Blues Kitchen
Ein kleines Team in Hamburg hat mit dem Label Hypertension europaweit einen Namen etabliert, der für Homemade Bluesrock steht.
“ 54, als der Rock n Roll nach Hamborch kam, da war hier Bambule, sadi ich ihnen. Da harn‘ wir bei liill Haley die Ernst Merck I lalle kurz und klein geschlagen.“ Zole um Zote zieht der weißhaarige Taxifahrer in polarstem Norddeutsch auf dem Weg zu dem Bluesrock-Label Hypertension in Hamburg-Eppendorfvom l.eder, er will überall dabei gewesen sein. Mit Uwe Seeler hal er in der Oberliga gespielt, der Starclub war sein zweites Zuhause: „Und dann kamen die Reatles, nech. Mit denen war ich in St. Pauli unterwegs. Die hatten nur eins im Kopf: Saufen und Bum…“. Siebzehnmarkfünfzig und nichts wie raus, Flucht ins Hypertension-Büro, im Parterre einer schönen alten Villa nah am Klosterstem. Auch hier warten Paul McCartney-Geschichten – allerdings aus verlässlicherer Quelle: „McCartney hat mit Peter Kirtley eine Charity-Single für brasilianische Straßenkinder aufgenommen. Den Song vertreiben wir weltweil“, erzählt l^belinhaber Christian Thiel. 1 lypertension zählt heute zu den in Europa etablierten unabhängigen I.abels für Folk, Blues und Rock, ein Status, den das kleine Team sich hart erarbeitet hat: Angefangen haben die Geschäfts- und Ubenspartner Thiel und Irene Bodschwinna bereits während des Wirtschafts-Studiums – damals so völlig ohne Erfahrung, dass eine Llnternehmensgründung fast unmöglich schien: „Wir waren zwar Musikliebhaber, aber ohne jegliche Branchenkenntnisse“, erinnert sich Irene. „Keine Bank wollte uns Kredite geben, wir mussten das Stankapital mit BAFÖG und Nebenjobs zusammenkratzen.“ Aus einem Mailorder-Versand für irische und englische Folkmusik wurde dennoch schnell ein Label. Die ersten Künstler fanden Irene und Christian über Anzeigen in englischen Musikmagazinen: „Wir haben uns von der damals völlig unbekannten Sally Barker ein Demo schicken lassen. Das war Anfang der 90er, als Singer/SongvtTUerinnen gerade anfingen, beachtet zu werden. Eine Frau, Gitarre und Gesang – alle haben uns damals noch gesagt dass wir das vergessen können“, so Christian. Doch die beiden hatten ein feines Gespür nach anfänglich zögerlichem Erfolg wurde Sally Barker von Stereo zur „Platte des Monats“ gewählt. Für Hypertension war das der Durchbruch, bereits die dritte Produktion sorgte für ein solides finanzielles Fundament. Geleitet von fundiertem Wissen in Blues, Folk und Rock nahm man nach und nach verdiente Musiker unter Vertrag, gegenwärtig betreuen die Hamburger mit ihrem Londoner Außenbüro in enger Zusammenarbeit 15 Künstler mit 100 Veröffentlichungen. „Intensiven Kontakt weiß man in der Branche zu schätzen“, so Christian. „Wir legen vor allem auch Wert darauf, dass unsere Musiker live zu sehen sind. Da achten wir persönlich auf die Qualität der Performance und promoten das dann entsprechend.“ Das Konzept geht auf, Hypertension hat zahlreiche Fans, die gespannt jede Veröffentlichung des Labels erwarten. ME/Sounds bietet nun Einblick ins aktuelle Repertoire, (lin)
KIMBERLEY REW Simple Pleasures 4:06
„WalkingOnSunshine‘ stammt aus der Feder dieses Mannes. Der britische Gitarrist war der kreative Kopf und Produzent von Katrina And The Waves. Bereits Anfang der 8oer wurden R.E.M. auf Rew aufmerksam, seine damalige Band „Robyn Hitchcock’s Soft Boys“ gilt als maßgeblicher Einfluss von Michael Stipe und Co. Seit Katrina 1998 die Waves verlassen hat, arbeitete Kimberley Rew konzentriert an seinem ersten Solo-Album „Tunnel Into Summer“, das nun bei Hypertension erschienen ist. „Simple Pleasures“ orientiert sich an zeitgemäßen britischen Radioklängen, es eröffnet Rews Debut-Album und die CD im ME.
