Bevor’s zu einfach wird


Für ihr aufs Eleganteste eventuelle Klischee-Untiefen umschiffendes neues Album haben Calexico in einer Halbgeisterstadt ein paar neue (Stahl-)Saiten aufgezogen. Denn: „"Es ist wichtig, daß man es sich nicht zu bequem macht."

Der Raum ist sehr rot. Wohl eine Spur zu rot für loey Burns an diesem ansonsten so entspannt grauen Berliner Sonntagnachmittag. Der Mann, der die eine Hälfte der Doppelspitze von Calexico ist, wirkt nicht gänzlich aufgeweckt. Er hat ein nicht unanstrengendes Wochenende hinter sich. Am Freitag spielten Burns und Partner John Convertino ein Radiokonzert beim ORF in Wien, dem ein gemütlicher Teil mit, wie man hört, umfangreicherer Weinverkostung folgte. Vielleicht nicht zuletzt deshalb ist Joey Burns die funky 70er-Jahre-Tapete im Konferenzraum des ansonsten so entspannt stilvoll-gTauen Hauptquartiers des Indielabels City Slang in Berlin-Wilmersdorf eine Spurzu schreiend rot; mit einer vagen Handbewegung ins Rund des Zimmers und einer humorig-entschuldigenden Bemerkung lädt er den Interviewer ein, die ästhetische Herausforderung mit ihm zu teilen.

Burns – Markenzeichen Seitenscheitel und Karohemd wie gehabt – wirkt auf eine recht sympathische Art zerstreut; immer wieder mal während des Gesprächs scheint ein Schwärm Gedanken in seinem Kopf aufzuflattern. Die Interviewerin vor dem MUSIK-EXPRESS hat offenbar auch gerade ein paar aufgescheucht. „Das Mädchen eben hat mir erzählt, daß sie Kinderhaben will“, sagt Burns, setzt sich an den mit Kuchen gedeckten Tisch und sinniert. „Wenn Mädchen so 28, 29 werden, kommen sie da etwas schräg drauf. Furchteinflößendes Thema … Hast du Kinder?“ Äh, nein. Aber Calexico haben Nachwuchs bekommen. Convertino ist vor knapp einem Dreiviertel jahr Vater geworden und nach dem Wien-Gig gestern schnurstracks zur Familie nach Tucson, Arizona, heimgekehrt. Die Interviewpflichten bleiben so Burns allein überlassen; der will das aber nicht problematisieren. John ist sehr froh mit seinem Sohn“, sagt er. „Und es ist gut für ihn, einen Ausgleich zu haben. Wir sind immer so viel unterwegs, daß man sich fast zwingen muß, mal wirklich zwei Wochen oder so frei zu machen.“

Die Veröffentlichung des letzten, des dritten regulären Calexico-Albums feast of wire ist jetzt zwar schon drei Jahre her, aber viel Leerlauf gab es in der Tat nicht in dieser Zeit. Calexico waren auf Tour. Gingen dann auf Tour. Convertino fand die Zeit, zwischendurch sein erstes Soloalbum Raglan d aufzunehmen. Und Calexico tourten noch ein wenig. In Europa, wo sie in vielen Ländern längst den verdienten Status einer soliden mittelgroßen Attraktion haben und entsprechend hofiert werden (siehe Wien). Und mehr noch und immer wieder in den USA, wo ein etwas härteres Brot zu knabbern ist, wo sich aber auch allmählich etwas bewegt, spätestens seit ein gemeinsames Mini-Album – IN THE reins (Touch & Go, 2005) – mit dem Indie-Folkmusiker Sam Beam und seinem Projekt Iron And Wine zu einem Überraschungserfolg in den College Charts avancierte.

Irgendwo auf diesem Weg hat sich die Band konsolidiert. Das neue Album GARDEN RUIN ist das erste Calexico-Album, zu dem es keine Pressefotos mit Burns und Convertino allein gibt.Die Aufstellung der Band hat sich noch mehr vom erweiterten Duo hin zu dem Interkontinental-Sextett verschoben, als das Calexico seit Jahren live in Erscheinung treten; mit Burns/ Convertino sowie Trompeter Jacob Valenzuela, Gitarrist/Pedalsteel-Mann Paul Niehaus (ex-Lambchop) und den beiden Deutschen Volker Zander (München; Baß) und Martin Wenk (Berlin; Trompete/Gitarre).

