Bang!
Chicago könnte die Hauptstadt des HipHop werden.
Jede Stadt hat den HipHop, den sie verdient. Was den New Yorkern ihr minimalistisch-düsterer Walkman-Blues ist, ist den autofahrenden Kaliforniern ihr ausladender, melodischer Lenkrad-Funk. Und in Atlanta klingt die Musik nach den Stripclubs, in denen sie aus den Boxen knallt. In Chicago klingt sie: nach nichts und allem. Denn Chicago hat es nie geschafft, in den Rang einer großen Rapstadt. Dabei hat die Metropole am Michigansee eine stolze Tradition großer MCs. Sei es der flinke Zungenartist Twista oder der aparte Soulbruder Common, das genialische Großmaul Kanye West oder der große, alte Haudegen des lokalen Streetrap, Bump J. Doch deren Ansätze waren stets zu unterschiedlich, als dass sich daraus eine homogene Szene hätte entwickeln können. Rund um den 16-jährigen Chief Keef und seinen 18-jährigen Produzenten Young Chop ist nun allerdings eine komplett neue Generation im Anmarsch, die Chicago endlich das verdiente Ansehen als HipHop-Hauptstadt sichern soll.
Einen einheitlichen Sound hat die Stadt dabei immer noch nicht. Während Tracks wie die hyperaktive Clubhymne „I Get Money“ von Lil‘ Durk und King Louie mit ihrer Snare-lastigen Drum-Programmierung in der Tradition von Chicago Juke stehen, borgt Chop sein rhythmisches Grundgerüst beim ähnlich jungen Superproduzenten Lex Luger aus Atlanta – und füllt es mit Samples aus den globalen Fundgruben der MP3-Blogs. Neu aber sind der Zusammenhalt der Protagonisten sowie die konzentrierte Aufmerksamkeit von Medien und Fans. Ein größeres Momentum hatte die Stadt nie. Blogs wie Fake Shore Drive und So Many Shrimp bringen täglich neue Songs von Rockie Fresh, Lil‘ Reese, Fredo Santana und L.E.P. Bogus Boys. Das Def-Jam-Label (neuerdings unter dem Vorsitz der Chicagoer Produzentenlegende No I.D.) hat Lil‘ Reese und Lil‘ Durk unter Vertrag genommen, King Louie hat bei Sony unterschrieben. Und jüngst nahm sogar Kanye West eine neue Version des Keef-Hits „I Don’t Like“ auf. Die führte zwar zu einigem Unmut bei Originalkomponist Young Chop („Fuck that remix“), aber auch zum Ausnahmezustand im Netz. Ob es sich bei all dem um den nächsten kurzlebigen Regionalhype der Gimmick-süchtigen Blogosphäre handelt oder eine echte Bewegung, muss wie immer die Zeit zeigen. Im Moment aber gibt es keine energetischere, euphorischere, coolere Rapmusik als die Hobbykeller-Hits von Keef und Co.
Oder, um es im lokalen Idiom zu sagen: Bang!