Beinahe hätten sie sich getrennt – jetzt aber geht’s Echt wieder gut. Soeben haben sie ihr drittes Album fertig gestellt und mit „Wie geht es dir so?“ sogar ihren ersten Hit selbst geschrieben.


Hamburg, Schanzenviertel, ein heruntergekommener Gründerzeitaltbau, eingerahmt von verdreckten Baugerüsten. Das Haus wird saniert, soll bald ein Schmuckstück werden. Hauptquartier von Echt ist es seit anderthalb Jahren. Im zweiten Stock leben Drummer Flo Sump (20), Gitarrist Kai Fischer (21) und Danny, ein Freund. Die Jungs haben die geräumige Wohnung von der Schauspielerin Anna Loos übernommen, als die nach Berlin wechselte – Promi hilft Promi, so soll’s sein. Schon an der Wohnungstür wird klar: Das hier ist kein „Schöner Wohnen „-Refugium mit Designermöbeln, sondern eine sympathisch wuselige Junggesellen-WG. Dutzende Turnschuhe stehen, säuberlich zu Paaren geordnet, direkt neben der Tür. Lind gleich links geht’s ins Wohnzimmer, einen karg eingerichteten Raum, der beherrscht wird von der hellen Sitzgruppe und einem Klotz von Holztisch. Hier hängt man ab. Neben dem riesigen Polsterecksofa ein altes schwarzes Klavier, darauf ein Standbild von Gevatter Elvis. Ein weißer Lampion, Modell Ikea-nicht-so-teuer, baumelt von der stuckverzierten Decke. Und an der Wand hängt ein monumentales Gemälde, von dem Bassist Andreas „Puffi“ Puffpaff (20) behauptet, es stelle eine menschliche Kehle von innen dar. Auf dem Tisch – zwischen Aschenbecher, einer Schale mit Kulgelschreibern, Kerzen, Fernbedienung und Feuerzeugen sowie einer Packung Riesenblättchen zum Selberdrehen – liegt eine CD-Hülle. Darin das gerade fertig gestellte Echt-Album, noch ohne Titel, mit nüchternem weißen Cover und einstweilen nicht endgültigem Tracklisting.

Gegenüber der Sitzgruppe, auf einem wackeligen Holzklapptisch, thront ein TV-Gerät. Und daneben, auf dem Parkettboden, die Anlage, auf der sich CDs stapeln. Stilistisch geht’s quer durch den Garten: Turin Brakes, George Benson, James Brown, Fettes Brot, Weezer, dazwischen ein paar Selbstgebrannte, sogar ein Oldie-Sampler mit dem schönen Titel „Sexy Sixties“ – erlaubt ist, was gefällt. Stolz schiebt Kai das neue Echt-Opus in den Player (CD-Kritik auf S. 60). Wir reden über England, wo große Teile des Albums entstanden sind. Kai erzählt: „Das war aufm platten Land, ein einzelner Hof zwischen London und Brighton. Und nach ein paar Wochen wurd’s ganz schön einsam. Aber es war okay, wir wurden prima bekocht, es war genug gutes Equipment da, und wir konnten in Ruhe arbeiten, ohne Ablenkungen. Die meiste Zeit hat’s geregnet, wir sind kaum ausgegangen.“

Erstmals haben Echt auf diesem, ihrem dritten Album sämtliche Songs selbst geschrieben. Und bei der Produktion, die auch diesmal Franz Plasa verantwortete, kräftig mitgeholfen. Flo, im Schneidersitz auf dem Sofa hockend, stellt dazu fest: „Für uns war’s einfach der konsequente nächste Schritt, jetzt alles selbst zu machen.“ Mutig. Denn die Latte liegt verdammt hoch in Sachen Echt. Vom letzten Album, „Freischwimmer“, wurde immerhin rund eine halbe Million verkauft, und spätestens seit dem Rio-Reiser-Remake „Junimond“ gehört die Gruppe auch außerhalb des Teen-Segments zum etablierten Pop-Establishment. Hat man da die Schere im Kopf und die Hits im Nacken, die einem Profis wie Michel van Dyke („Du trägst keine Liebe in dir“) auf den Leib geschneidert haben? Kai tastet sich bedächtig murmelnd durch die Antwort: „Nee, eigentlich nicht. Wahrscheinlich, weil ich gar kein Bild von dem ‚typischen‘ Echt-Fan habe und auch nicht davon, was der hört oder hören will. Mir geht’s im Studio darum, einen Knaller zu machen, nichts Schwaches abzuliefern.“

