Aus der Musikexpress-Ausgabe Februar 2001: Xavier Naidoo – Mann Gottes


Den Himmel, meint Xavier Naidoo, finde man schon auf dem Weg zum Kühlschrank. Kein Wunder, dass viele ihm nicht folgen können.

„Kopf ab. Ob wir das wohl überleben?'“, ereifert sich der bekennende Christ Naidoo. „Unter dem Einfluss dieser Texte stehe ich. Ich gebe nur weiter – teilweise ungefiltert, teilweise mit angezogenen Zügeln.“

So zürnt der heilige Xavier etwa: „Ihr wisst nicht, wo der Himmel ist.“ Stellt sich die Frage, wo er denn nach Naidoos Meinung zu finden ist, der Himmel. „Du findest ihn schon auf dem Weg zum Kühlschrank. Vor 4000 Jahren konnte keiner mal eben eine Tür aufmachen, hinter der er etwas zu essen fand.“ Naidoo macht eine bedeutungsvolle Pause. „Mit all unserer Technologie sind wir dem Himmel so nah“, verkündet er dann, „wir müssen nur noch auskehren.“ Auskehren? Halt, Naidoo möchte sich korrigieren. Zunächst sollte jeder vor seiner eigenen Haustür kehren: „Die eigene Stadt muss auf Vordermann gebracht werden“, tönt er. Wie der Sänger dazu beitragen will, weiß er genau. Er setzt alles daran, in Mannheim neue Arbeitsplätze zu schaffen. Ein eigener Autoverleih war ein erster Schritt in diese Richtung. Der Clou: Der Kunde braucht keine Kreditkarte. Unnötiger Firlefanz, befindet der geschäftstüchtige Künstler. Er selbst verzichtet auch auf Plastikgeld. Nur Bares ist Wahres, davon ist Naidoo überzeugt. Darum ist er heute einer seiner besten Kunden. „Jetzt muss ich nicht mehr für mehrere Tausend Mark im Monat irgendwo eine Limousine mieten“, freut sich der findige Mannheimer.

Überhaupt Mannheim. Seine Heimatstadt hält Naidoo für das neue Zion. Was ihn auf diese Idee gebracht hat? „Als ich Silvester ’92 in der Bibel las, wurde mir klar, dass die Beschreibung Zions auf Mannheim passt.“ Das mag schon sein. Warum aber sind ausgerechnet die Mannheimer die Auserwählten? „Die Auserwählten sind wir nicht“, korrigiert der Musiker. „Ich sage nur: In Deutschland könnte das Zion stehen, in dem sich 144.000 weltweit Auserwählte treffen werden.“ Das hätten wir also geklärt. Jetzt allerdings drängt sich die Frage auf, ob die gemeinsame Bibellektüre für die Söhne Mannheims wichtig ist. „Nee, wir sind schließlich keine Sekte“, fällt Xavier Naidoo dazu ein. „Nur weil sechs Leute bibelfest sind, muss nicht auch der Rest in der Heiligen Schrift lesen.“ Nun meldet sich Edo Zanki ebenfalls zu Wort: „Ich finde es aber schön, wenn wir uns vor einem Auftritt kurz an den Händen halten und miteinander reden.“

Nähe zum Glauben also ja, aber Bibeltreue muss nicht sein. Die Zehn Gebote hält nicht mal Naidoo ein. „Wenn einer das hinkriegt, ist das der Hammer“, platzt er heraus. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ ist für den Sänger das wichtigste Gebot. Ansonsten nimmt er es nicht ganz so genau. Zumal „Du sollst nicht ehebrechen“ für ihn niemals aktuell sein wird: „Ich werde nicht heiraten. Denn ich will vor Gott kein Versprechen geben, das ich vielleicht irgendwann brechen müsste.“

Trotzdem, sein Glaube ist für Naidoo unantastbar, kein Zweifel. Die Gesetze Deutschlands dagegen nicht. Wegen Drogenbesitzes (50 Gramm Marihuana) und Fahrens ohne Führerschein wurde der Künstler vom Mannheimer Amtsgericht zu 20 Monaten Haft auf Bewährung und 100.000 Mark Geldbuße verurteilt. Die Drogenfahnder holte er sich praktisch selbst ins Haus, als er in einem Interview bekannte: „Ich rauche eigentlich ziemlich viel Marihuana.“ Dieses Geständnis hätte ihn in den Knast bringen können, das weiß der Sänger wohl: „Ich war mir darüber im Klaren, dass diese Aussage Konsequenzen haben könnte. Trotzdem wollte ich mal die Stimmung in diesem Land testen.“ Ganz schön gewagt. Nehmen sich doch viele junge Leute einen Star zum Vorbild. Quatsch. Das sieht er ganz anders, der Xavier: „Idole sind gefährlich. Ein Jugendlicher sollte lieber zusehen, dass er sein eigenes Leben an den Start kriegt.“ Auf Starkult steht Naidoo wirklich nicht. Darum lehnt er es kategorisch ab, Autogramme zu geben: „Ich will nicht in einem Kinderzimmer angebetet werden. Lieber erkläre ich einem Jungen oder einem Mädchen eine Stunde lang, warum ich keine Autogramme schreibe.“ Die jungen Fans zeigen sich danach meistens einsichtig. Einige Mütter dagegen regen sich über Naidoos Unnachgiebigkeit auf. Zu Unrecht, findet er: „Ich musste als Kind auch lernen, dass ich nicht alles haben kann, was ich haben will.“

Seinen Dickkopf hat Naidoo sich trotzdem bewahrt. Dass sein früherer Brötchengeber Moses Pelham die erste Single der Söhne Mannheims per einstweiliger Verfügung stoppen wollte, konnte ihn nicht bremsen. Pelham hatte die Auffassung vertreten, die Eigenvermarktung der Söhne Mannheims verstoße gegen Naidoos Exklusivvertrag mit seinem Label 3p. Der Beschuldigte indes berief sich auf eine Vertragsklausel, die es ihm nach seinem Verständnis ermöglicht, sämtliche Aktivitäten der Söhne Mannheims von 3p freizustellen.

Das Gericht entschied zu Naidoos Gunsten. So richtig glücklich ist Xavier trotzdem nicht: „Ich hätte nicht erwartet, dass Moses gerichtlich gegen mich vorgehen würde.“ Kurze Pause, ein Räuspern, dann nimmt der Sänger den Faden wieder auf: „Aus seiner Warte habe ich Moses bestimmt auch enttäuscht.“ Und jetzt? Jetzt hat Xavier Naidoo seinen Vertrag mit 3p aufgelöst: „Ich bin frei, Gott sei Dank.“ Das definitive Aus einer Männerfreundschaft? Nicht unbedingt: „Wenn Moses anrufen und sagen würde: ‚Lass uns ‚was zusammen machen‘, fände ich das geil. Aber das wird wohl so nicht passieren.“