Wenk ist an diesem Nachmittag auch im City-Slang-Haus; kommt zwischendurch in den roten Raum, um Burns zu begrüßen, der ihn im Gegenzug mit ein paar CD -Empfehlungen aus einem Stapel neben sich ausstattet (Gotan Project; ein neuer Act namens Adern auf Domino Records u.a.); und erinnert sich später beim Plausch in der Küche an sein erstes Tour-Engagement mit Calexico in den goern und wie das zeitlich einigermaßen prekär mit seiner damaligen Anstellung als Fahrzeugentwickler bei Opel in Rüsselsheim kollidierte. „Wir mußten den Corsa abgeben „, lacht er, „undkurz vor der Deadline sollte die Tour losgehen. Ich rief den Veranstalter an, ob man die ersten Konzerte nicht ein paarTage verschieben könne.“

Der wollte davon freilich absolut nichts hören. Heute weiß man: Der Corsa hat es irgendwie doch in die Produktion und auf die Straße geschafft, Wenk ist – neben einigen anderen musikalischen Projekten – on the road und produziert mit Calexico. Und ist zu diesem Behuf auch mal drei Monate am Stück in den USA und Tucson im Speziellen; ein Umzug steht für ihn aber nicht zur Debatte: „Nach ein paar Monaten wird’s irgendwie auch ein tön ii> in der Wüste. „

Nicht einer gewissen Routine auf den Leim gehen zu wollen, war für Joey Burns und John Convertino der Anlaß, das Pferdchen „Plattemachen“ diesmal bewußt etwas anders aufzuzäumen. „Wenn dieser Prozeßzu bequem wird, sollte man hellhörig werden „, sagt Burns. „Und mit john und mir ist es mittlerweile so: Wir brauchen uns eigentlich nur hinzuhocken, John an den Drums und ich an der akustischen Gitarre, und wir kloppen was Passables raus, recht leicht. Wir haben unsgesagt: .Okay, das wird zu einfach‘. Es ist wichtig, daß man sich hin und wieder Herausforderungen stellt. Daß man die Frische und Spontanität nicht verliert. Es sich nicht zu bequem macht.“

Zum ersten Mal etwa holten sich Calexico einen Produzenten ins Boot. JD Foster kam auf wärmste Empfehlung von Craig Schumacher, dem Eigentümer des Wavelab Studios, Calexicos Homebase in Tucson. Foster, der als Musiker schon mit so unterschiedlichen Leuten wie Stetson-Superstar Dwight Yoakam und dem Alternative-Country-Helden Alejandro Escovedo gearbeitet hat, wurde mit dem bewußten Gedanken angeheuert, jemanden von außen dabeizuhaben, der Feedback und Impulse gibt. JD half uns nicht nur mit dem Technischen und dem Sound. Sondern mit allen möglichen Ideen „, sagt Burns, „so, ,Was hältst du von diesem Overdub? Von dieserTextzeile?’Erhatden Prozeß begleitet. Und mich auch immer wieder dran erinnert: Joey, das Wichtigste ist der Prozeß. ‚“Und in letzteren war eben diesmal die Band deutlich enger und früher involviert als bei den Alben davor. „Bisher ->

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-» lief das immer so, daß John und ich die Basic Tracks der Songs gebaut und dann nach und nach die Leute für die anderen Parts dazugeholt haben. Wir arbeiten zwar immer noch mit Overdubs, aber diesmal war die Band bei vielen Stücken von Anfang an dabei.“

Zum gruppentherapeutischen Eingrooven auf dieses bandorientierte Arbeiten und für die gezielte Arbeit an Songs verfügten sich die sechs eine Woche lang in die Abgeschiedenheit von Bisbee, Arizona. Eigentlich wäre der europhile Bums zu diesem Behuf gern ein paar Tage oder Wochen nach Spanien, Italien oder Paris gereist, aber das war zu teuer fürs schmale Indie-Budget. Also ging’s in das 40 Meilen von Tucson gelegene pittoreske 6.ooo-Einwohner-Künstlerstädtchen, wo man im Oberstübchen des Cafe Roka (das auf dem Album eine Song-Würdigung erfährt, genau wie Bisbee selbst mit dem bezaubernden „Bisbee Blue“) Quartier bezog. Ein etwas unwirklicher Ort muß es sein, dieses Bisbee: ohne Handy-Netz (ein Umstand, den Bums als besonders heilsbringend betont) und von einem Hauch des Mythischen umweht. Die Website „ghosttown.com“ billigt dem ehemals florierenden Kupferminen-Standort gar den „Status: semi-ghost“ zu. „Semi-ghost?“ Joey Bums hört das zum ersten Mal und lacht sich schief. „Das ist doch mal ein Aufhänger für die Geschichte 1 . Haha‘. Semighost. Und unsere Platte istsemi-heimgesucht!“

In diesem tendenziell romantisch-mythenumflorten Umfeld entstand der Grundstock zu Calexicos am wenigsten in Traditionalismen verwurzeltem Album. Statt gefällig einer erfolgsträchrigen Formel ä la Mexicali/Latm/Gypsy-Jazz hinterherzuwalzern, reichert die Band ihren Sound auf GARDEN RUIN aufs Reizvollste mit Pop- und Indierock-Stimmungen und -Harmonik an. Weniger Moll, mehr Dur, die Gitarren dürfen auch mal braten, die Trompeten sind mitunter eher in der Penny Lane unterwegs als in den Gassen von Tijuana. Klischeegefahr erkannt, Klischeegefahr gebannt? „Keine Mariachis diesmal“, sagt Burns. „Das war auf jeden Fall eine bewußte Entscheidung. Diese etwas pop-orientiertere Richtung hatten wir aber auf FEAST OF WIRE schon in Ansätzen, mit Songs wie ,Not Even Stevie Nicks…‘. Ein Pop-Einfluß, aber eben schon auf eine Art, die uns liegt, uns natürlich erscheint.“