Wer will das schon? Aber gefallen sollte der Knaller dann möglichst auch – und zwar den Fans. Wie steht’s da mit der Qualitätskontrolle? Gibt’s den berüchtigten Hausfrauentest? Kai lacht: „Nee.“ Flo zuckt die Schultern: „Höchstens Hausfrauen aus unserem Bekanntenkreis, aber wir kennen ja keine.“ Kai frotzelt: „Flo macht immer den Muttertest.“ Flo: „Lind der ist bei unserer neuen Single eindeutig klargegangen!“ Na prima, kann also nichts schiefgehen. Was hört denn Frau Mutter sonst so? Die Kollegen feixen, Flo windet sich: „Ja, hm, das ist im Großen und Ganzen schmerzfrei, würd‘ ich sagen. Sie hat auch den großen Erfolg des Safri Duos mitverursacht und glaubt, dass sie ein todsicheres Gespür dafür hat, was abgehen wird. Die würde aber alles gut finden, wenn’s von uns ist.“

Mamas Beste sind sie natürlich irgendwie immer noch, auch als gefeierte Popstars. Der auf dem Klavier liegende Geburtstagsbrief an Flo bestätigt das: „Viel Spaß auf Euren Reisen!“ und „ein Stück, ein Stück vom großen Glück“, wünscht Oma Gertrud da in steiler Sütterlinschrift. Wenn Oma wüsste. Urlaub war’s jedenfalls nicht, was die Fünf in den letzten jähren erlebt haben, eher eine wahre Achterbahnfahrt durchs Showbiz, Platte folgte auf Platte, Konzert auf Konzert, Reise auf Reise und Interview auf Interview, keine Zeit zum Durchatmen – „letzt oder nie“ hieß die branchenübliche Devise. Nach der „Freischwimmer“-Tour, der „Junimond“-Single und vereinzelten Open Airs im letzten Sommer war dann auf einmal Schluss. Ruhe. Pause. Für manchen der Jungs eine völlig ungewohnte Situation. Jeder begann für sich, die letzten Jahre zu reflektieren. Und entdeckte dabei nicht nur Gutes. Kai führt Keyboarder Gunnar Astrup (19) an: „Vor der letzten Produktion hatte ich das Gefühl, dass er nicht recht wusste, ob er überhaupt noch Bock auf Echt hat. Aber im Studio hat sich das ganz schnell geändert. Er hat wahnsinnig viel eingebracht und von uns allen wohl am besten gespielt. Mir scheint, er hat da den Glauben an die Band wieder gewonnen.“