GEORGE DeVORE Telephone 3 30
Der 29-jährige Texaner gehört zu den Talenten zeitgenössischen Bluesrocks, die man im Auge behalten sollte. „Wonderland“ ist für ein Debüt-Album erstaunlich reif und homogen, als Produzent konnte er Mitch Watkins (u.a. Leonard Cohen) gewinnen. Geboren wurde DeVore in Missouri, aufgewachsen ist er mit seiner Familie in Iowa in ärmlichen Verhältnissen. Als junger Erwachsener entschloss er sich, mit Musik seinen Lebensunterhalt zu verdienen, zog nach Austin,Texas, und gründete seine erste Band. Geprägt von seinem Idol Bruce Springsteen erreichte George DeVore bald einen überregionalen ßekanntheitsgrad und erarbeitete sich dank seiner energetischen Live-Auftritte eine internationale Karriere.
DIESEL PARK WEST You St. Catherine 3:21
1987 als Leicesters Antwort auf Buffalo Springfield gegründet, haben Diesel Park West eine seltsame Karriere hinter sich. Mit jedem Album seit 1993 überraschten die britischen Rocker die Presse-die Fachblätter mussten jedes Mal wieder ungläubig vermelden, dass Diesel Park West a) noch da sind und b) ein annehmbares Album abgeliefert haben. Dass das Jahr 2000 keine Ausnahme ist, dafür hat Hypertension-Mitarbeiter Mark Stattford im Londoner Büro gesorgt: Er gab den Anstoß, und nun werden die Punk-Hippies des 21. Jahrhunderts mit „Thought For Food“ ihr siebtes Album auf den Markt werfen. Mit Songs wie „You St. Catherine“ öffnet sich John Butlers DPW auf angenehme Weise dem Mainstream. Eine Tour ist ebenfalls in Planung.
DONNIE MUNRO
On The West Side 443 Der Ex-Frontmann von Runrig widmet sich seit 1997 verstärkt der Politik und seiner Familie, ohne dabei die Musik aus den Augen zu verlieren. In einem Studio an der Küste der Insel Skye hat der Schotte sein Solo-Album „On The West Side“ aufgenommen. Produziert hat der langjährige Runrig-Produzent Chris Harley, als Musiker standen ebenfalls ehemalige Band-Kollegen an seiner Seite. Musikalisch bleibt Munro seiner Linie treu – noch immer interpretiert er die schottische Tradition in Midtempo-Rocksongs und gefühlvollen Balladen.
RICKVTTO Fee s Just Like Home 4:15
Rick Vito gehört zu den gefragtesten Studio- und Live-Gitarristen der USA: Seit seinem Karrierebeginn 1970 spielteer lange Jahre bei Fleetwood Mac, John Mayall, Bonnie Raitt, Jackson Browne und anderen. Trotz steriler Studio-Atmosphäre bekam Bob Seeger hinter der Glasscheibe einst Gänsehaut, als Vito sein Slide-Gitarrensolo zu „Like A Rock“ einspielte.“Das war der spektakulärste Overdub, den ich je gehört hatte“, so Seeger. An Vitos drittem Solo-Album „Lucky Devils“ hat das Hypertension-Team bis vor kurzem in Nashville gearbeitet, die zwölf klassischen Songs sind von seinem eindrucksvollen Gitarrenstil geprägt. Im September gibt es Rick Vito live in „Ohne Filter“.
ROBBIE McINTOSH Emotional Bends 3:53
Den Preis der deutschen Schallplattenkritik bekam Mclntosh für sein erstes Solo-Album „Emotional Bends“ – eine gerechtfertigte Auszeichnung, nachdem der Gitarrist über Jahre im Schatten der Stars stand, für die er arbeitete. Von 1982 bis 1987 war er festes Mitglied der Pretenders, in den goern bereicherte er mit seinem Können die Arbeit von Paul McCartney, Celine Dion, Joe Cocker und vielen anderen. Mit seinem aktuellen Album hat der gefragte Gitarrist sein Coming Out als Bluesrocker mit kompositorischem Talent.
IAN „MAC“ McLAGAN
Suzie Cotta Sweet Face 3:33 Zu Steve Marriott, Kenny Jones und Ronnie Lane stieß Ende des Jahres 1965 lan McLagan und wurde somit Keyboarder der Small Faces. Als wenige Jahre später Ron Wood einstieg, entwickelte sich eine Freundschaft, die das vorliegende McLagan-Album gerettet hat: Als McLagan während der Aufnahmen in Austin,Texas, pleite ging, sprang Ron Wood als „Executive Producer“ ein, holte seinen alten Freund in sein Studio, spielte ein paar Gitarrenparts und Vocals ein und finanzierte die Fertigstellung von „Turn Faces“. Die CD ist das erste Solo-Album seit 20 Jahren, in der Zwischenzeit klimperte McLagan live und im Studio für die Stones, Bob Dylan, Bruce Springsteen und andere.
