Augenzeuge: Der Fahrer
Was machen die Superstars auf dem Rücksitz der Limousinen? In den Aufnahmestudios, wenn die Mikros abgeschaltet sind? ME/Sounds beginnt eine Serie mit den Berichten der Augenzeugen
Er hat mit Bruce Springsteen Reizwäsche gekauft, Michael Jackson heimlich in den Berliner Zoo geschleust, und sich nur in letzter Sekunde von Liza Minnellis Bettkante retten können. Georg Kerwinski, 47, seit 20 Jahren Star-Betreuer und VIP-Chauffeur für die Konzertagentur Mama Concerts. Im Fond seiner Mercedes-Limousinen saßen Joe Cocker, Whitney Houston, Paul McCartney und alle anderen Götter des Pop und Rocks. Für den Musikexpress notierte Georg Kerwinski seine Erinnerungen in ein schwarzes Büchlein mit rotem Rand. Augenzeugen-Berichte, die der Musik Express exklusiv veröffentlicht.
Im Jahr 1992 betreute Kerwinski Michael Jackson auf seiner Deutschland-Tournee. „Wir wohnten in Pflaums Posthotel bei Bayreuth. Es war so gegen ein Uhr nachts. Ich ging über den Hotelgang, wollte noch einen Drink an der Bar nehmen. Da kam mir Michael mit seinem Security-Chef und einem Jungen, der immer bei ihm war, entgegen. An der Wand hingen Fotos von den Bayreuther Festspielen, Portraits von König Ludwig. Michael schickte die beiden anderen weg, setzte sich auf den Teppich und wollte wissen, ob Wagner und König Ludwig ein Verhältnis hatten. Ich sagte: ‚Ja.‘ Michael: ‚Wow, that’s great‘. Er war völlig fasziniert.“
Vier Jahre davor hatte Kerwinski Michael Jackson in Berlin zum ersten Mal getroffen. Sonntags, am Tag seiner Ankunft, wollte Michael in den Zoo gehen. „Vor dem Hotel standen tausende Fans. Michael verkleidete sich – falsche Zähne und Schnurrbart. Wir spazierten – unerkannt von allen Fans – zweieinhalb Stunden durch den Tiergarten. Michael war immer sehr erfolgreich, wenn er seine Fans auf die falsche Fährte locken wollte. Manchmal setzte er sich verkleidet in einen Rollstuhl, oder er spielte den Krankenpfleger. In München bestand er darauf, einen Zauberladen und ein Spielzeuggeschäft halb leer zu kaufen. In Berlin besuchte er zweimal nach Geschäftsschluß einen etwas seltsamen Buchladen, blieb bis weit nach Mitternacht. Als ich seine Bücher durchsah, sah ich dazwischen jede Menge Akt-Fotos.“
Wer ist der Mann, der die Stars in Situationen kennt, wie kein anderer? Klosterschüler und Beatles-Fan Georg Kerwinski war Feinmechaniker bei Siemens, legte nachts Platten in Münchner Diskotheken auf, später in London. 1971 lernte er den Musikmanager und Mama Concert-Chef Marcel Avram kennen, der ihn als Tourneeleiter engagierte. Vier Jahre lang organisierte er die großen Rockkonzerte in München, u.a. mit Deep Purple. Nach einem kurzen Gastspiel als Restaurantbesitzer in London kehrte er nach Deutschland zurück und arbeitete wieder für Avram. Seit 20 Jahren ist er im Musik-Geschäft und seine Wohnung in München gleicht einer Hall of Farne. An der Wand Kerwinski und Michael Jackson, Kerwinski und Tina Turner, eine Widmung von Kate Bush, ein Autogramm von Madonna, ein Foto von Bruce Springsteen. Der Chauffeur als Fan. Kistenweise Fotos, Ausweise, Erinnerungsstücke, auf dem Wohnzimmertisch das schwarze Notizbuch. Kerwinski nimmt es in seine Hand, blättert, und erzählt weiter.