Das heißt ja wohl, dass ihm dieser zwischenzeitlich abhanden gekommen war, oder? Große Krise? Kai nickt nachdenklich: „So ein bisschen. Es war eine Art Leere da. Auf einmal war Ruhepause. Wir schauten zurück, fingen an zu überlegen, wie der nächste Schritt aussehen könnte.“ Just in diesem Moment klingelt es. Gunnar kommt und hockt sich auf die Polsterkante. Er hört einen Moment zu und erklärt dann seine Sicht: „Es hat sich von Album zu Album geändert. Beim ersten war es so, dass ich keine Ahnung hatte, kaum genaue Vorstellungen von meinem Part entwickeln konnte. Diesmal habe ich mich richtig reingekniet und dabei auch den Spaß wieder gefunden.“ Trotzdem herrschte im Bandlager große Unsicherheit, die sich bis zur Vollendung von „recorder“ zog. Jeder in der Gruppe wollte mal hinschmeißen. Flo gibt bereitwillig zu: „Diesen Moment hat es gegeben. Aber damit hätte auch die Existenz der Band auf dem Spiel gestanden, denn es ist ein ungeschriebenes Gesetz für uns: Wenn einer zum Bund geht oder aus sonstigen Gründen aufhört, dann lösen wir uns automatisch auf.“ Die anderen nicken beifällig, Gunnar bestätigt: „Jeder von uns hat wohl mal mit dem Gedanken gespielt.“ Kai: „Ich hatte ihn zum Ende der Produktion hier in Hamburg. Und daraufhin kam es mit der ganzen Band zur Aussprache. Wir haben versucht, mal ein paar Dinge zu klären und zu definieren, über die man nicht täglich miteinander spricht.“

Speziell das Konzert am 29. Mai im Hamburger Schlachthof ist da als Wendepunkt in die Echt-Annalen eingegangen. Kai erzählt: „Ich hatte die Schnauze voll!“ Flo ergänzt trocken: „Das hast du auch öffentlich demonstriert.“ Wie das? Kai: „Ich hab‘ auf der Bühne ’ne Fresse gezogen. Und danach ging auch nicht mehr viel.“ Gunnar wirft ein: „Das war der Abend, wo wir zum ersten Mal die neuen Songs gespielt haben.“ Kai, sarkastisch: „Guter Zeitpunkt.“ Kein Zweifel, die Herren Kollegen waren von ihrem Gitarristen, wie man landläufig sagt, angepisst. Und der führt heute als Grund für sein Unbehagen, nun ja, sagen wir: eine depressive Verstimmung an. „Mit der Band hatte das kaum zu tun. Ich war einfach erschöpft, verunsichert und habe alles schwarz gesehen.“ Höchste Zeit also für ein klärendes Gespräch. Nur ist das so einfach nicht, weder im richtigen Leben zwischen gewöhnlichen Normalos noch bei „echten“ Popstars. Flo merkt an: „Unsere Diskussionen ziehen sich manchmal über Tage hin. Und es ist ein beschissenes Gefühl, abends ins Bett zu gehen und zu denken: Wer weiß, ob es uns morgen noch gibt. Ein paar Tage lang war es so.“ Puffi, inzwischen ebenfalls aufgetaucht, löffelt in einer Schüssel Honig Smacks und bringt es auf den Punkt: „Wir hatten Schiss, dass es aus ist, ich jedenfalls.“ Aber: „So schlimm war’s nun auch nicht, bisher haben wir in Krisen immer noch die Kurve gekriegt.“ So auch diesmal – Ende gut, alles gut: Schließlich stand die ganze Bande nach gemeinsamem Mahl beim Thailänder auf dem Tisch „und sagte ‚Ja!'“, wie Gunnar berichtet. Flo lacht: „Genau – das war so eine An ‚Club der toten Dichter“ für Arme.“ Und Kai grinst: „Ziemlich angetüddelt.“

Geschenkt, derlei gehört schließlich begossen. Prost also, zumal Echt nur zwei Tage später das erleben sollten, was ihnen bislang als Höhepunkt der Bandhistorie gilt: Pfingsten spielten sie live bei „Rock im Park“, wurden von Kollegen wie Travis (Kai: „Für uns eine Konsens-Band“), Divine Comedy und Blumfeld als ihresgleichen behandelt und erfuhren ehrliche Anerkennung durch ein erwachsenes Rockpublikum. Flo: „Für mich war das schon ein Erfolgserlebnis, dass nichts auf die Bühne geflogen kam. Wir sind ja schon in Duckhaltung dorthin gegangen. Aber das lief ganz entspannt ab. Und es war einfach geil zu sehen, dass wir zwar irgendwo auch diese Teenieband sind, aber genauso in der Lage sind, eine Riesenveranstaltung wie ‚Rock im Park‘ zu rocken.“

