Bap in China


Es waren die gespenstischsten Konzerte ihrer Karriere. BAP spielten in ausverkauften Hallen und Arenen — und alles war mucksmäuschenstill. Für die chinesische Jugend ist Rock 'n' Roll noch immer ein Fremdwort, für die Polit-Funktionäre gar westliche Subversion. Evi Seibert und Leo Borchard (Fotos) begleiten die Botschafter Kölscher Kultur auf ihrem langen und manchmal auch steinigen Weg in China.

Ganz am Anfang der Rockmusik standen Chuck Berry, Elvis Presley und die Beatles, davon habt ihr bestimmt schon gehört.“ 20 chinesische Studenten schütteln den Kopf. Wolfgang Niedecken und Klaus „Major“ Heuser auch. Das gibt’s doch nicht, daß keiner weiß, wer Elvis oder die Beatles sind!

“ Was wißt ihr denn über Rockmusik?“

Schweigen. An diesem 7. Oktober in der Fremdsprachenhochschule Peking bekommen die beiden BAP-Musiker keine Antwort, trotz dreimaligen Nachfragens. Rockmusik ist für chinesische Jugendliche absolutes Neuland. Es gibt zwar Cassetten mit Disco-Musik aus Hongkong, ab und zu auch mal Madonna oder Modern Talking — aber auf der Tagesordnung steht diese Musik noch lange nicht. Allein das Wort Rock’n’Roll ist im offiziellen Sprachgebrauch so unanständig, daß es kurzerhand von den BAP-Tourplakaten in Peking gestrichen und mit „Moderne Musik“ überklebt wurde.

„Die Behörden fürchteten, daß zuviele aufsässige Jugendliche kommen, wenn das Wort Rockmusik erwähnt wird“, so ein Pekinger Journalist, der namentlich nicht genannt werden will. Und unter „Moderner Musik“ verstehen die Chinesen halt harmlose Schlager.

Die chinesische Regierung steckt, was die Richtlinien in punkto Jugendkultur, in einer teuflischen Zwickmühle — und die BAP-Tour machte dieses Dilemma allzu deutlich: Die alten Polit-Kader wußten sehr wohl, daß die Truppe den verpönten Rock’n-‚Roll spielt. Trotzdem wagten sie den Schritt und luden BAP offiziell nach China ein, als bewußtes Zeichen der Liberalisierung und Öffnung. Wenn aber chinesische Jugendliche diese Zeichen selber setzen, wie bei den Studentenunruhen im letzten Winter, wird das Wort „Liberalisierung“ postwendend für die nächsten Monate wieder vom Programm gestrichen.

Für die Musiker war die Tournee ein einziger Eiertanz, häufig genug an der Schmerzgrenze des Erträglichen. Auf der einen Seite merkten sie schnell, wie hungrig die chinesischen Jugendlichen auf alles Neue, auf bisher noch nie erlebte Rockkonzerte sind, auf der anderen Seite mußten sie ständig Kompromisse eingehen, um diese Konzerte überhaupt möglich zu machen. Ein Fehltritt, ein Radau beim Konzert — und die chinesischen Kids müßten wahrscheinlich wieder ein Jahr warten, bis die nächste Rockgruppe in China auftreten darf.

Also hielten sich BAP an die Spielregeln, auch wenn Niedeckens Stirn ab und zu eine steile Zornfalte zierte, etwa als sich die nette chinesische Ansagerin im silbernen Abendkleid auf der BAP-Bühne als äußerst freie Übersetzerin entpuppte. Niedeckens „Guten Abend Peking“ klang auf chinesisch so: „Es ist verboten, während des Konzerts aufzustehen, zu tanzen oder laut mitzuklatschen.“

Und so begann das erste Konzert in beängstigender Stille. Aus dem zaghaften Klatschen nach den ersten Tönen hätte jedenfalls niemand den Schluß ziehen können, daß die größte Halle Pekings mit 19 000 Leuten restlos ausverkauft war.

Die Musiker konnten vom Publikum sowieso nichts sehen. „Das seilsamste Konzert, das wir je gespielt haben“, war der einhellige Kommentar nach dem Gig. Aus „Sicherheitsgründen“ mußte die Band ganz allein im Fußballfeld-großen Inneren der Halle auftreten, wie Gladiatoren in der Arena. Die Zuschauer saßen weit entfernt auf den Rängen, zwischen ihnen 500 Polizisten, überwiegend in Zivil.

Sie hatten allerdings nicht viel zu tun — was sich offensichtlich schnell herumsprach, denn bei den folgenden Konzerten in Shanghai ging’s schon wesentlich lockerer zu. Hier trauten sich der Major und Niedecken auch mal von der Bühne, um endlich den ersehnten Kontakt zum Publikum zu finden.