Über Whitney Houston,
zum Beispiel: Sie wird von ihren Security-Leuten völlig abgeschirmt. In Berlin fuhr ich mit der 600er Mercedes-Limousine im Schrittempo neben Whitney her, während sie auf dem Ku’damm Schaufenster anguckte, umringt von vier Leibwächtern. In Frankfurt mußte ich eine neue Mercedes-Limousine austauschen, weil im Fond angeblich irgendwas klapperte. ‚Wenn Whitney das hört, wird sie verrückt.‘ sagte mir einer der Bodyguards. Es gab natürlich auch Gerüchte über ihre Vorliebe zu Frauen. Ein Freund erzählte mir, daß sie bei einem Fest am Seehaus in München mit einem Mädchen in einem Ruderboot verschwand. Heute ist Whitney verheiratet, hat ein Kind und die Gerüchte, an die ich selbst nie geglaubt habe, sind verstummt.“
Liza Minelli:
Liza reiste immer mit einem ganzen Stab – Bodyguards, Friseur, Maniküre-Frau, ihre Assistenten, die alle wieder einen Assistenten hatten. Alles lief gut, bis Düsseldorf, als Liza bei der Fahrt ins Konzert bemerkte, Neue Serie!
daß die Plakate nicht richtig gedruckt waren. Sie bekam einen Schreikrampf ‚Those fucking nazi-german cock suckers.‘ Da reichte es mir. Ich hielt den Wagen an, stieg aus und ließ sie die letzten Meter zur Halle laufen. Das war natürlich ein Skandal und Liza wollte zuerst nicht auftreten. Später rief sie mich in ihre Garderobe. Sie trug nur ein durchsichtiges Neglige, entschuldigte sich bei mir, warf sich vor mir auf den Boden und begann mich von den Knien aufwärts zu küssen. Nach dem Konzert zogen wir Arm in Arm durch die Diskos, im Hotel ging ich mit in ihr Zimmer. Sie streichelte mich, zog mich auf die Bettkante. Ich sagte ihr, daß es heute nicht geht, weil ich noch so viel Arbeit habe. Das Spiel wiederholte sich dann jeden Abend. Zum Glück geht jede Tour irgendwann zu Ende.“
Tina Turner:
„Sie flog selten, fuhr lieber mit dem Wagen, selbst weite Strecken. Nach dem Konzert setzte sie sich immer sofort ins Auto und wir fuhren los. Unterwegs zog sie sich im Fond um, aber ich mußte ja auf die Straße sehen. Leider. Ein Koch hatte ihr immer Essen vorbereitet, meist etwas thailändisches. Aber manchmal bekam Tina Hunger auf eine Bockwurst und wir fuhren an eine Raststätte oder aßen an der Imbißbude. Oft war ihr Patenkind, der Sohn ihres Gitarristen dabei. Sie kaufte ihm in Paris für 5000 Dollar Spielsachen, fütterte ihn im Auto mit Chips und wenn er sich übergeben mußte, machte sie selbst alles sauber. Sie liebte ihn, als sei es ihr eigenes Kind.
