Blood Red Shoes über Randale
Fernseher, die aus Hotelfenstern fliegen und offene Streits auf der Bühne: Rock’n’Roll-Märchen aus vergangenen Zeiten? Nicht für dieses Duo aus Brighton. Blood Red Shoes legen sich nicht nur miteinander an, sondern gehen auch mal auf ihr Publikum los. Und das finden sie auch gut so.
Wenn man Ihnen gegenübersitzt, denkt man an nichts Böses. Fast hat man das Gefühl, dass es bei Blood Red Shoes stets friedlich und zivilisiert zugeht.
Steven Ansell: Wenn wir ganz normal unter Leuten sind, kommt unser wahres Ich nicht so zum Vorschein. In Wirklichkeit schwankt unsere Tagesform aber bedenklich. Je sicherer Laura und ich im Umgang miteinander wurden, desto unbefangener fühlten wir uns. Wir streiten uns bis heute gerne heftig und pflegen eine innige Hassliebe zueinander.
Wie äußert sich die denn? Wie man hört, haben Sie die Band in Prag mal auf der Bühne aufgelöst.
Ansell: Schon nach Erscheinen unseres ersten Albums haben wir uns auf der Bühne aufgelöst. Ich kann mich an einen Auftritt in München erinnern (11.11.2008 im Atomic Café; Anm.). Wir quälten uns durch zwei Songs und dann bewarfen wir uns mit allen möglichen Dingen, die gerade greifbar waren. Im Publikum sagten einige, dass wir uns zusammenreißen sollten, woraufhin Laura sagte, dass sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern sollten. Wir verließen die Bühne und mussten uns danach dafür entschuldigen. Die Besucher hatten schließlich bezahlt.
Und was geschah damals in Prag?
Ansell: Das Konzert lief eigentlich ganz gut und wir waren danach auch lange was trinken. Im Hotel hatten wir dann einen furchtbaren Streit, den man sich wie bei einem Ehepaar vorstellen muss. Wir brüllten uns an und es flogen Gegenstände. Danach zog ich noch mal allein los und fand diese Bar, die, wie ich später erfuhr, ein Prostituiertentreffpunkt ist. Mir war das in dem Moment egal. Hauptsache, es gab Wodka. Ich gab mir dort total die Kante. Die Prostituierten müssen mir Drogen in den Drink geschüttet und Brieftasche und Kreditkarte geklaut haben. Ich merkte aber nichts davon. Als ich wach wurde, kroch ich förmlich durch die Straßen. Am Ende fand mich unsere Crew. Danach haben Laura und ich eine Woche nicht miteinander gesprochen.
Andere Geschichten dieser Art?
Ansell: In Nürnberg landete ich am frühen Morgen in einer Biker-Bar, wo es ziemlich starkes Bier gab. Dort wurde ich am Ende von der Polizei verhaftet. Vor einem Jahr bei der Musikmesse CMJ in New York warfen wir das Equipment ins Publikum. Uns nervten die Leute dort. Das waren alles langweilige Anzugträger, Industrieheinis. Außerdem wurde unserem Tourmanager dort der Laptop gestohlen.
Für den französischen Regisseur Olivier Dahan („La Vie En Rose“) waren Sie natürlich die Bestbesetzung: Er lud Sie schon im Sommer 2008 zu einer Zerstörungsparty im Pariser Hotel Royal Monceau ein.
Laura-Mary Carter: Wir waren damals gerade in Norwegen und wurden gefragt, ob wir uns schnell ins Flugzeug setzen und nach Paris fliegen könnten. Olivier Dahan wollte uns auf einer Demolierungsparty filmen und uns auch die Reise bezahlen. Klar sagten wir zu. Überall liefen Models und Filmstars herum, die sich entweder verkleidet hatten oder gar nichts mehr trugen. In der Hauptsache ging es darum, das Hotel zu zertrümmern. Es flogen Fernseher und Stühle aus dem Fenster und die Einrichtung wurde richtig schön in ihre Einzelteile zerlegt. Aber es gab auch diesen einen unberührten Raum, vor dem ein Türsteher stand. Es war das Zimmer von Keith Richards. Als der Wachposten aufs Klo musste, beschlossen wir, dass auch dieses Zimmer dran glauben müsse. Wir zerdepperten alles im Schnelldurchlauf, auch einen edlen Kronleuchter. Dann kam der Türsteher zurück und wir mussten durch das Fenster flüchten.
War das nicht gefährlich?
Ansell: In Champagnerlaune geht alles. Am Ende musste das Gebäude evakuiert werden, weil überall Dinge in Brand gesetzt wurden. Eines sage ich Ihnen: Man könnte denken, dass es keinen Spaß macht, etwas zu zerstören, wenn es von dir erwartet wird. Aber das stimmt nicht. Es ist auch dann eine Riesensache. Das war die definitive Pariser Party-Erfahrung. Wegen so etwas spielen wir in einer Band. Musiker von heute sind oft so brav und pflichtbewusst. Wir aber finden, dass man sich auch mal gehen lassen muss. Es ist doch Rock’n’Roll, oder?
Thomas Weiland
Albumkritik S. 90
Blood Red Shoes gründeten sich 2004 im südenglischen Brighton und bestehen aus Laura-Mary Carter (Gesang, Gitarre) und Steven Ansell (Gesang, Schlagzeug). 2008 erschien ihr erstes Album Box Of Secrets, ihre dritte Platte, In Time To Voices, kommt Ende März auf den Markt. Die Band unterstützt politische Kampagnen wie „Love Music Hate Racism“ und trat beim feministischen „Ladyfest“ in Brighton auf. Im Anschluss an ihr im Text erwähntes München-Konzert wünschte sich Ansell beim ME-DJ übrigens „Born In The U.S.A.“.