Aztec Camera – Klang des jungen Schottland
Als Roddy Frame Mitte 1980 mit David Mukholland und Alan Welsh das Trio Aztec Camera gründete, war gerade die erfolgreiche Periode der unabhängigen Labels. Überall in Großbritannien schössen sie aus dem Boden und machten zum Teil erstaunliche Umsätze, ja lehrten sogar den Platten-Riesen das Fürchten Oft waren sie stilistisch so interessant und einheitlich gestaltet daß man von einem speziellen Labelsound redete So ein Fall war das Postcard-Label („The Sound Of Young Scotland“), das seine Aufgabe dann sah, die zarten, sensiblen, Beat- und Soul-beeinflußten Klänge von Orange Juice, Josef K und anderen schottischen Bands auf den Markt zu bringen.
Keine Frage, daß die extrem verspielte und an melodischen Raffinessen reiche Musik von Aztec Camera genau das richtige für Postcard war: März 1981 erschien die erste Single „Just Like Gold“ „We Could Send Letters“, im August desselben Jahres die noch schönere, facettenreiche Frame-Komposmon „A Mattress Of Wire“ mit der B-Seite „Lost Outside The Tunnel“. Wehmütige Balladen mit viel Gitarren-Feinheiten und leidenschaftlichem Gesang.
Inzwischen war aber der Independent-Boom vorbei. 1982 hatten sich Josef K aufgelöst, ihr Sänger Paul Haig versuchte es solo mit Soul-Anleihen, ebenfalls Orange Juice (für ihre mittlerweile zwei LPs zur Polydor gewandert), die sich stark bei Soul und einer, ihrem zarten Temperament entsprechend, sensibüisierten Form von Disco bedienten.
Wesentlich langsamer verlief diese Entwicklung bei ihren Landsleuten Aztec Camera. Erst mal wechselte Roddy mehrfach die Besetzung, heute ist A C nur noch ein Duo, der zweite Mann am Baß heißt Campbell Owen; Roddy selbst singt, spielt Gitarre und schreibt alle Songs.
Dann besann man sich und ging nicht zur Industrie, sondern ließ sich von Englands größtem unabhängigen Label Rough Trade vertreten. Dann bastelte Roddy fast ein Jahr, bis im Herbst ’82 „Pillar To Post“ auf den Markt kam, eine allerorten gelobte, melancholische Single, die einen winzigen Schritt von den komplizierten Melodien zu einer leichter verständlichen musikalischen Spracheahnen ließ.
Doch erst „Oblivious“, die neue Maxi, zeigt den ganzen Umfang des gegenwärtigen Frame/Camera-Stils: einerseits ein extrem eingängiger Refrain, eine Heerschar von Gastmusikern, die das zerbrechliche Gebilde etwas stärkt, andererseits aber eine unglaubliche Fähigkeit, auch in diesem kommerzielleren Rahmen die Camera-typischen Eigenschaften zu erhalten Übrigens ist selten ein schöneres Mädchen auf einem Cover zu sehen gewesen.
Nach nunmehr zweieinhalb Jahren Bestehen erscheint dieser Tage HIGH LAND. HARD RAIN, die Debüt-LP von Aztec Camera, die schon im Titel Schottland besingt Neben den B-Seiten der beiden frühen Singles sind auch „Oblivious“ und „Plar To Post“ auf der Platte, und auch sonst wird der Kenner der Gruppe weder . enttäuscht noch überrascht. Aber der ist ja noch eindeutig in der Minderheit.
Für die Mehrheit der Menschheit könnte diese Platte eine der ganz großen Entdeckungen mit sich bringen: einen Sound, der Anhänger persönlicher, sensibler Songwriter-Musik ebenso begeistern wird wie die Anhänger rein musikalischer Raffinesse. Möglich, daß Rough Trade damit endlich seinen ersten richtigen Hit landen wird.