Bloc Party: Die Tränen der Young Executives


Bloc Party wollen etwas bedeuten. Ihr Pop ist nicht der Pop der anderen. Er soll das Chaos, die Verzweiflung und den Rassismus hier draußen abbilden.

Das Berliner Hotel „Q“ liegt in einer ruhigen Seitenstraße, nur ein paar Schritte vom Ku’damm entfernt, und gehört offensichtlich zur gehobenen Herbergsklasse. Ob man tatsächlich Gast hier sei, fragt die junge Frau vom Empfang. Skeptisch mustert sie das zerknautschte Jackett des Reporters, der durch das stylische, in Rot und Schwarz gehaltene Foyer mit seinen futuristisch geschwungenen Sitzlandschaften schlendert, und entschuldigt sich sogleich. Sie müsse das fragen, erklärt sie. „Ab 15 Uhr ist hier nämlich Members Club.“

Etwas neidisch blickt man zu dem Grüppchen, das es sich nebenan gerade an der Bar bequem gemacht hat. Gut aussehende Frauen und Männer sind das, Mitte, Ende 20, denen solche Fragen bestimmt nicht gestellt werden. Young Executives … heißen doch so, nicht? Sie sindbeim ersten Drink, einer hat den Laptop noch aufgeklappt vor sich stehen und sagt „Daniel hat sich jetzt übrigens auf die CEO-Stelle in Sao Paulo beworben.“

Es klingt nicht, als sei Daniel besonders beliebt. Der nächste Drink wird bestellt, die beiden Frauen lachen ausgelassen. Aber war da nicht gerade, in diesem Lachen hindurch zwischen makellos weißen Zähnen, die Spur leise nagender Verzweiflung zu hören? Der junge Typ imanthrazitfarbenen Business Suit – ob er heute nacht, wenn er den Anzug zu den drei anderen in den Schrank gehängt hat, nicht mehr anders kann, als den Kopf fest ins Kissen zu pressen und still vor sich hin zu weinen?

Merkwürdig, aber wenn man gerade mit Kele Okereke und Matt Tong geredet hat, fängt man tatsächlich an, sich solche Fragen über wildfremde Menschen zu stellen. Ob sie tatsächlich glücklich sind? „Im Grunde ist das die zentrale Frage der Platte“, sagt Kele. „Es geht darum, was junge Leute heute machen, um ein erfülltes Leben zufuhren.“ Wenn er darüber nachdenkt, kann der Bloc-Party-Sänger nicht allzu viel Hoffnungsvolles erblicken. „Mir fiel das immer auf, wenn ich von einer Tour wieder zurücknach London kam und meine Freunde traf. Niemand von ihnen war glücklich. Von Montag bis Freitag gehen sie arbeiten, am Wochenende wird so viel getrunken, dass man nicht mehr stehen kann, am Montag geht es dann wieder von vorne los.“

Oder nicht. „Zwei Freunde von mir haben sich letztes Jahr umgebracht“, erzählt Kele. „Sie waren gerade mal so alt wie ich, hatten erfolgreich studiert, gute Jobs. Aber offenbar haben sie ihr Leben einfach nicht mehr ausgeholten.“ Der Song, der dieses Ereignis aufgreift, ist der letzte auf dem neuen Bloc-Party-Album A WEEKEND IN THE CITY. Sein Titel, „srxt“, ist eine Chiffre für das in Großbritannien weit verbeitete Antidepressivum „Seroxat“. „1 calledup Eugene /Told him I was drowning“, singt Kele im Falsett. Die Zeile wiederholt er, beim zweiten Mal noch flehender – und plötzlich erhebt sich eine gewaltige Wall Of Sound wie eine meterhohe Welle auf eben noch stiller See. Strahlende Dur-Akkorde, unterstützt von machtvoll gleißendem Chorgesang, von dem man nicht genau weiß, ob man ihn nun bei Gustav Mahler oder ABBA zuerst gehört hat, bevor der Song… Moment mal! Chorgesang? Wall Of Sound? Abba? Gustav Mahler? Wir reden hier aber schon noch über die Band Bloc Party…?