Eine gute Stunde spSter – die ersten „Flens“-Flaschen sind inzwischen geköpft – stößt Sänger Kim Frank (19), der sich noch um die Synchronisation eines TV-Werbespots kümmern musste, als Letzter in die Runde. Kai und Flo haben sich zwischenzeitlich zur Taekwondo-Stunde verdrückt, wo sie heute erstmalig mit bloßen Händen ein Holzbrett zerteilen wollen. Als sie zusammen mit Kais Freundin Franziska zurückkehren, legt die stolz eine zertrümmerte Fichtenplatte auf den Tisch und grinst: „Hier, hab‘ ich aber mit den Füßen gemacht.“ Kim nestelt an einer Tabakpackung und erklärt, warum ihn das ewige Angequatschtwerden in der Öffentlichkeit nervt. „Das bringt einfach Angstgefühle mit sich. Meine größte Angst ist nun mal die vor Menschen im Allgemeinen und davor, dass sie mich ansprechen. Ich hasse es, wenn Menschen mich angucken oder über mich reden.“ Da hat er ja genau den richtigen lob gewählt. Bedächtig nickt der Sänger: „Genau. Aber dieser Job ist wichtig, weil ich so mit dieser Grundangst immer wieder konfrontiert bin. Vielleicht ist es sogar der perfekte Weg, die Angst vor Menschen zu verlieren.“ Nachdenklich rückt er seine schwarze Brille zurecht und erläutert: „Im Grunde dringt jeder, der mich anspricht, in meine Privatsphäre ein. Es ist, wie wenn jemand vergeblich an deine Tür klopft und daraufhin die Tür aufbricht. Ich empfinde so etwas als eine Art von Vergewaltigung.“

Sensibelchen? Naiver Spinner? Weder noch. Kim will sich nicht mit Klischees zufrieden geben, versucht hinter die üblichen Erklärungsschablonen zu blicken, gibt dabei aber auch gekonnt den introvertierten Denker. Seine große Scheu verbirgt er hinter zuvorkommender Höflichkeit. Was wirklich in ihm vorgeht, bleibt seine Sache. Gerade im Umgang mit der Presse ist der Echt-Frontmann vorsichtig geworden. Das öffentliche Theater um seine Romanze mit der TV-Moderatorin Enie van de Maiklokjes hat ihm zu denken gegeben. Mitarbeiter einer bekannten Jugendzeitschrift sollen ihn damals regelrecht erpresst haben. Entweder es gebe ein Interview, oder man denke sich eins aus, habe es geheißen. Kai, resigniert: „Natürlich haben sie es sich ausgedacht.“ Und Kim meint: „Bei den Medien geht es nie um dich als Person, die Person ist nur innerhalb des jeweiligen Formats gefragt. Das macht es unglaublich schwer, sich selbst darzustellen.“ Wohl wahr. Was Kim anmahnt, ist die Sache mit dem Vertrauen: „Es sind ja Menschen, mit denen man spricht. Diesen Menschen traue ich, vertraue ihnen etwas an. Und manche brechen eben dieses Vertrauen. Natürlich stehen sie in ihrem Job unter Druck. Aber ist das mein Problem?“ In gewisser Weise offenbar schon.

Nach und nach löst sich die Interview-Situation auf, Kai und Flo fachsimpeln über Handkantenschläge, Puffi philosophiert über Ufos, die durch die menschliche Kehle an der Wand fliegen, ein Joint kreist, und eine Freundin klettert über das Baugerüst auf den Balkon, wo sie plötzlich wie ein Geist aus dem Dunkel auftaucht und klopft. Spooky, aber so etwas kommt in ganz gewöhnlichen Junggesellen-WGs eben vor.