Blondies Gift


Mit weit geöffneten Pupillen starrt sie ins Leere. Debbie Harry sitzt im Proberaum an Manhattans 26. Straße und ist doch ganz woanders: in einer besseren Welt, wo gealterte Rockstars mit Würde behandelt werden. Oder aber in seligen Erinnerungen an ihre wilden Jahre gegen Ende der 70er – an endlose Nächte in Clubs wie Max’s Kansas City, CBGB’s oder Studio 54. An ihrer Seite: Truman Capote, Frank Sinatra oder Andy Warhol. „Das war ein Heidenspaß“, so die falsche Blondine: „Jede Menge Alkohol, Drogen und Sex“. Die 53jährige könnte stundenlang über die guten alten Zeiten schwärmen: Die Kollegialität unter den New Yorker Wave- und Punk-Bands, das damalige Nachtleben und die Männer, die ihr zu Füßen lagen.

Kein Wunder, schließlich galt das ehemalige Playboy-Bunny als fleischgewordene Sünde: lange blonde Haare, ein hübsches Gesicht, tolle Figur und endlos lange Beine. Und das hat sie zuweilen schamlos ausgenutzt. „Oh ja!“ strahlt sie und ist auf einmal voll bei der Sache, „immer, wenn ich nicht weitergekommen bin, habe ich das blöde Blondchen gemimt. Du glaubst ja gar nicht, wie sich die Männer zum Affen machen, nur um dir zu imponieren.“ Davon ist sie inzwischen 20 Jahre und ebenso viele Kilo entfernt. Ihren Teil vom Kuchen aber hat Mrs. Harry mehr als genossen. Für Komplimente, sagt sie, sei sie eben immer empfänglich gewesen. Die Offerten von David Bowie, mit dem Blondie 1977 ihre erste US-Tournee bestritten, fand Debbie Harry dagegen eher abschreckend:“Er kam auf mich zu fragte,’kann ich dich vögeln?’Ich war wie vor den Kopf gestoßen – was für ein arrogantes Arschloch. Dagegen war Iggy ein echter Gentleman, auch wenn er alles getan hat, um mich ins Bett zu kriegen.“ Waren Blondie die erfolgreichste amerikanische Wave-Band aller Zeiten, so erwies sich Debbies Solokarriere als mittleres Desaster.Trotz vielversprechendem Start mit der Chic-Produktion „Koo Koo“ verlor sie Mitte der 80er rapide an Zugkraft und gab nach dem Flop des ’93er Epos „Debravation“ vollends auf. Debbie sucht die Schuld bei Plattenfirma und Management:“Im Grunde wollten sie doch nur Blondie. Weil sie das aber nicht bekamen, ließen sie meinen Vertrag einfach auslaufen, ohne auch nur einen Finger für mich zu krümmen.“ Die aktuelle Reunion dient denn auch weniger zur Aufstockung des eigenen Rentenfonds, denn zur späten Selbstbestätigung. Schließlich ist es die Anerkennung, die ihnen fehlt, nicht das große Geld. Denn von den Tantiemen solcher Hits wie „Denis“, „Heart Of Glass“, „Call Me“ oder „The Tide Is High“ können Debbie und ihr Ex-Lover Chris Stein es sich bis an ihr Lebensende gutgehen lassen. Das gilt auch für den Rest der Truppe: Keyboarder Jimmy Destri ist schon seit Jahren im Soundtrack-Geschäft, und Drummer Clem Burke zählt zu den gefragtesten Session-Musikern schlechthin.Trotzdem haben sie Blondie, die sich 1982 trennten, stets vermißt. Davon zeugt sowohl der offenkundige Spaß, den sie auf ihrer jüngsten europäischen Club-Tournee hatten, als auch ihr neues Studioalbum. „No Exit“erscheint im Februar und klingt so vital und eingängig, als wäre es direkt aus den 7oem in die Gegenwart gebeamt worden. Und sollte es mit dem Comeback wider Erwarten doch nicht klappen, hat Frau Harry ja immer noch ihre Schauspielkarriere. Die läuft zwar auch nicht mehr so toll wie Anfang der 80er (u.a.“Hairspray“), aber für kleinere Rollen wird sie immer wieder gerne genommen. Oft aber scheitert’s an ihren Ansprüchen: „Die meisten Drehbücher sind heute so schlecht, daß du dir damit nicht einmal den Hintern abwischen würdest.“ Und wenn denn wirklich mal etwas Interessantes wie der Krimi „Copland“ ansteht, dann wird ihr Part so lange beschnitten, bis sie gar nicht mehr zu sehen ist. „So etwas ist mir noch nie passiert“, schnaubt Debbie. „Den neuen Regisseure mangelt es an Respekt. Aber das gilt für das gesamte Showgeschäft. Trotz kann ich davon einfach nicht die Finger lassen.“ (ma)