Zwei Jahre ist es her, dass das Bloc-Party-Debüt SILENT ALARM erschien, das die Band zu den Staffelträgern einer neuen Bewegung des britischen Gitarrenpop machte. Gerade erst war der seit dem Niedergang von Britpop in den goer-Jahren vakante Thron von „Cool Britannia“ von Franz Ferdinand neu besetzt worden. Doch deren 2004 erschienenes Debüt war nun schon wieder fast ein Jahr alt, da kamen Bloc Party, die der NME bereits zuvor, als ihre Single „Banquet“ die Tanzflächen der Indie-Discos nutete, zur „next most important band in rock“tikoren hatte, gerade im richtigen Moment- als neues Futter für die Hype-Maschine, als Bindeglied zwischen den superfantastischen Schotten und den Erstlingen von Maximo Park, den Futureheads und den Kaiser Chiefs, die später im gleichen Jahr noch erscheinen sollten.

„The New Wave Of The New Wave“ – das war das Schlagwort, das die britische Musikpresse für diese Springflut neuer Bands gefunden hatte, die sich, so schien es, zum großen Teil (die Kaiser Chiefs machten hier eine deutliche Ausnahme) an jenen glorreichen Jahren zwischen 1978 und 1982 orientierten. „Freilich hat uns das auchgeholfen, weil es eine gewisse Aufmerksamkeit erzeugt hat“, räumt Matt Tong ein. „Aber irgendwann war es nervig, einer Gruppe von Bands zugerechnet zu werden, über die behauptet wird, sie hätten Bands wie Gang Of Four oder Joy Division als Referenzen. Vor allem, wenn dich diese Gruppen niemals inspiriert haben, das zutun, was du tust.“ Besonders den fast schon kanonischen Vergleich mit Gang Of Four findet er wenig zutreffend: „Ich hatte immer das Gefühl, dass wir um einiges vielschichtiger sind als sie. Man muss doch nur hören, wie Russell (Lissack – Anm. d. Red.) Gitarre spielt. Er kann einfach nicht anders, als melodisch zu spielen und sehr dichte, komplexe Texturen zu erzeugen. Das ist doch etwas ganz anderes als dieser rohe, abgehackte Sound bei Gang Of Four.“

Wie wenig glücklich sie mit solchen Vergleichen waren, daraus machte die Band schon in den Monaten nach dem Erscheinen von SILENT ALARM keinen Hehl. Vor allem Kele war es, der in Interviews nicht müde wurde zu betonen, wie wichtig etwa der Einfluss von DJ Shadow für sein Verständnis von Rhythmus sei und dass er eigentlich fast nur modernen R’n’B höre. Dass das nicht nur Gerede war, um sich einen Distinktionsgewinn zu verschaffen, wurde klar, als 2006 silent ALARM REMIX Bloc Party auch für Clubgänger schmackhaft machte, die mit Gitarrenbands kaum ei was anfangen können. Diese Band, das war zu ahnen, hat noch mehr für uns im Gepäck. „Rechnet“, so verlautete sie in einer hübsch vollmundigen Internet-Meldung über den Stand der Arbeit am neuen Album, „mit R’n ‚B-Beats; dem Sound eines Gitarren-Amps, der von einem Balkon im ersten Stock geworfen wird; mindestens einem unspielbaren Gitarrensolo; eierschalendünner Fragilität und Riesenhaftigkeit, die Hosenbeine zum Flattern bringt; Klavier, Streichern, Glockenspiel.“

Wer A WEEKEN IN THE CITY zum ersten Mal in den Player legt, mag das zunächst für etwas übertrieben halten. Reicht doch schon der Opener „Song For Clay (Disappear Here)“ aus, um zu registrieren, das alles noch da ist: Keles dringlicher Gesang, dem der notorische Robert-Smith-Vergleich schon auf silent alarm Unrecht tat, klettert mühelos ins Falsett, Matt Tongs Schlagzeug schafft es immer noch, im einen Moment ungebremst muskulös, im nächsten höchst filigran zu klingen, und spätestens wenn Russel Lissacks bombastisches Gitarren-Riff dazukommt, kann man sich sicher sein, dass auf dem Dancefloor die Zeigefinger röhrenbehoster Ringelpulli-Kids in die Luft gerissen werden wie zu besten „Banquet“-Zeiten. A WEEKEND IN THE CITY ist also: eine Bloc-Party-Platte. Und eigentlich, findet Kele, ist es sogar eher eine Bloc-Party-Platte, als das Debüt vor zwei Jahren es war… sein konnte, „SILENT ALARM ist natürlich immer nochein großartiges Album, auf das ich verdammt stolz bin. Aber man muss auch bedenken, dass wir, als wir die Songs aufnahmen, völlige Novizen waren, was die Möglichkeiten der Studiotechnik angeht. Und auch wenn wir die Songs damals schon eine ganze Zeit zusammen gespielt hatten, waren wir weit davon entfernt zu wissen, wo wir als Band eigentlich hin wollen.“

