Billy Corgan: Corgan’s Comeback
Die Smashing Pumpkins sind tot. Billy Corgan ist dennoch nicht zu stoppen: Mit seiner neuen Band Zwan macht er Pop und Menschen glücklich, denn die Welt ist nicht zu retten. Und seine Tagebücher sind eh besser als die von Kurt Cobain.
Los Angeles und New York befinden sich in der 26. Etage eines Hotels in Toronto. In Los Angeles warten die Journalisten, in New York sitzen Zwan. Es ist eine volleyballfeldgroße Suite, und dass an der Tür in großen Lettern „New York“ steht, ist ein grandioser Zufall. Denn das in New York ist schuld, dass Zwan, die neue Band von Billy Corgan, auf ihrem ersten Album „Mary Star Of The Sea“ Popmusik macht. In der „Los Angeles“-Suite tönt die Platte aus einem schwarzen Ghettoblaster. Wenn Corgan nicht gerade singt, könnte man auf die Wallflowers, Springsteen oder die Foo Fighters tippen, so eingängig und stadiontauglich klingt das. Wegen New York will Billy Corgan keine kunstvoll komponierten Kakophonien über Hass und Entfremdung mehr schreiben, sondern Musik, die möglichst viele Leute mögen. Billy Corgan, dem einst notorisch zynischen Dunkelmann, geht es im Jahr 2003 nur noch um Liebe und Glück. Was ist passiert?
Es begann mit einem Ende.
Am 2. Dezember 2000 spielten die Smashing Pumpkins ihr letztes Konzert im Chicagoer „Metro“. Eine der erfolgreichsten Rockgruppen aller Zeiten hatte keine Lust mehr. Nach zehn Jahren und 25 Millionen verkauften Alben beschloss Billy Corgan das Ableben seiner Band genau zum richtigen Zeitpunkt, der Mythos blieb knapp unversehrt. Ihr vorletztes Album – „Machina: The Machines Of God“ – war ein lauer Aufguss, das letzte – „Machina II: The Friends & Enemies Of Good Music“ – nicht besser und erschien nur im Internet. Die Grenzen waren ausgelotet, alle Ziele erreicht und Corgan es leid, „den Kampf gegen die ‚Britneys‘ dieser Welt aufrechtzuerhalten.“ Er ging. Kurt Cobain, sein größter Konkurrent, war da schon sechs Jahre tot. Das, was man Generation X nannte und zu dessen Prophet Corgan neben Cobain gemacht wurde, starb an Drogen oder kaufte sich Zweitwagen. Billy sang auf dem Comeback-Album von New Order, produzierte ein paar Platten, Gerüchte und Gossip. Und er gründete „vier oder fünf Monate“ nach dem Ende der Pumpkins mit Freunden eine neue Band: Zwan. Mit dabei: Ex-Pumpkin Jimmy Chamberlin am Schlagzeug, Matt Sweeney (Chavez) und David Pajo (Slint, Papa M) an Gitarren, Paz Lenchantin (A Perfect Circle) am Bass. Das sind verdiente Musiker abseits des Mainstreams, musikalische Idealisten und Underdogs. Deswegen knallt manchen der Unterkiefer auf die Tischplatte, wenn sie zum ersten Mal „Mary Star Of The Sea“ hören: Strophe-Refrain-Strophe, selbstklebende Melodien, anhängliche Hooks, kaum Krach und cabriotaugliche Gitarren-Solos. Die Frage darf folglich erlaubt sein: Was ist passiert?
New York, 11. September 2001. „Wir alle waren dabei“, sagt Corgan, „und wenn
du gesehen hast, wie Menschen weinend über die Straßen rennen mit den Bildern ihrer toten Liebsten in den Händen, würdest du dich nicht mehr um Kunst kümmern. Du würdest nur gute Musik machen wollen, die dich besser fühlen lässt.“ Popmusik, Musik, die dünnflüssig in einen hineinläuft, die gute Laune suggeriert, nicht aneckt, sondern umgarnt. William Patrick Corgan hat sich mit den Abgründigkeiten des Seins herumgeschlagen, mit einem drogenabhängigen Schlagzeuger (Chamberlin), zerfleischenden Sinnfragen und manischen Frauen. Er hat hochkomplexe, unkommerzielle Doppelalben geschrieben („Mellon Collie And The Infinite Sadness“) und zu schneidenden Riffs mit seiner kalten Stimme Sätze wie „The world is a vampire“ gesprochen. Er war der böse kuckende Mann im pechschwarzen Ledermantel. Heute sagt er Sätze wie „Popmusik zu machen ist sehr schwierig. Deswegen ist Nelly auch so großartig“ und: „Freude und Glück sind das größte Gut, das du haben kannst. Lebe für den Tag!“ Er lacht oft.