Die neue Farbe im Calexico-Sound hat auch etwas mit einer neuen herzlichen Bekanntschaft von Burns zu tun: „Ich habe bisher eigentlich immer Akustikgitarren mit Nylon-Saiten gespielt. Damit ist man von Sound her fast automatisch immer gleich in so einem Southwestern/Mexicana-Idiom drin. In der letzten Zeit habe ich mich aber mit der Akustischen mit Stahlsaiten angefreundet, und ich hatte das Gefiihl, die lädteinen in ganz andere Richtungen ein.“Die Westerngitarre? Burns verzieht das Gesicht und lacht.

Ja, ich weiß. Ihr Deutschen nennt sie,Westerngitarre‘, aus irgendeinem seltsamen Grund. Ich nenne sie Steel String Guitar, bitteschön. Sie ist sicherlich eines der Instrumente im Mittelpunkt von Garden ruin. „

Auch textlich bewegt sich garden ruin mehr im Hierund Jetzt als frühere Calexico-Alben, die von den Mythen und Historien des Grenzlandes der kulturellen und sozialen Sprungschicht zwischen USA und Mexiko fasziniert waren und auch gern mit einer gewissen nostalgischen Note aufwarteten. Wenn das Album von etwas semi-heimgesucht ist, dann von den Geistern des sich verdüsternden politisch-sozialen Klimas in den USA, das muß man Burns auch gar nicht aus der Nase ziehen: Die Musik, die Atmosphäre auf dem Album, sagt er, sei in der Tat weniger melancholisch, die Texte aber doch „sehr“. Melancholisch bis kontemplativ bis zornig, in Abstufungen, drehen sich Songs wie „Cruel“, „Deep Down“, „Letter To Bowie Knife“ und „All Systems Red“ um ökologischen Irrsinn und gesellschaftlich-moralische Zerrüttungen und Verfall. Eine gewisse Paranoia ist da spürbar und ein nicht eben optimistischer Ausblick. In der Tat wirkt Burns ausgesprochen resigniert, was die politische Malaise in den USA angeht; die Wiederwahl Bushs kann er immer noch nicht fassen. „Es ist einfach bizarr. Aber es liegt daran, daß die Leute systematisch verdummt werden „, sagt Burns mit einem ungewohnt schneidenden Anflug im Ton. „Die Medien haben so viel Einfluß. Vielleicht kann einem das Internet etwas Hoffnung machen. Aber das Fernsehen istfürchterlich. Meine Eltern erwischt’s jetzt auch. Sie schauen nur noch Fox News TV. Meine guten altmodischen demokratischen Eltern!'“Diesen manipulativen Bush/Cheney-Hurra-Sender? Was ist denn mit ihnen? Burns seufzt und zuckt die Schultern. „Sie werden alt. Konservativ. Und ich liebe meine Eltern sehr. Also versuche ich zu verstehen, wo das herkommt …Es ist schwierig, weil sie halt ziemlich stur sind in ihren Überzeugungen. Und ich bin stur in meinen. Aber man hat sich gern. Schwierige Zeiten.“ Er lehnt sich zurück. „Ich hab’den Text von ,AII Systems Red’geändert. Ich hab‘ die Zeile ,even myfolks back homefollowing suit ‚ rausgenommen. Weil ich ihnen nicht zu nahe treten wollte. Ich hab‘ die Zeile geändert in ,more cars andplayfollowing suit.'“

„All Systems Red“, der letzte Song auf Garden ruin, ist der deutlichste politische Song auf dem Album. Gemeinhin versucht Burns mit einer sehr poetischen, enigmarischen Sprache „eher Gefühle“ über diese Sachverhalte auszudrücken, „ins Herz der Dinge zu schauen „. Allzu offenkundige Protestsongs sind nicht seine Sache. „Songs, die sehr polternd und dogmatisch daherkommen, die sehr konkrete politische Sachen ansprechen – Zahlen, Namen – solche Songs habenfür mich eine recht begrenzte Halbwertszeit.“ Und für Calexico, sagt Joey Burns später noch, geht es ihm sehr bewußt um Dauerhaftigkeit. Diese Band soll ihren Platz haben in absehbarer Zukunft, etwas Solides werden. „We wanne be around. Ich will in ein paar und ich will in vielen Jahren wieder hier sein und über diese ganzen Sachen reden ‚,‘ sagt er und lacht. „In einem Raum mit etwas anderer Wandfarbe vielleicht.“

>» www.casadecalexico.com —