Anfang 2006 wussten sie dann schon besser Bescheid. Im Januar verzogen sich Bloc Party in ein Studio in Dublin, um dort mit den Aufnahmen für Album Nummer zwei zu beginnen. Nicht mehr Paul Epworth, als Produzent von Maximo Park, den Futureheads und den Rakes im Vorjahr gleichsam Hausproduzent der neuen Gitarrenband-Welle, sollte an den Reglern sitzen, sondern Garet „Jacknife“ Lee, zuletzt tätig für U2 (HOW TO DISMANTLE AN ATOMIC BOMB) und Snow Patrol (FINAL STRAW), sollte am Mischpult sitzen. „Ichgebe zu, unsere Augenbrauen gingen auch erstmal nach oben, als sein Name ins Spiel gebracht wurde“,

sagt Matt und grinst. „Aber dann haben wir gesehen, was er früher alles gemacht hat. Er hat ja für sehr viel Musik im Dancebereich eine wichtige Rolle gespielt. Und genau diese Fähigkeiten waren es, die wir wollten.“

Die Zeichen standen auf Veränderung. Und wie ernst es Bloc Party damit war, ihre zweite Platte nicht zu einem Aufguss der ersten werden zu lassen, ist nun jedem der elf Songs anzuhören. A WEEKEND IN THE CITY ist eine höchst ambitionierte Platte, die zur Verwirklichung einer klanglichen Vision nach allen musikalischen Mitteln greift, die sie in die Finger kriegen kann. Wir hören Samples, R’n’B-Beats, wilde Gitarrensoli, Riffs von Muse’scher Wucht und Hooks U2’scher Pracht, elektronisch spratzende Klangzerstückelung, ätherisches Streicherflirren und immer wieder: Chöre, Chöre, Chöre – vom düster dräuenden Bassgesang im „Song For Clay“ über Kraftwerk-artiges Roboter-Murmeln und fließende Carpenters-Harmonien in „Uniform“, das ritualistische Summen in „The Prayer“ bis hin zu jener strahlenden Hohes-C-Dur-Pracht in „SRXT“. „Ich habe im vergangenen Jahr viel Chormusikgehört“, berichtet Kele. „Der Klang dermenschlichen Stimme hat ja sowieso schon ein sehr besondere Emotionalität. Und wenn mehrere Stimmen zusammen singen, verleiht das dieserWirkung etwas geradezu Magisches.“ Vor allem die Chorwerke des in Rumänien geborenen Avantgardisten Györgi Ligen haben ihn tief beeindruckt. Jemand gab mir eine CD mit einer Auswahl seiner Werke. Ein Stück darauf, ,Lux Aeterna‘, habe ich immer wiedergehört. Diese Art, mit Dissonanzen zu komponieren, das hat etwas sehr Angsteinflößendes, das einen aber im selben Moment unwiderstehlich anzieht. So was wollte ich für die Platte auch haben.“

Deutlicher als dieser eher vage durchschimmernde Einfluss lässt sich da Okerekes erklärte Vorliebe für Black Music heraushören. In den aus Fußstampfen und Händeklatschen bestehenden Dancehallbeats in „The Prayer“ zum Beispiel oder am Beginn von „Hunting For Witches“, dessen abgehackt kurze Samples menschlicher Stimmen im Hörer „ein Gefiihl von Chaos“ auslösen sollen. Denn in der Großstadt ist Chaos. Und das Leben in der Großstadt, seit jeher Metapher für Schönheit und Schrecken modernen Lebens, ist das Thema, das die Songs zusammenhält.