Es ist ein bisschen wie bei Moby, der vom Techno-Punk zum Muzak-Hippie wurde, weil er möglichst viele Menschen mit seiner Musik glücklich machen will. Nur sind Zwan noch weit vom schwarzen Loch der Fahrstuhlmusik entfernt, sie sind bei allem zuerst Rock und: noch neu. Und haben wir schon erwähnt, dass Billy Corgan unberechenbar ist? Und die anderen nicht minder? Der Zwan-Start ist jedoch ein ruhiger, sicherer. Das soll so sein: „Für dieses Album hatten wir eine riesige Anzahl Lieder und wählten jene, die am freundlichsten und zugänglichsten sind“, erklärt Matt Sweeney unter seiner roten PVC-Schirmmütze hervor. „Ein kompliziertes Art-Rock-Album können wir immer noch aufnehmen. Und wenn man ein Debüt auf einem Marketing-mächtigen Major-Label herausbringt, scheint es eine gute Idee zu sein, Musik zu machen, die viele Leute mögen.“ Bisher hat Matt Sweeney scheppernde Indierock-Platten aufgenommen, die viel gelobt und selten gekauft wurden. Auch David Pajo musste bis vor kurzem noch nachdenken, wie er die nächste Miete bezahlt. Billy Corgan hingegen hat sich im April vergangenen Jahres für 2,95 Millionen Dollar in Chicago ein neues Haus gekauft. Bei Zwan treffen zwei Welten alternativer Rockmusik aufeinander.
Corgan – natürlich Hauptsongwriter und Sprachrohr der Band – reißt das Ruder mit einem Ruck rum, weil er gereift ist und erkannt hat, dass von der Generation X nichts geblieben ist. Das muss ihn, den einstigen Messias, schmerzen.
„Es gab einen Moment, in dem ich dachte, die Generation X würde die Welt verändern. Aber letztendlich haben wir nur die Tür für noch mehr Arschlöcher geöffnet“, sagt er, der sich heute „nicht mal als Teil meiner eigenen Generation“ fühlt. Für ihn war die Generation X am Ende eine Maskerade wie alles andere auch. „The alternative Showgame is over! Lies Kurt Cobains Tagebücher, dann ist der Mythos zerstört. Selbst er sorgte sich um den Erfolg von Nirvana. Ich wusste das, alle, die ihn kannten, wussten das. Aber es gibt das Verlangen der Öffentlichkeit, an den Mythos des dummen Rockstars zu glauben, der aus Versehen Erfolg hat.“ Zwan wollen damit nichts mehr zu tun haben. Billy: „Wir sind alt genug, es geht uns gut genug, wir mögen, was wir tun, und wollen deswegen Musik machen, die die Leute glücklich macht.“ Schreibt er selber auch Tagebücher voll? „Ja. Aber meine sind besser als die Cobains.“
Die Smashing Pumpkins sind ausgeblutet, die Generation X entlarvt sich selbst, und in New York stürzen zwei Türme ein: Billy goes Pop. Er nimmt die Wut aus der Musik und den Texten und singt über nette Dinge. Schön. Doch derweil rutscht die Welt ins Chaos. Brauchen wir nicht gerade in diesen Tagen einen. der laut ruft, der den Dummen ins Gesicht brüllt, der Lärm macht und mahnt? Brauchen wir nicht Politik statt Pop? Quatsch, meint der Herr Corgan, denn „was ist politischer als Liebe? Ich kann dir sagen, wen du wählen oder wohin du deinen Schwanz stecken sollst, ober das bedeutet nicht, dass du zuhören wirst. Liebe ist das, mit dem alle ziemlich übereinstimmen. Und dieses Album handelt von Liebe und davon, das Leben zu umarmen. Das ist politische Kraft.“
Und genau deswegen singt Billy „Do you believe in peace, do you believe in love, do you believe in me like I believe in you?“, und die Zuschauer schreien vor Glück. Würde er jetzt mit geballter Faust „Stop the war“ rufen, die Leute würden ihn doch nur pflichtbewusst beklatschen und damit ihr eigenes Gewissen beruhigen. Macht er aber nicht. Billy ist eben kein Bono. „Politische Musik braucht eine bestimmte Zeit“, sagt er, „und die jetzige Zeit ist nicht die richtige Zeit, nicht für mich als Künstler. Die Welt will ignorant sein. Und ich will nicht auf der Spitze eines Berges stehen und rufen, während niemand zuhört. Jeder rennt mit falschen Brüsten und falschen Gesichtern herum. Wir haben sogar digitale Kinostars. Die Welt hat sich nun mal ausgesucht, ,fake‘ zu sein. So let the world be fake! Sie wird sich ihre eigenen Lehren lehren. Ich bin nicht ihr Prophet.“