Billy Joel: Alter Furz Fängt Feuer
Jahrelang spielte er lieber mit seinem Töchterlein als mit den Jungs aus seiner Band. Warum Billy Joel jetzt fürs erste genug vom trauten Familienleben hat verriet er ME/S-Mitarbeiter Frank Heckert.
Jedesmal wenn Billy Joel Espresso trinkt, darf ein ordentlicher Schuß Sambuca nicht fehlen. Gut so, denn unter dem Einfluß dieser hochprozentigen Mixtur aus Anis-Likör und schwarzen Bohnen entwickelt sich der Mann zum äußerst lebhaften Gesprächspartner, der keinen Zweifel daran läßt, daß Rock ’n‘ Roll noch immer zu den wichtigsten Dingen im Leben gehört: „Musik prickelt für mich genauso wie Sex und ist deshalb auch ein ganz entscheidender Motivationsfakror“.
Aber vor drei Jahren prickelte nichts mehr. Joel verspürte eine ernsthafte Krise: Als er sein Album THE BRIDGE aufnahm, verlor er den Spaß am Rock n‘ Roll. „Die Arbeit an der Platte war qualvoll: Von Anfang an fühlte ich mich schlecht wie früher, wenn nach den großen Sommerferien die Highschool wieder anfing – überall nur altbekannte Gesichter.“ Das brachte Billy ins Grübeln. „Denn daraus konnte einfach nichts Neues mehr entstehen.“
Also zog der Mann aus Long Island nach reiflicher Überlegung die Notbremse: Für seine neue Platte STORM FRONT veränderte er nicht nur die Besetzung seiner Band – er entschloß sich außerdem dazu, einen Schlußstrich unter seine erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Produzenten Phil Ramone zu ziehen: „Phil und ich waren zwölf Jahre lang ein fantastisches Team, länger als irgendwer sonst im ganzen Musikgeschäft. Aber gerade die Tatsache, daß wir uns so gut kannten, machte auf Dauer alles so schwierig. Es waren einfach keine Reibungsflächen mehr vorhanden und ohne Reibung gab es keine zündenden Ideen mehr.“
Für STORM FRONT wollte Joel deshalb mit einem Produzenten arbeiten, der selbst als Musiker aktiv ist. Sein Wunschkandidat hieß Eddie Van Halen, und der war sofort Feuer und Flamme: „Als Produzent hätte er bestimmt viele Dinge auf den Kopf gestellt, denn Eddie ist ein absolut großartiger Gitarrist“. Leider jedoch hatten die beiden die Rechnung ohne Van Halens Terminkalender gemacht – und so kam schließlich Mick Jones von Foreigner ins Spiel: „Eddie kannte ihn und war ganz begeistert von seiner Arbeit. Also trafen wir uns in New York – und binnen fünf Minuten wußte ich, daß Mick der Richtige war“, freut sich Joel und redet ohne Punkt und Komma.
40 Jahre hat der Songwriter, der sich in der Schublade für gereifte Balladensänger überhaupt nicht wohl fühlt, jetzt auf dem Bukkel, und er hat nach wie vor eine ganze Menge zu sagen. Wenn er beispielsweise von den Konzerten erzählt, die er 1987 in der Sowjetunion gab, läßt er sich kaum noch bremsen: „Eine meiner Bedingungen war, daß jeder Interessierte Karten kaufen konnte – unabhängig vom Rang oder vom Parteiabzeichen. Trotzdem saßen die großkopfeten Funktionäre im ersten Konzert auf den besten Plätzen.“
Dort saßen sie indes nicht lange, denn Joel verpaßte ihnen mit seiner lautstarken Anlage den Schock ihres Lebens. „Sie waren absolut entsetzt – und ich sprach sie direkt an:, Warum geht ihr nicht einfach? Eigentlich fühlt ihr euch doch gar nicht wohl hier, und um ehrlich zu sein, wir wollen euch auch nicht hier haben. ‚ In Windeseile waren sie verschwunden und verschenkten ihre Karten an die Kids, die draußen vor der Tür warteten.“ Billy feixt: „Dann konnte das Konzert erst richtig beginnen: Die Menge war absolut ausgehungert und verrückt nach Rock ’n‘ Roll – keine Chance für die Sicherheitskräfte. Genau wie bei einem Heavy-Metal-Konzert zu Hause in den Staaten. Und das war für mich der Moment, in dem der Kalte Krieg endgültig vorbei war.“
Wenn er den „Kalten Krieg“ erwähnt, dann weiß Joel, wovon er spricht. Denn Geschichte war schon immer sein großes Hobby. Da seine Eltern keinen Fernseher hatten, las er Geschichtsbücher wie andere Kids Action-Romane. Kein Wunder, daß ihm der Text für seinen neuesten Hit „We Didn’t Start The Fire“, in dem er die wichtigsten Ereignisse und Personen seit seinem Geburtsjahr 1949 aneinanderreiht, leicht von der Hand ging. Und schon beginnt er wieder zu monologisieren: „Vor einiger Zeit unterhielt ich mich mit sinem jungen Mann. Er sagte: „Es ist schrecklich, gerade heute 20 zu sein. Wir har ben AIDS, Crack, einen Haufen Obdachlose …‘ Und ich antwortete: ‚Moment mal, so ähnlich hab ich mit 20 auch geredet. Bei uns waren es Vietnam und Nixon. Und Drogen gab ’s damals auch schon.“
Moment mal, langsam: Was hat das alles mit „We Didn’t Start The Fire“ zu tun? Er holt kurz Luft, und weiter geht’s: „Ich will damit unterstreichen, daß die Welt nicht erst gestern aus den Fugen geraten ist. Denn in den 50er Jahren sah es nicht anders aus: Koreakrieg, Suez-Kanal-Krise, Freiheitskämpfe in Ungarn und so weiter. Ursprünglich hatte ich diesen Song sogar als Rap geplant. Aber das überlasse ich wohl doch lieber kompetenteren Kollegen.“
Demnächst geht Joel wieder für 18 Monate auf Welttournee. Auch Europa steht nach über zehn Jahren wieder auf dem Programm. Warum erst jetzt? „Weil meine miesen Manager jahrelang die Tourneen immer so geplant haben, daß sie selbst das meiste Geld daran verdienen konnten“, beklagt sich der Mann mit den schönsten Glupschaugen der Welt.
Doch damit sei jetzt ein für allemal Schluß. Ab sofort treffe er selbst alle Entscheidungen.
Natürlich wird er die Reise nach Europa nicht ohne Familie unternehmen. Seine Ehefrau, das Model Christie Brinkley, das er 1985 heiratete, und Tochterchen Alexa Ray werden den Familienvater so oft wie möglich begleiten.
Damit ist auch sichergestellt, daß Joel wenigstens anständige Klamotten trägt: „Christie weiß ganz genau, was mir am besten steht. Sie schüttelt heute noch den Kopf, wenn sie daran denkt, wie ich früher rumgelaufen bin. Trotzdem packt mich nach wie vor das alte Fieber. Dann ziehe ich wieder die Ledersachen von früher an und reiße den Gashahn meiner Harley Davidson auf.“
Für ein paar intensive Momente war Joel wieder ganz der ‚angry young man‘ von früher.