Dafür fiel in Shanghai während des Konzerts der Strom aus. Für die Roadies an den Scheinwerfer-Spots über der Bühne eine willkommene Abwechslung: „So ’ne Zigarettenpause könnte man ruhig immer einlegen.“

Die neuen Spotfahrer-Kolleginnen sahen das nicht ganz so cool. Für sie stand nämlich der Herzallerliebste plötzlich ohne Saft auf der Bühne. Mitreisende BAP-Ehefrauen und -Freundinnen hatten, weil das Geld für die Tour so knapp war, einen Spot-Blitzkurs bekommen, um bei den Konzerten ihre Männer ins richtige Licht zu setzen.

Auf einem anderen Schnellkurs, noch vor der Abreise, hatten Crew und Musiker (verstärkt durch Wolf Maahn-Schlagzeuger Jürgen Zöller, Ulla Meinecke-Saxophonist Richard Wester und die Kölner Sängerinnen Claudia Hess und Kann Schweitzer-Faust) chinesische Anstandsregeln gepaukt: Finger weg von asiatischen Schönheiten, Drogen absolut tabu, Pünktlichkeit oberstes Gesetz. Also statt „Sex, Drugs and Rock’n‘ Roll“ eher „Lächeln, Teetrinken und modern musizieren.“

Das letztere blieb dann aber doch Rock’n’Roll, und zwar in längst vergessenen Formen. Major:

„Unglaublich, hier kommen die Sachen am besten an, mit denen ich mich zuhause total lächerlich machen würde. Die Chinesen geben Szenenapplaus, wenn ich beim Gitarrensolo auf die Knie falle. Sowas kann man sich bei uns seit Jimi Hendrix wirklich nicht mehr leisten. „

Seinen Plan, die Gitarre auf dem Rücken oder mit den Zähnen zu spielen, setzte er dann aber doch nicht in die Tat um. Es reichte schon aus, auf die Boxen zu springen und über die Bühne zu toben, um bei den Chinesen andächtiges Staunen zu erzeugen.

Daß Wolfgang Niedecken in Deutschland ein bekannter Sänger ist, wollten die meisten hingegen nicht glauben. Hier versteht man unter gutem Singen: dramatisch und möglichst hoch. Und das tut Niedecken nun wirklich nicht.

Dafür machte er den Chinesen jeden Abend die größte Freude, wenn er den Top-Hit „Feuer im Winter“ zusammen mit der Sängerin Cheng Fangyuan sang: auf chinesisch! Reihenweise brachen die Leute in begeistertes Kichern aus, wie die „Langnase“ (so werden Europäer hier genannt) „Dong Tian li de yi ba huo“ sang. Zu deutsch: „Du bist wie Feuer im Winter, die Flamme erwärmt mein Herz, jedesmal wenn Du zu mir kommst. Deine großen Augen sind so hell und glänzend wie der hellste Stern am Himmel!“.

Die Uraufführung des China-Hits fand übrigens in Essen statt, beim letzten BAP-Konzert auf deutschem Boden, allerdings unter lautstarkem Protest. Nicht wegen des Schnulzentexts, den verstand sowieso keiner, sondern wegen Niedeckens neuem Outfit: Die obligate Jeans T-Shirt-Uniform hatte der Meister zu Hause gelassen und durch Jackett und Schlips ersetzt, quasi zum Eintragen für offizielle China-Empfänge. Die Reaktion der Essener: „Schlips ab, Schlips ab“ — solange, bis Niedecken seinem Image wieder gerecht wurde und das anstößige Ding vom Hals band.

Weit weg von der BAP-Gemeinde. beim ersten förmlichen Bankett in Peking, kramte die Mannschaft die ungeliebten Sakkos und Krawatten wieder hervor. Man wollte die chinesischen Gastgeber nicht vor den Kopf stoßen.

Den größten Spaß aber hatten sie vermutlich selbst an der Verkleidung. Einer nach dem anderen erschien aus dem Lift und erreichte steigende Heiterkeitserfolge bei den Kollegen. Sogar die Roadies hatten sich beim Zwischenstop in Bangkok noch mit Seidenschlipsen eingedeckt.

In China sind hierarchische Strukturen von größter Bedeutung. Entsenden die Chinesen zu einem Gespräch einen Direktor, dann muß auch auf der Gegenseite der entsprechende Titel auftauchen. Irotz vehememer Versuche, sich vor der ungeliebten Verpflichtung zu drücken, mußte Niedecken als Delegationsleiter herhalten und jedesmal am offiziellen Höflichkeitsaustausch teilnehmen — was bei den blumigen Floskeln der Chinesen recht anstrengend sein kann.

Wie es in konkreten Situationen zu vermeiden ist, ins Fettnäpfchen zu treten, wenn es etwa um Fehler beim technischen Aufbau der Bühne geht, war eine schweißtreibende Angelegenheit und hörte sich zum Beispiel so an: “ Wir wissen, daß ihre Leute ausgezeichnete Arbeit leisten. Wir sind sehr dankbar für die Hilfe, die sie uns haben zukommen lassen. Wir sind sicher, daß dadurch die Verständigung zwischen Deutschen und Chinesen einen großen Schritt nach vorne getan hat. “ Nach drei weiteren Anläufen wurde dann mit vielen Kurven das Anliegen vorgetragen.