Wie bei Bret Easton Ellis, dessen Roman „Less Than Zero“ den ersten Song der Platte inspiriert hat, ist es bei Kele Okereke allerdings weniger die Schönheitals der Schrecken, der das streckenweise apokalyptische Bild der Metropole grundiert. Es ist der Schrecken der inneren Leere, der die namenlosen Charaktere befallt, die uns in/auf A WEEKEND in the CITY begegnen – im Bus, in der Shopping Mall, auf dem Dancefloor oder im Luxusrestaurant, wo sie lustlos ihre Gänseleber mit Champagner runterspülen. „Alles, was wir tun, um noch echte Erlebnisse zu haben – Shopping, Drogen nehmen, Sex mit wildfremden Leuten – scheint doch nur daraufhinauszulaufen, sich abzulenken, sich zu betäuben und abzuschotten von dem, was wirklich passiert.“ Was umso leichter fällt, weil man das, was wirklich passiert, längst nicht mehr unterscheiden kann von dem, was Tabloids wie die „Daily Mail“ als Realität unters Volk bringen. Das Blatt wird in „Hunting For Witches“ genannt, einem Song der sich mit den Bombenanschlägen auf die Londoner U-Bahn auseinandersetzt, und der von den Medien bald zur diffusen Angst vor allem Fremdem angeheizten Furcht vor dem Terror. Es ist in diesem Song und in „Where ls Home?“, in denen Kele Okereke die Distanz scheinbar nur beobachtender Gesellschaftskritik am weitesten hinter sich lässt.

„Es geht um den ,secondgeneration blues‘, also darum, was es heißt, in Großbritannien ein Schwarzer der zweiten Einwanderergeneration zu sein „, erläutert Kele, dessen Cousin letztes Jahr bei einem rassistisch motivierten Anschlag getötet wurde. „Ich war mir eigentlich immer so sicher, dass Leute verschiedener Herkunft eigentlich gut miteinander klarkommen können. Bei meinen Eltern war das anders. Sie hatten eine zynischere Sicht auf die Dinge, sie haben mich dazu ermutigt, Großbritannien nicht ah meine Heimat anzusehen. Ich habe mich dagegen immer gesperrt. Aber als mein Cousin getötet wurde, hat das meine Sicht auf die Dinge sehr verändert. Kurz vorher fand die Fußball-WM statt, und überall, wo man in East London hinging, hing eine Flagge mit dem St.-George-Kreuzaus einem Fenster oder an einem Auto. Bei solchen Gelegenheiten fällt einem besonders auf, dass man als nicht-englischer Bewohner dieses Landes immernoch von vielen gesellschaftlichen Aktivitäten ausgeschlossen ist. Oder nimm die Art und Weise, wie Schwarze in der Presse auftauchen. Es geht immer um schwarze Kids, die dir dein Handy klauen. Und Muslime sind die, die deinen Bus in die Luft sprengen. Man braucht jemanden, dem man alles in die Schuhe schieben kann. All das hat mich sehr skeptisch gemacht gegenüber der Idee, dass es möglich ist, entspannt miteinander zu leben.“

Kele nimmt einen Schluck Wasser. Er hat lange gesprochen, dabei möchte er es eigentlich vermeiden, so im Vordergrund zu stehen, sagt er. Aber bei a weekend in the city geht das wohl nicht anders. Der Bloc-Party-Zweitling, das hatte er schon zuvor erklärt (MUSIKEXPRESS 11/2006), sei vor allem seine Platte. Das gilt nicht nur für die persönlichen Lyrics. Auch musikalisch ließ der Frontmann nicht locker, bis er seine Vorstellungen verwirklicht fand. Dass das nicht ohne Spannungen im Studio über die Bühne ging, liegt auf der Hand.

Aber so wild sei das alles auch nicht gewesen, sagt Matt versöhnlich.

„Ich glaube nicht, dass die Spannungen über dem Durchschnitt dessen lagen, was viele Bands erleben, wenn sie das erste Mal eine so lange Zeit miteinander verbringen. Manchmal kann es schwierig sein, sich mitVeränderungen abzufinden. Und es ist eben nicht leicht zu akzeptieren, wenn dir jemand sagt, was du tun sollst.“ Ebenso wenig allerdings die Rolle „des Typen, der sagt, wo es langgehen soll“, schaltet sich Kele noch mal ein: „Aber was für mich wichtigist, ist, dass wir etwas gemacht haben, das etwas bedeutet. Und ich glaube nicht, dass man das schafft, indem man erst mal einen Ausschuss einberuft. Ich glaube, es kommt irgendwann der Punkt, an dem irgendjemand die Führungsrolle übernehmen muss. Das bringt den, der sie innehat, manchmal in unangenehme Situationen. Das ging mir zeitweilig auch sehr nahe. Aber ich mache das ja nicht aus Selbstsucht. Ich hatte einfach das Gefühl, das tun zu müssen. Ich wollte, dass wir etwas schaffen, dass großartig ist, nicht etwas, das einfach nur gut klingt.“

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