The Anthology Archives Vol. 1“ untertitelt, mit ihrem nostalgisch punkrockigen Schwarz-Weiß-Cover riecht schwer nach Historisierung: Es ist 16 Jahre her, dass drei Hamburger, die aussahen, als würden sich ein paar Jungs aus einem Aztec-Camera-Video zum Tee treffen, zu monoton-scheppernden Gitarren so mutig wie elegant von Dingen sangen, die andere nicht auszusprechen wagten. Zu einer Zeit, in der der Begriff „Hamburger Schule“ noch nicht existierte, aber Bands wie Cpt. Kirk und Kolossale Jugend schon die Saat gesetzt hatten.
Die Box ein LIED mehr umfasst insgesamt fünf CDs: Die ersten drei Alben der Band, ich-m aschine, L’Etat Et Moi und Old Nobody, sind in Repliken der Vinyl-Sleeves neu verpackt – und auch separat erhältlich. Außerdem ein Live-Album, Live In Wien, sowie Various Recordings, eine CD mit zehn Raritäten aus dem Blumfeld-Tresor. Dazu ein neu editiertes Textbuch, das alle Songtexte enthält: „Ein Lied mehr, das dichfesthält und nicht dahin lässt, wo du hinwillst/weg von hier“. So beginnt 1991 mit dem Song „Ghettowelt“ das Debüt Ich-Maschine 5 -und der Weg von Blumfeld. Die Band vereinte hier schon vieles, für das sie bis heute steht: die Suche nach privatem Glück mit dem Ziel der politischen Selbstbestimmung; die Bereitschaft zum Resignieren, die tollsten deutschsprachigen Texte, Jochen Distelmeyers klarer, sehnsuchtsvoller Gesang, Zitate von Matthias Reim bis Adolf Hitler und die bizarren englischen Versatzstücke. Dazu Indie Rock mit monotonem Gitarren-Geschrammel, unverzerrt, aber mit Sonic-Youth-Harmonik – das hatte hier noch keiner gemacht. Und immer wieder: diese Texte! Wie das mit dem Vereinigen geht, weiß Distelmeyer auf ich-maschine noch nicht, und von Sex will er auch nicht reden. „Viel zu früh und immer wieder; Liebeslieder“ und „Zeittotschläger“ sind die zeitlosen Highlights dieses famosen Erstlingswerks, das im MUSIKEXPRESS in die Top 50 der wichtigsten Debütalben gewählt wurde.
Unter Anspielung auf das Albumcover von 50 MILLIon Elvis fans can’t be wrong erscheint 1994 L’Etat Et Moi mit Freunden und Freundinnen der Band in Glitzeranzügen auf dem Cover. Vielleicht die einflussreichste deutsche Rock-Platte der goer-Jahre mit einer Flut an Worten und den Singles „Draußen auf Kaution“ und „Verstärker“ – bis heute der größte Tanzflächenhit der Band. In „Superstarfighter“ singt der Hamburg-Posse-Chor die berühmten Worte „Und davon handeln wir!“. Das Album belegte im NME den Platz 37 der Jahrescharts und wurde vom englischen Label Big Cat wie auch dessen NachfolgerOld Nobody weltweit veröffentlicht. Die Platte mit dem Single-Hit „Tausend Tränen tief überraschte 1999 mit Pop und Beauty-Schock: Synthie-Streicher, kristallklarer Gesang und Prefab Sprout’sche Perfektion; dazu das homoerotischste Coverfoto der deutschen Indie-Geschichte. Distelmeyer schüttelt hier wie selbstverständlich das schönste Timbre Deutschlands aus dem Seidenhemdärmel und singt vom Pferd auf dem Flur. Beim Spagat zwischen politischer Aufgebrachtheit und Glückssuche in der Zweisamkeit kippen die Songs erstmals deutlich in Richtung Harmonie. Indie-Spießer beklagen den Mangel an Gitarren und Gesellschaftskritik. Dabei sind mit dem über neunminütigen „So lebe ich“, „Pro Familia“ und „Status Quo Vadis“ drei Blumfeld-Kernstücke auf dem Album enthalten, Various Recordings wurde 2004 in den O-Ton Studios aufgenommen, wo auch verbotene fruchte entstand, und enthält im Studio eingespielte Live-Versionen diverser Klassiker sowie zwei neue Stücke und drei Videos. Die Songs sind sanfter und melodischerals ihre Originalversionen; „Verstärker“ in der hier enthaltenen Version schraubt sich – wie auch live – zu Ftefab Sprouts „Electric Guitars“ hoch, fällt wieder zurück ins Feedback, um dann in Cole Porters „Evr’y Time We Say Goodbye“ zu münden. Kurios ist „Deutschland der Deutschen“, ein neuer Song, der klingt, als singe Robert Palmer auf dem Barhocker gegen Patriotismus an. Drei Videos schließen die CD ab: Distelmeyer und Helmut Berger beim Date zu „Tausend Tränen tief, Distelmeyer mit Tolle und Gitarrensaitengequietsche in „Verstärker“ und der Sänger allein vorm roten Vorhang zu Georg Kreislers Stück „Weder noch“.
Live In Wien aufgenommen im August 2006 im ORF-Funkhaus, legt den Schwerpunkt auf die Songs von VERBOTENE FRÜCHTE und JENSEITS VON JEDEM und zeigt die Band in der konzentrierten, manchmal jovialen Distanz ihrer Spätphase; immerhin erinnert „Diktatur der Angepassten“ an die überschäumenden Liveshows zu testam ent der angst. Dennoch ist es ein guter Überblick über das Schaffen dieser großen, hypnotischen Live-Band, die man bald leider nie mehr sehen können wird. „Verstärker“ schließt das Album mit waberndem Feedback ab, und Jochen Distelmeyer sagt Goodbye. Der Vorhang fällt, die Band tritt ab. Und was für eine Band dies war: „grander than castles, cathedrals and stars.“ Wir warten ungeduldig auf Teil 2.
VÖ: 16.3.
www.blumfeld.de