Blind Melon


Das Land der Popmusik ist groß, erstaunlich und wunderbar. In ihm spuken Geister aus Gummibären-Masse, Stromkabel balzen kichernd mit Input-Buchsen, und grinsende Sonnenblumen wiegen sich im Vierviertel-Takt hin und her. Pop ist pure Melodie, verziert mit einigen Schnörkeln, und manchmal versetzt mit kleinen, bösartigen Widerhäkchen und giftigen, scharfen Kanten, die verletzen, wenn man ihnen zu nahe kommt, und nach denen man zugleich süchtig werden kann. Und: Pop ist nicht zuletzt ein gigantisches Experimentierfeld. Blind Melon, ein Quintett aus Los Angeles, gehören seit ihrem neuen Album SOUP mit zu den großen Pop-Experimentatoren dieser Welt: Ihr Aufnahmestudio ist ein Labor, aus dem sie je nach Lust und Laune mal unverbindlich pfeifen wie Dr. Jekyll und mal exzentrisch brausen wie Mr. Hyde. Die Band setzt um, was vier Jahrzehnte Geschichte der populären Musik so mit sich bringen und treffen damit zumeist genau den Punkt. Auf SOUP hören wir Anklänge an die Beatles genauso wie an – tatsächlich – Yes, wir hören Spin Doctors und wir hören Hooters. Dabei bleibt nichts beliebig: Blind Melon haben einen durchgehenden Plan, die Zitate in ihre eigene Song-weit einzubauen und neu zu bewerten – wie dies beispielsweise auch die beiden Herren von They Might Be Giants tun. Erstaunlich übrigens auch, mit welcher Unbeschwertheit Sänger Shannon Hoon den Ausdruck seiner Stimme ändern kann: Mal klingt er fast wie Tracy Chapman, manchmal erinnert er an Jon Anderson. Wahrscheinlich ist es die Stadt New Orleans, in der die Band ihr Album aufgenommen hat, die zu dieser Vielschichtigkeit reizt. New Orleans, ein Schmelztiegel der musikalischen Einflüsse, von dem der Melon-Bassist Brad Smith erklärt: „Mit dieser Stadt ist nichts zu vergleichen, wenn du Musiker bist.“ Es scheint, als hätte das Quartett bei den Aufnahmen zu SOUP einen äußerst günstigen Moment der Inspiration erwischt: Glückstreffer oder Beweis herausragenden Könnens? Das wird man sehen. Die Vielschichtigkeit zeigt sich auf dem neuen – zweiten – Album jedenfalls auch in der Instrumentierung und im Arrangement, das angenehm mehrdeutig ist, nichts hat von oft gehörter Beliebigkeit, sondern kleine, feine, manchmal düstere Untiefen einbaut, die jeden Song erst Fahrt gewinnen lassen und Wirkung zeigen. Blind Melon scheinen im Studio nicht ehrfürchtig nach den Charts gestarrt zu haben. Dadurch kann man souverän genug bleiben, um schillernde Pop-Juwelen zu schaffen, die nicht nur außen glänzen, sondern von innen her leuchten. Nach der Hit-Single ‚No Rain‘ nun ein Hit-Album, das in sich stimmig ist und stimmt.