Die Antwort der Chinesen begann mit ebensovielen Floskeln, endete aber selten in einer konkreten Aussage. Kommentar der Musiker-Frauen: „Wir kommen uns vor wie Diplomaten-Gattinnen.“

Als Diplomaten, genauer: als Kulturbotschafter, hatte Kölns Oberbürgermeister Norbert Burger BAP auch nach China verabschiedet. Bei den Musikern traf er mit seinen salbungsvollen Worten nicht gerade auf Wohlwollen. Am deutlichsten sagte das Major, beim Empfang in der deutschen Botschaft in Peking: “ Wenris darum geht, uns stolz als erste deutsche Band in China zu präsentieren, sind wir plötzlich Botschafter der Jugendkultur und alle Politiker schütteln uns die Hand. Als es aber im Vorfeld darum ging, uns finanziell zu unterstützen, wie das für klassische Orchester gang und gäbe ist, war von Kulturbotschafter rein gar nichts zu hören.“

Konsequenz: BAP finanzierte die Tour selbst, zusammen mit der chinesischen Kulturseite. Gagen für die Musiker gab es nicht, die Roadies arbeiteten gegen reines Unkosten-Entgelt.

In der deutschen Botschaft in Peking stieß das auf bedauerndes Kopfschütteln und Anerkennung für „den großen Idealismus; das macht ihnen so leicht keiner nach.“

Beim Konzert in Peking marschierten auch die alten Polit-Kader auf und ließen sich, exakt zum zweiten Gong, auf roten Plüschstühlen nieder. Bei einem Tässchen Tee verfolgten die alten Herren diese neue Musik, die der chinesischen Jugend so gefällt. Gegen Ende des Konzerts, das sie, ohne eine Miene zu verziehen, tapfer durchhielten, wirkten sie relativ ratlos.

Zum Glück blieb noch Etikette und Zeremonie. Die jüngeren Kader wurden herangepfiffen, um ein Blumenbouquet auf die Bühne zu tragen. In Reih und Glied wackelten die älteren Herrschaften hinterher und schüttelten den BAPs die Hände.

Nach dem dritten Auftritt passierte es Niedecken dann auch in China: „Bappo, Bappo“, riefen Jugendliche auf den Straßen in Peking und spielten imaginäre Gitarren-Soli.

Viel Zeit zum Spazierengehen blieb den Musikern allerdings nicht: Sightseeing, Mauer besuchen, Tempel besichtigen, andächtig vor dem grossen Mao-Plakat verweilen (wehmütige Blicke bei den alten 68ern), das Programm war randvoll. Bei einem Fabrikbesuch in Shanghai ließ sich Schmal Boeker im Fabrik-eigenen Krankenhaus mutig gegen Rauchen akkupunktieren. Den Fehltritt nahm ihm sein Rock’n’Roll-Exzesse gewöhnter Körper allerdings übel: Schmal ward kreidebleich und wurde von den chinesischen Krankenschwestern erst mal in die Horizontale verfrachtet. Eine halbe Stunde später, bei der ersten Zigarette, ging’s dann wieder besser.

Nicht nur bleich, sondern geradezu grün verfärbten sich einige Gesichter beim ersten offziellen Essen. Stäbchentechnisch klappte zwar alles bestens, allerdings stellten sich die angeblichen Nudeln als gekochte Quallen in Streifen heraus.

Die deutschen „Kulturbotschafter“ konnten sich mit dieser Variante chinesischer Eßkultur jedenfalls nicht anfreunden.

Bei ihrem Vortrag in der Fremdsprachenhochschule Peking erfüllten Niedecken und der Major ihre Aufgabe allerdings glänzend. Zumindest bekamen 20 chinesische Studenten die wahrscheinlich originellste Vorlesung ihres Studiums: Dozent Major über die Ursprünge der Rockmusik: „Wenn du jetzt auf einmal nach Hause kämst, würdest dir einen Verstärker kaufen, die Haare lang wachsen lassen und sagen: .Das ganze System ist Scheiße‘, würdest dann in deinem Zimmer laut aujder Gitarre rumhauen, dann fühlten sich deine Eltern provoziert und würden dir sagen: ,So geht das nicht.‘ Und du sagst:, So geht’s wohl.‘ Dann sagt dein Freund zu dir: .Hör mal, was du da machst, finde ich ganz toll, ich wollte meinen Eltern schon immer mal sagen, daß es so nicht geht.‘ Und dann läßt der sich auch die Haare wachsen, kauft sich ’ne Gitarre, und ihr macht beide laute Musik. So entsteht Rockmusik. „