Beat oder Bleep?


Es ist etwas passiert. Unerklärliche kommerzielle Erfolge auf dem Plattenmarkt sind über die Planer der Plattenfirmen hereingebrochen — man nennt sie Nirvana und Tekkno. Beide gehören zusammen wie der Arsch auf den Eimer. Meint zumindest Deutschlands Avantgardepop-Meister Phillip Boa, der uns diese Zeilen aus seinem maltesischen Zweitwohnsitz herüberfaxte.

BEAT IT. Schon lange spricht keiner mehr von der Band „Nirvana“. In der Plattenbranche ist längst die Rede vom Marktsegment „Nirvana“. Nur noch die Underground/Indie-Ideologen scheinen an das Reine, Gute & Wahre zu glauben. Mit halbintellektuellem Glanz in den Augen erzählen sie von der Band NIRVANA. die Michael Jackson und Genesis von der Spitze der Charts verdrängte. Daß diese Band wie längst etablierte 70’s-Combos in deren frühen Tagen klingt und exakt wie Metallica produziert ist, übersehen sie vorsorglich. Da erzählen sich die deutschen Underground-Indie-Trendy-Boys lieber stolz das Märchen, daß Nirvana sich ja total für ihren Erfolg schämen würden und nie auch nur eine Mark mit der Musik verdienen wollten. Es grüßt der Operetten-Schwank vom „Bettelstudent“.

Die Frage ist doch: Wieso verläßt eine Band nach nur einem Album bei einem anerkannten U.S.-Indie-Label diese Firma und geht für einen Vorschuß von 800.000 Dollar zu einem Industrie-Konzern? Doch wohl nur aus dem einen — durchaus nicht ehrenrührigen — Grund, möglichst viele Platten zu verkaufen.

Die deutschen Trendy-Journalisten sehen im „Nirvana-Markt“ die Zukunft der Musik. Daß es die Subpop/Seattle/Homestead/SST-Gitarren-Szene mit solcher Musik schon seit 6 Jahren gibt, haben sie verdrängt. Denn: Vor dem Nirvana hat unsere Zeitgeist-Journaille keine von diesen Bands (auch nicht die erfolgreichen Mudhoney) auch nur mit dem Arsch angeguckt.

Und jetzt? Ich sehe tausende deutsche Bands in den Übungsräumen, die ihr ganzes Programm auf „Nirvana“ umstellen. Ich sehe arme A&R-Leute bei den Plattenfirmen — die erste Welle „ähnlicher“ Bands haben sie schon „gesigned“, mit weiteren 100 verhandeln sie gerade. Es hagelt die ersten Flops, die Manager-Stühle wackeln…und keiner kapiert, daß „Nirvana“ einfach nur eine gute Band mit schönen, aggressiven, lebendigen Songs ist.

Keine Sorge, ich bin nicht neidisch: Nirvana sind für mich eine fantastische Rock-Band. Und ein hervorragendes Anti-Statement zu dem zweiten Goldesel der Plattenindustrie: „Tekkno“.

BLEEP IT. Tekkno, egal, ob man es gut oder schlecht findet, ist EINSEITIG. Es trennt die „Konsumenten“ in zwei unvereinbare Lager. Je maschinen-mäßiger der Sound in den Diskotheken, um so mehr entsteht eine starke Nachfrage nach genau dem Gegenteil. Das Gegenteil Anti-Computer-Musik, also handgemachte, „smells like“ Gitarren-Musik.

Die deutschen Medien sahen sich in eine schwere Krise gestürzt: Ist jetzt die Szene um Nirvana die Rettung der Populärmusik oder ist Gitarren-Rock völlig veraltet, konservativ und der Beachtung nicht mehr wert?

Der Hintergrund: Die Original-Tekkno-Musik stammt aus der Industrial/Noise-Ecke und ist zum Teil auch heute noch einigermaßen innovativ, schräg und verzerrt. Gut so. Nur — diese Musik verkauft nach wie vor nur an Minderheiten. Außerdem — wenn die Tekkno-Szene NEU sein will, warum benutzt sie dann fast ausschließlich Strukturen. Slogans und Samples aus der Rockmusik? Warum verwendet sie nur einen einzigen Rhythmus und behandelt immer die gleichen Klischees? (Genau das. was man der Rockmusik vorwirft…) Der Hauptgrund für den Erfolg scheint also doch an anderer Stelle zu liegen: In der Generation der 14- bis 20jährigen ist das TEKKNO-Haupt-Geräusch, nämlich das Arbeitsgeräusch eines Computers, ein natürlicher Teil ihres Lebens. Der Soundtrack ihres Alltags. Sie hören es in ihrem Betrieb. Tagein und tagaus. Wenn sie abends nach Hause kommen, arbeitet der Daddy am Atari. Surr Surr. Tekkno ist die Fortsetzung des Techno-Alltages mit musikalischen Mitteln, die Trigger-Muttermilch. Die Tekkno-Macher, oft älter als 25. agieren allerdings lieber als Hintermänner (weil selbst sie merken, daß sie zu alt oder over-groundig aussehen) und schieben quirlige Gesichter aus MTV-Werbespots nach vorne. Milli Vanilli für den Trend-Tanz.

Also: Nirvana fürs Gefühl und Tekkno für die Dumpfbirnen? Nicht ganz. Meine Vision: Ein Millionenheer von Friseusen und Steuergehilfen kommt via Tekkno in den Genuß von Exstasy. Sie ballern sich die Droge solange rein, bis das deutsche Volk geisteskrank ist. Dann wäre ich endlich der einzige normale Deutsche. Viva!