Billy Joes


München liebte seinen Billy abgöttisch. Die Zuschauer in der ausverkauften Sport-Arena ließen den ehemaligen Boxer, der just an diesem Tag seinen 41. Geburtstag feierte, schon vorab derart enthusiastisch hochleben, daß man sich fast nach Italien zu einer Fußball-Schlacht zwischen Neapel und Mailand versetzt fühlte. Ein Heimspiel war es allemal, auch wenn Joel erst nach zehnjähriger Abstinenz wieder den Weg auf deutsche Bühnen fand. (Angeblich, so wissen Insider, hatte ihm seine Frau Deutschland aus der Landkarte gestrichen: Just hier nämlich pflegte Herr Joel vor Jahren eine Romanze, die der Gattin so gar nicht schmeckte.) Die Wogen der Begeisterung jedenfalls klatschten unablässig an den Bühnenrand, als der Abend mit bombastischen Klängen vom Band seinen Lauf nahm und nach dieser kurzen Verneigung in Richtung Bayreuth und Richard Wagner unversehens auf dem Broadway landete. Ein konzertanter Coup jagte den nächsten, und wenn aus Richard Wagner auch schon mal Richard Clayderman wurde, so tat das der Stimmung keinen Abbruch.

Es war eine Vemeigung vor diesem Publikum, daß Joel eine geschlagene Stunde lang die Emotionsskala mit herzerweichenden Balladen aus seinem reichhaltigen Back-Katalog strapazierte. Dem Geist des Konzerts entsprechend ganz in schwarzen Zwirn gewandet, schwelgten Billy und seine siebenköpfige Band in leisen Tönen à la „Honesty“. Wenn nicht Drummer Liberty De Vitto seinem Namen immer wieder alle Ehre gemacht hätte, indem er wirklich auf seine rhythmische Freiheit im Spiel pochte, wäre die Show zu einem pathetischen Musical verkommen. Er hielt nicht nur die gesamte Band mit abenteuerlichen Breaks eisern zusammen, sondern sroovte vor allem in der zweiten, dem straighten Rock ’n‘ Roll gewidmeten Hälfte mit so viel Elan, daß man fürchtete, er blase den Chef mitsamt seines Flügels gleich von der Bühne.

Die Standpauke vom Drum-Podest war denn auch bitter nötig, um alle Akteure aus dem Tiefschlaf der Balladen zu reißen. Langsam legte sich der Geist von Elvis Presley über die Bühne, und Joel, flügelfrei und nur noch mit Mikro bewaffnet, besann sich auf seine fraglosen Qualitäten als Entertainer. Daß der Rocker in ihm noch nicht gänzlich verstorben ist. bewies Joel. als er, sichtlich in seinem Element, zu „It’s Still Rock ’n‘ Roll To Me“ über die Bühne fegte.

Als nach fast zwei Stunden Spielzeit die obligatorische Zugabe erklatscht wurde, war man Ohrenzeuge eines recht zweischneidigen Ereignisses geworden. Erst drückte Mr. Pianoman auf die Tränendrüse, dann auf die Tube. Hätte er sich von Beginn an auf Letzteres beschränkt, wäre uns allen die Peinlichkeit des Menschelns erspart geblieben.