Bernd Begemann über „„Killerspiele“
Der "„Elektrische Liedermacher" gestaltet auch seine Freizeit elektrisch, elektronisch gar: Er ist Garner, ein Mann vom Videospielfach. Und was er sieh wünscht, ist "Intelligenz und Medienkompetenz", keine Verbote.
Du hast auf deiner Platte sag ja zur Hölle von 2005 ein Lied mit dem Titel.. Ego-Shooter“. Hat Herr Stoiber schon bei dir angerufen und das Verbot des „jugendgefährdenden Songs “ gefordert –
Nein. Darüber hätte ich mich gefreut. Jeder sollte stolz sein, der den H ass der Ignoraten erregt. Aber in dem Lied geht es ja auch gar nicht um „Killerspiele“, sondern um einen Jungen, der sich freiwillig daheim einsperrt und Videospiele spielt, weil das leichter ist als sich mit seiner zickigen Freundin zu verabreden.
Du spielst selbst Videospiele …
Seit Jahren. Auf Tour spiele ich gerne eine Runde „Mario Kart‘. Mit meinen Freunden spiele ich nächtelang. Das sind tolle Abende. Erst „James Bond: Golden Eye“, dann „VirtualTennis“ und jetzt gerne „Halo“. Wenn man ein paar Stunden ein gutes Spiel zusammen spielt, dann ist das wie eine Wildwasser-Tour, dann hat man Abenteuer erlebt und wird zu Blutsbrüdern.
Seit ein 18-Jahriger am 20. November in Emsdetten beinahe ein Massaker an seiner Schule angerichtet hätte, ist die “ Killerspiel“-Debatte wieder in vollem Gang. Was ist davon zu halten, Spiele wie..Doom “ oder „Counterstrike „zu verbieten – Ein Schüler erschießt Mitschüler und Lehrer. Das ist eine neue Art von Katastrophe. Und das Erste, was den Leuten einfällt, ist über seine Spiele zu reden. Das ist, als hätte man nach dem Untergang der Titanic gesagt: Das Bord-Orchester hat eben genervt. Es herrscht eine unglaubliche Ignoranz, die man der neuen Kunstform Videospiel entgegen bringt. Es gibt Videospiele, die sind besser als alle Filme in den Kino-Charts oder 90 Prozent der Bücher auf der Spiegel-Bestsellerliste. Und „Resident Evil 4“ ist meiner Meinung nach ein größeres Kunstwerk als alle Neuinszenierungen an deutschen Theatern und Opernhäusern. Neuen Medien wurde ja immer Misstrauen entgegen gebracht. Noch im 19. Jahrhundert hieß es, dass Frauen keine Romane lesen dürften, weil Bücher wie „Effi Briest“ oder „Anna Karenina“ ihren Psycho-Haushalt durcheinanderbringen und sie zum Ehebruch anstacheln würden. In den 20er Jahren war man überzeugt davon, dass Filme das Publikum verrückt machen würden.
Aber jeder Amokläufer, egal ob in Emsdetten, Erfurt oder Littteton, hatte Ballerspiele auf der Festplatte.
Ich habe mich nach dem Columbine-Massaker lange mit dem neuen Verbrechen des schoolshootings beschäftigt. Wenn ich also versuche, mich in die Situation der Täter zu versetzen, dann spielen Videospiele doch nur eine kleine Rolle. Ich frage mich: Wo kommt der Welthass, der Menschenhass her? Das lernt man ja nicht in den Games. Doch plötzlich hieß es, Videospiele seien schuld und Marilyn Manson. Harris und Klebold (die Täterin Littleton – Anm. d. Red.) waren Techno-Fans! Die Medienberichterstattung über Verbrechen wie Columbine ist viel gefährlicher als alle Videospiele. Die Medien haben das Drehbuch für einen Amoklauf in der ganzen Welt verbreitet.
Was sind eigentlich., Killerspiele – Keine Ahnung, ich habe den Begriff ja nicht erfunden. „Counterstrike“ jedenfalls ist kein „Killerspiel“, sondern ein „Taktik-Shooter“. Zu „Killerspielen“ fällt mir nur die „Hitman“-Serie ein, in der man die Rolle eines Auftragskillers hat und Leute aus dem Weg schaffen muss. Aber bei diesem Spiel geht es um vorsichtige Vorgehensweisen und nicht um einen Amoklauf. Spiele wie „Manhunt“, die sadistisches und asoziales Verhalten belohnen, sind in Deutschland ja verboten. Wir haben das schärfste Jugendschutzrecht in Europa.
Spielst du selbst Ballerspiele?
