Blondinen Bevorzugt


Super-Blondie ist wieder da! Aus dem etwas unbedarften Pop-Frollein ist eine etwas unbedarfte Lady geworden: Debbie Harry hat nach vier Jahren Pause ihr erstes Album aufgenommen und prompt in die Charts zurückgefunden. Sie ist fest davon überzeugt, „daß 80 Prozent der Menschen, trotz aller dunklen Seiten, positiv denken. Diese Menschen wollen leben, Kinder kriegen, weitermachen — und das will ich auch. Ich will eine Überdosis demonstrativer Liebe.“ Teddy Hoersch tut, was er kann.

Das hat sie immer noch! Diese Fleischwunde von einem Mund! Diesen halbverhangenen Schlafzimmer-Blick unter schweren Lidern. Diesen zotteligen Lolita-Sex.

Doch es führt kein noch so breiter Weg an der Erkenntnis vorbei, daß der Zahn der Zeit auch an Debbie Harry nagt. 42 Jahre (Geburtsdatum laut Lexikon: 1. 7. 1945) hinterlassen nun mal Spuren. Um die Hüften hat der Popwelt schnuckeligste Blondine kräftig zugelegt. Visagisten macht sie auch nicht mehr arbeitslos. Und ihre Imageberater sollten wissen, daß natogrüner Militär-Look längst fürchterlich out ist.

Da sitzt sie – ihre überflüssigen Pfunde geschickt kaschierend – auf einer Chaiselongue im altehrwürdigen „Savoy“-Hotel im Herzen Londons und erklärt, warum und wieso und weshalb überhaupt. Vier Jahre lang war Debbie nämlich von der Bildfläche verschwunden. Sie pflegte ihren Lebensgefährten, den Blondie-Gitarristen und Songwriter Chris Stein, der urplötzlich an der lebensbedrohenden Stoffwechselkrankheit Pemphigus erkrankt war.

„Wenn man heule die Zeitungen liest, könnte man den Eindruck haben, ich hätte mich ausschließlich um Chris gekümmert. Das stimmt nicht so ganz. Ich hatte natürlich auch einige Geschäfte zu erledigen …“

Das waren in diesem Fall keine musikalischen, sondern schauspielerische Geschäfte. 1983 agierte Debbie in einem Broadway-Musical „Teaneck Tanzi and The „Venus Flytrap“. Sie stand auf kleinen Off-Broadway-Bühnen und spielte in den Kultfilmen von David Cronenberg („Videodrome“ und „Union City“) mit. „Schon bei Blondie habe ich eine eigene Figur kreiert und verkauft. Meine Bühnenauftritte waren im Grunde wie eine Performance angelegt. Der Unterschied zwischen Kamera und Mikrofon ist der: Beim Film wird man vom Regisseur gelenkt, auf der Bühne muß man sich selbst lenken. Da muß man sich selbst verkaufen. „

Das konnte Debbie bislang immer sehr sehr gut. Die Band Blondie, deren Blickfang, Sprachrohr und Namensgeberin sie war, hatte 1982 mit THE HUNTER das letzte von insgesamt sechs erfolgreichen Alben abgeliefert. Stand der Dinge bis dahin: vier Nummer eins Hits, darunter moderne Klassiker wie „Denis“, „Heart Of Glass“ und „The Tide Is High“. Blondie – einst Playboy-Bunny und Kellnerin im „Max Kansas City“ – avancierte zum gefeierten, oft kopierten Pin up, zur Blaupause für unzählige Imitatoren. Sie war, lange vor Madonna, ein Abziehbild für die Massen, lmpulsgeberin in Sachen Mode und Musik.

Sechs Jahre nach Erscheinen ihres Solo-Debüts KOO KOO produziert vom Chic-Team Nile Rodgers und Bernard Edwards, verpackt in ein Kunstcover des Schweizer Malers Giger – nimmt Debbie nun die Karrierefäden mit ROCKBIRD wieder auf. „Musikalisch ist das bestimmt kein Neubeginn. Experimente und Risiken haben wir vermieden. Dafiir ist ROCKBIRD eine überaus solide produzierte LP. Seth Jus’tman, ehemals Keyboarder der J. Geils Band, ist wirklich ein sehr genauer, um nicht zu sagen .pingeliger‘ Produzent. Sein besonderes Augenmerk galt vor allem der Stimmführung. Ich finde, in dieser Hinsicht klingt ROCKBIRD besser als frühere Alben. Die Songs selbst schlagen eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart.“

Die vorsichtige Selbsteinschätzung sitzt: ROCKBIRD ist eine „Nummer Sicher“-Angelegenheit.

Während KOOKOO mit seinen Rap ’n‘ Funk-Ingredienzen einen Vorgeschmack auf Kommendes bot, während Blondie die melodiöse Seite des New Wave erst entdeckten und dann kultivierten, singt der „Rockbird“ in gängigen Tonarten.

Den Löwenanteil der Arbeit – sprich: Produktion, Arrangement und Songwriting – übernahm allerdings Seth Justman. Der Mann, der schon den rüden R&B der Geils Band glattbügelte, hatte auch diesmal keine kreativen Skrupel, jeden Ton auf Kommerz zu trimmen.

„Was die Kommerziulitäi anbelangt: Blondie war ursprünglich als eine Satire aufs Popgeschäft angelegt. Wir galten vor allem in unserer Heimat Amerika als völlig unkommerziell. Aber nachdem New Wave salonfähig geworden war und wir erste Erfolge in England verbuchten, drehte sich das herum. Wir waren plötzlich total kommerziell. Die Satire war Big Business geworden. Du siehst daran: A lies ist relativ …“

Wäre nicht Debbies nach wie vor unschuldiger Naiv-Gesang, ihr immer noch wirksamer Sex-Appeal, wäre da nicht der Sympathie-Bonus aus der guten alten Blondie-Zeit – ROCKBIRD wäre ein relativ unbedeutender Beitrag zum Pop-Zeitgeschehen. Ein Memory-Spiel für altgewordene Jugendliche.

„Meine persönliche Idee von Entertainment und Popmusik“, sagt Debbie und nippt an ihrem Tee, „ist folgende: Man sollte sich nicht zu ernst nehmen. Versteh mich nicht falsch: Ich nehme schon ernst, was ich tue und will es gut machen, über ich möchte mit meinen Popsongs nicht die Welt verändern. Sicher gibt es Dinge, die mich ängstigen: AIDS, Ökologieprobleme, Kriege …Aber das gehört nicht auf eine Pop-Platte.“