SNOWY WHITE
What Would I Do 454 Snowy White verdiente sein Geld über Jahrzehnte neben David Gilmour als Live- und Studiogitarrist von Pink Floyd. Er stand beider“TheWall“-Tour auf der Bühne, die jetzt als „Is There Anybody Out There“ veröffentlicht wurde. Außerdem bestritt er mit Roger Waters den „WaH“-Auftritt in Berlin 1990. Ab Ende der 70er war er über vier Jahre Mitglied von Thin Lizzy, White beteiligte sich an derem Album „Chinatown“ auch mit Kompositionen. „Keep Out – We AreToxic“ ist sein zweites Solo-Album mit atmosphärischen Bluesrock-Nummern in klassischer Hendrix-Trio-Besetzung.
JOHN LAWTON
Tomorrow 3:44 Nachdem John Lawton bei den Les Humphries Singers erste Erfahrungen sammelte, gründete er 1971 Lucifer’s Friend. Mit sieben Alben etablierte sich die Combo als eine der wenigen international geschätzten Hardrock-Bands aus Deutschland. Doch Lawton verstand es, auf zwei Hochzeiten zu tanzen: Parallel zu Erfolgen mit Lucifer’s Friend spielte er ab 1976 vier Alben als Sänger von Uriah Heep ein. Seinen Traum, ein eigenes Album nach seinen Vorstellungen aufzunehmen, erfüllte sich Lawton erst kürzlich. Bei Hypertension erscheint „Still Payin’My Dues To The Blues“, das Lawtons vertraute Stimme in einer selbst gewählten Bluesrock-Landschaft präsentiert.
HAMISH STUART
I Don’t Wanna Be A Rock 520 Genau wie Robbie Mclntosh stand Hamish Stuart über Jahre in den Diensten Paul McCartneys. Der schottische Musiker und Songschreiber spielte und sang auf fünf Alben des Ex-Beatles. In den 7oern durfte Stuart selbst Starluft schnuppern, als Leadsänger und Gitarrist führte er die Average White Band zu ansehnlichem Erfolg. Seither ist er ein viel beschäftigter Studiomusiker und Autor (u.a. für Diana Ross, Aretha Franklin, George Benson) und verfolgt parallel seine Solokarriere. Das gemütlich funkende „I Don’t Wanna Be A Rock“ ist beispielhaft für die hohe Qualität seines musikalischen Outputs.
PETER KIRTLEY & PAULMcCARTNEY
Litte Children 408 Fünf bis sechs Leichen von Kindern werden jeden Tag in Rio de Janeiro gefunden, tausende leben dort in elendigen Verhältnissen auf der Straße. Tief bewegt von einer TV-Dokumentation zum Thema schrieb Peter Kirtley „Little Children“, weckte das Interesse Paul McCartneys und die beiden nahmen diese Charity-Single auf. Die Erlöse kommen dem „Princess Diana Home For Girls“ in Rio zugute. Wer helfen will, muss die Single allerdings käuflich erwerben.
COLIN HAY
Wash It All Away 323 Colin Hay hat das Zeug, Welthits zu schreiben. Seine Stimme und sein kompositorisches Talent sind verantwortlich, dass eine Welt ohne den Song „Down Under“ heute schwer vorstellbar ist. 20 Millionen Alben verkaufte Hay mit Men At Work, erst 1998 kehrte er mit dem viel gelobten Solo-Album „Transcendental Highway“ ins Rampenlicht zurück.
CHRIS JAGGER
Crazy 259 „My Brother likes to get up on the stage and raise a huliabaloo“, singt Chris über seinen Weltstar-Bruder Mick in „Crazy“. Selbstbewusst aber nicht krampfhaft setzt sich Chris Jagger vom Stil seines Bruders ab, mit seinem Bandprojekt Atcha veröffentlicht er Eigenkompositionen zwischen Country, Rhythm ’n‘ Blues und Cajun. Auch ohne den berühmten Namen hörenswert.
LONC JOHN BALDRY
East Virginia Blues 529 Long John Baldry ist einer der Väter des britischen Blues und Rock ’n‘ Roll. Zwischen i960 und 1967 gründete er verschiedene Bands mit Mick Jagger, Rod Stewart (den er als Straßenmusiker in der U-Bahn entdeckte), Elton John und anderen späteren Superstars. In den 7oern verlegte er seinen Wohnsitz nach Kanada und erarbeitete sich gleichzeitig mit zwei Gold-Alben einen Status als legendärer Bluesbarde. Auf Initiative von Hypertension ist Baldry in den letzten Jahren zur Freude seiner Fans wieder recht aktiv geworden.
THE BLUES BAND
People Get Ready 3:53 Mit einer wunderbar entspannten Interpretation des Curtis Mayfield-Klassikers rundet die Blues Band die ME-CD ab. Mit dem „Brassed Up“-Album feierte Paul Jones 1999 das 2ü-jährige Bestehen seines er folgreichen Quintetts, das mit Begeisterung und hervorragenden musikalischen Qualitäten über zwei Dekaden den britischen R ’n‘ B bereichert hat.