Tina ist ein ganz besonderer Mensch. Ihr Haus in Köln ist voll von Antiquitäten und ägyptischen Kunstwerken, vor dem Haus Infrarotkameras, im Inneren eine Monitor-Wand. Aber sie ist sehr unkompliziert. Nach einem Konzert in Köln fuhren wir zu ihr nach Hause, bestellten über Autotelefon ein paar Pizzen und aßen sie bei ihr am Küchentisch einfach aus der Hand. Ich habe selten eine so wissbegierigen Menschen getroffen. Als sie erfuhr, daß mein Vater Grieche ist, wollte sie gleich alles über die griechische Mythologie wissen. Aus Athen brachte ich ihr mal zwei Bücher mit, die heute noch in ihrem Schlafzimmer stehen. Tina ist ein sehr spiritueller Mensch. In München wohnte sie immer in einer Suite des Palace-Hotels. Sie kannte den Besitzer ganz gut. Als derMann plötzlich starb, spürte Tina bei ihrem nächsten Besuch die Gegenwart des toten Mannes und unterhielt sich mit seinem Geist.“
Peter Frampton:
„Ich begleitete ihn in den 70er Jahren. Meine wichtigste Aufgabe war es, vor ihm zu verbergen, was seine Freundin alles anstellte. Sie war ein Groupie, trieb es mit den Roadies, während er auf der Bühne
ROCK’N’ROLL IM FAHRSTUHL
stand. Einmal mußte ich sie sogar aus der Toilette eines Zuges rausholen, wo sie es mit einem andere Passagier machte.“
Joe Cocker:
„Wir waren auf dem Weg von Bremen nach Essen. Plötzlich platzt bei 230 km/h der Reifen. Jedes andere Auto segelt über die Leitplanke, aber der Mercedes hält die Spur. Joe sitzt im Fond und hatte sich gerade einen Bacardi Cola eingeschenkt. Er bekommt einen Riesenschock, ist weiß wie die Wand, aber trotzdem absolut happy: kein Tropfen war aus seinem Glas verschüttet. Wochenlang erzählte er allen: ‚Bei 230 platzt uns ein Reifen und ich habe keinen Schluck von meinem Rum verloren.'“
Deep Purple:
Nicht alle Erlebnisse mit Stars enden glücklich. Einer, der Kerwinski gewaltig gegen den Strich ging, war Ritchie Blackmore. „Ritchie ist ein Unruhestifter. Er zettelt gern Streit an, verdrückt sich dann und läßt andere die Prügel austeilen. Es gibt nicht viele Leute, die ihn mögen.“ Das kann so nicht sein, denn bei den Groupies hatte Blackmore sicherlich beste Karten. „Er hatte einen unglaublichen sexuellen Appetit. Auf der Purple Tour in den 7oern vernaschte er reihenweise Groupies. Die erste vor dem Gig in der Garderobe, die zweite vor der ersten Zugabe, die nächste nach dem Konzert, noch zwei auf dem Rücksitz im Auto. In Hamburg drückte er im Hotellift auf den Nothalt-Knopf und bumste ein Groupie, während wir alle auf die Weiterfahrt warten mußten. Und im Hotelzimmer warteten schon drei weitere Mädchen auf ihn.“
Tom Petty
hatte andere Vorlieben: „Ich war sein Dolmetscher in München, und wir hingen bei mir Zuhause rum, weil die Jungs etwas rauchen wollten. Wir saßen auf den Matrazen, unterhielten uns. Plötzlich entdeckte Tom in meiner Plattensammlung die Smokie-Version von ‚Needles and Pins‘ und hörte sie sich pausenlos an. Ein paar Monate später kaufte ich mir seine neue Platte – und da hat doch der Song ‚Listen To Her Heart‘ fast die gleiche Anfangsmelodie wie ‚Needles and Pins‘.“
Rod Stewart:
„Rod war wirklich einer der heißesten Jungs. Wir waren mal wieder in Berlin und Rod hatte eine seiner vielen Groupies am Arm. Der Nachtportier des Edelhotels war aber einer von der ganz alten Sorte und wollte das Mädchen einfach nicht reinlassen. Die beiden zogen an den Armen der Kleinen herum, es war fast zum Lachen. Bis Rod die Sache zu dumm wurde, und er den Portier mit einem Schlag umhaute. Als der wieder aufwachte, rief er die Polizei. Die Schupos kamen, und nun mußte sich Ronnie Wood opfern, da Rod sich mit seinem Groupie nicht mehr stören ließ. Ron Wood und ich verbrachten über drei Stunden auf der Berliner Polizeiwache.“