Ja. Mit meinen Freunden. Das sind sehr harmonische und ausgelassene Abende. Ich glaube, diese Spiele machen aus einem ähnlichen Grund Spaß wie die „Cowboy und lndianer‘-Rollenspiele in der Kindheit. Hey: Spiele waren immer schon – gewalttätig. Schach ist ein Kriegsspiel. Auch „Mensch ärgere dich nicht“ ist ein Attentäter-Spiel, bei dem man den Gegner aus dem Weg räumen muss. Ich glaube sogar, dass Brettspiele viel gefährlicher sind als Computer-Games, weil sie so oft familiären Zwist auslösen.
Macht es keinen Unterschied, dass die Games das aggressive Verhalten nicht mit abstrakten Regeln und Figuren inszenieren, sondern durch fotorealistische Grafiken?
Kaum. Man macht eben, was möglich ist. Goethe zum Beispiel hat seinem Sohn eine Spielzeug-Guillotine geschenkt. Der Kleine hat dann damit seine Puppen geköpft, aber aus ihm ist auch kein irrer Revoluzzer oder ein zweiter Robespierre geworden. Und in den 7oer-Jahren haben die Kinder in Holland und Deutschland Geiselchen und Terrorist gespielt. Spiele greifen auf, was in der Luft liegt oder in der Tagesschau verhandelt wird. Wir haben zurzeit4O Kriege aufder Welt. Und die Welt ist voller düsterer Fantasien… Das erste Buch, das ich gelesen habe, war eine Kinder-Ausgabe der „Odysee“. Da war ich sechs Jahre alt und habe mich mit den Mördern und irren Psychopathen beschäftigt, die durch das antike Griechenland laufen. Das Buch war schön illustriert: der Riese mit dem Speer im Auge, sehr explizite Bilder. Aber meine Mutter saß neben mir und hat mir das alles erklärt.
Du meinst, die Verantwortung liege vor allem bei den Eltern, die den Medienkonsum ihrer Kinder überwachen und einrahmen sollten –
Kinder darf man nie alleine lassen. Vor einem Menschen, der nichts anderes macht, außer „Doom“ zu spielen, ohne menschlichen Kontakt, eine Art Kaspar Hauser des Videospiel-Zeitalters, vor dem hätte ich auch Angst. Und ich kann mir schon vorstellen, dass man nach einer Session „Grand Theft Auto“ Lust hat, ein Fahrrad zu knacken. Ich habe als Kind auch mal Bud Spencer imitiert und die Köpfe von zwei Freunden zusammengeschlagen. Die haben dann ein bisschen geheult und es mir zurückgezahlt. Ich hatte meine Lektion gelernt.
Das ist doch ein Widerspruch. Es ist ja gerade dieses „Nachahmungs-Verhalten , vor dem die Konservativen so viel Angst haben. Haben die also doch Recht?
Kunstwerke wirken. Aber nicht immer so, wie man denkt. Ich würde mir einfach ein bis sehen mehr Intelligenz und Medienkompetenz wünschen. Und bevor man Videospiele beschuldigt, sollte man erst mal alle Passagen aus Bibel und Koran streichen, in denen es um Mord, Gewalt, Inzest und Hass geht. Das wären dann ziemlich dünne Bücher. Die schlimmsten Massaker werden doch von Leuten angerichtet“die denken, Gott würde direktzu ihnen sprechen und sie müssten die Welt reinigen.
Du hast mal gesagt, Videospiele seien heute ein fester Teil der Rock ’n Roll- Welt.
Früher haben die Bands Karten gespielt oder gewürfelt. Heute gibt es keinen Nightliner ohne Playstation. Die Hackordnung in einer Band verschiebt sich proportional zu den Highscore-Listen des Tourbus-Spiels. Wenn ich während der Tour allein sein will, spiele ich Golf auf dem Computer. Das ist herrlich. Alles grün und harmonisch. Fast wie in Arkadien.
Spätestens jetzt wurde sich Herr Stoiber wohl Sorgen um dich machen. Versuchst du etwa der Realität zu entfliehen?
Warum hat Eskapismus einen so negativen Klang? Es ist doch eine wunderbare Fähigkeit des Menschen, sich aus seiner Umgebung zu erheben und andere Welten zu erforschen. Das ist die wichtigste Voraussetzung für Fortschritt und Veränderung. Ich bin auf Tolkiens Seite, der auch immer für seine bunten Fantasiewelten kritisiert wurde und der seinen Gegnern mal gesagt hat: „Werfindet Eskapismus schlecht?
Die Gefängniswärter!“ www.berndbegemann.de