Bruce Springsteen
wurde von Kerwinski während seiner Deutschland-Tournee 1988 betreut. Bruce war damals frisch verliebt in seine heutige Frau Patti Scialfa. „Zusammen kauften sie in einem Münchner Dessous-Geschäft massenweise Reizwäsche und wollte danach einfach mal verschwinden. Ich setzte mich ans Steuer eines VW-Busses (Bruce haßte prunkvolle Limousinen) und fuhr die beiden an den Starnberger See. In einem Gasthaus in Ambach aß er Apfelstrudel, trank Kaffee und niemand erkannte ihn. Er sagte, daß er schon lange nicht mehr so happy war. Ich dachte: ‚So sieht das einfache Glück der großen Stars aus.‘ Als ich Bruce und
Patti durch Berlin chauffierte und ihnen die Stadt zeigte, entdeckte Bruce in der Nähe des Ku’damms ein Riesenrad, rechts und links kleine Buden. Es war fast Mitternacht und ein Mann schloß den Platz gerade ab. Aber Bruce und Patti wollten Riesenrad fahren, letzt. Sofort. Also bin ich ausgestiegen und habe dem Mann erklärt, wen ich da im Auto sitzen habe. Für ein Autogramm sperrte er den Vergnügungspark wieder auf und Bruce und Patti fuhren 20 Minuten lang nachts mit dem Riesenrad. Sie saßen in einer Gondel, guckten in den Sternenhimmel und waren endlos glücklich.“
Einige Tage später trat Springsteen im damaligen Ost-Berlin auf. 20 Minuten vor dem Konzert rief er Kerwinski zu sich in die Garderobe. „Auf den Eintrittskarten stand ‚Konzert für Nicaragua‘ und damit wollte er nichts zu tun haben . Im Gegenteil, er wollte seinen Fans sagen, er hoffe, daß alle Mauern bald fallen würden. Ich mußte ihm das alles übersetzen und Bruce notierte in Lautschrift. Dann ging er auf die Bühne. Als mein Chef Marcel Avram von der Rede erfuhr, wurde er bei dem Wort Mauer wahnsinnig nervös. Das war ja damals noch die alte DDR! Er gab Bruce auf der Bühne verzweifelt Zeichen zu stoppen.
Bruce sah’s und kam während der Show zu mir. Wir ersetzten das Wort Mauern blitzschnell durch Barrieren. Trotzdem blendete das DDR-Fernsehen seine Rede aus.“
Die Kinks:
„Sänger Ray Davies war verliebt in ein Groupie, nahm sie mit in sein Hotel. Auf dem Gang kamen den beiden ein Filmproduzent mit Elke Sommer am Arm entgegen. Der Produzent kannte das Mädchen, umarmte und küßte sie. Da dachte sich Ray: Wenn der mein Mädchen küßt, küß ich seine Frau – und begann, Elke Sommer abzuküssen. Die war natürlich sauer, knallte ihm eine und rief die Polizei. Ray verstand die Aufregung überhaupt nicht – er hatte Elke Sommer nicht erkannt.“
Paul McCartney:
„Er kam vor vier oder fünf Jahren zum ersten Mai nach den Beatles-Zeiten wieder nach Hamburg. Vor dem Eingang zur Pressekonferenz schimpfte ein Mann: ‚Die Beatles haben noch Schulden bei mir, genau 84.70 Mark‘. Der Mann fuchtelte mit einem Bierdeckel rum. Als ich Paul davon erzählte, erinnerte er sich an das Restaurant ‚Gretchen und Alfons‘ und schickte mich am nächsten Tag mit einem 200-Mark-Schein hin.
um die Schulden nach 27 Jahren zu begleichen. Die Tour ging in München zu Ende und ich brachtePaul zu seinem Privatjet. Auf dem Weg zum Flughafen sagte er, daß er unbedingt George und Ringo anrufen müßte, da sie ihm nun beide 70 Mark aus den Hamburger Tagen schuldeten. Geizkragen. Am Flughafen bekam ich von ihm einen Briefumschlag überreicht. Wow, dachte ich, eine Prämie. Das war es tatsächlich allerdings nur traurige 120 Mark. Dann lieber nichts.“
Konnte Kerwinski den Versuchungen der Groupies und Stars immer widerstehen?
„In den 70er Jahren gab es eine riesige Groupie-Szene, und sie hätten alles getan, wenn ich sie zu ihren Idolen gebracht hätte. Aber das war nicht mein Ding. Ich kenne meine Frau Lynne seit 1968 mehr als ein Flirt ist bei mir nicht drin. Egal, ob Star oder Sternchen.