Aufarsch der Umsatzträger In 93 Tagen ist Weihnachten!


Noch schmilzt der Schoko-^-' Nikolaus unter der Sonne des Altweibersommers, doch in den klimatisierten Presswerken der Platten- industrie laufen schon jetzt die Fließbänder mit den Wunsch-Platten für den Weihnachtsmarkt auf Hochtouren. Gabriel, Madonna, Bon Jovi, Sinead O'Connor, Jagger, R.E.M., Prince und Richards — sie alle wollen mit ihren neuen CDs auf den Gabentisch. ME/Sounds-Redakteur Peter Wagner spielte den Lümmel, der die Ge- schenke Monate vor der Bescherung auspackte.

R.E.M.: Automatisch zurück zu ihren Wurzeln

Vier aufrechte Jungs aus Athens wollen keine Spruchbeutel sein: Sänger Michael Stipe hatte nach dem Erscheinen von „Out Of Time“ im Mai letzten Jahres verkündet. R.E.M. werden mit der Platte nicht auf Tour gehen, sich dafür aber so bald wie möglich wieder in ein Studio zurückziehen. Aus einem Studio wurden vier: Ab Mai dieses Jahres mieteten sie sich Sound-Küchen in Miami, Seattle. New York und Bearsville, letztere, um die Ballade „Everybody Hurts“ mit dem Atlanta Symphony Orchestra einzuspielen. Bassist Mike Mills erinnert sich an das Zusammentreffen mit den Klassikern, die auf vier Songs des neuen Albums „Automatic For The People“ zu hören sind:

„Es ist fantastisch: Man legt ihnen nur die Noten hin und schon spielen sie alles auf den ersten Take fehlerfrei ein. “ Ebenfalls neu im archaischen R.E.M.-Gitarrensound: ein elektrisches Piano und eine Drum-Machine (Mills: „Das billigste Modell, ßr 25 Dollar!“).

Ein Mitarbeiter von R.E.M.S Plattenfirma hat das Album zwei Dutzend mal gehört und schwärmt: „Es ist das perfekte Herbstalbum: getragener und melancholischer, viele Streicher und jede Menge Songs, mit denen Leute, die R.E.M. nur von den ,Om Of Time‘-Hits kennen, zu den früheren Folk-Wurzeln der Band stoßen. „

Die neuen Band-Fotos von Anton Corbijn unterstützen den herbstlichen Sound. Für die Videos wurde Tajan („Loosing My Religion“) verpflichtet.

Eine Tournee wird es frühestens 1994 geben, dafür warten R.E.M. ¿

mit einem Sammlerstuck auf: Von der ersten Single „Drive“ gibt es 10.000 Start-CDs mit Bonus-Tracks:“.First We Take Manhattan“ (vom Leonard Cohen-Tribute-Album) und ein Instrumental, das R.E.M. für den Soundtrack zum ersten „Batman“-Film geschrieben hatten. „Batman“-Regisseur Tim Burton fand die Nummer scheußlich und schickte das Band zurück. Auf Anraten ihrer Anwälte benannte die Band das Instrumental „Failed Batman Theme“ in letzter Sekunde um. jetzt heißt es „Winged Mammal Theme.“

Bonjovi: Fünf Freunde wie Pech und Schwefel

Richie Sambora und Jon Bon Jovi hatten nach der verzehrenden Welttournee (283 Konzerte!) erst einmal keine Lust mehr auf Truppen-Schweiß. Sambora schwitzte lieber für eine Solo-LP, doch deren Saiten-Technik wurde nur von Klampfen-Schülern dankbar aufgenommen. Jon Bon Jovi selbst ruhte sich mit Soundtrack („Young Guns II“) aus. Diese Solo-Ausflüge sorgten für das hartnäckige Trennungs-Gerücht. Aufmerksame Branchen-Beobachter wissen seit Januar die Wahrheit: Jon und Richie posierten einträchtig auf einem Werbefoto für den Gitarrenhersteller „Ovation“. AJs dieses Foto entstand, hatten die beiden schon die ersten Songs für „Keep The Faith“ geschrieben.

Im Moment sind 30 Nummern, im Little Mountain Sound-Studio (Vancouver) von Produzent Bob Rock und Tonmeister Randy Sträub fertig gemischt, in der Auswahl. Fest steht: Das Album kommt am 29. 10. (auch auf DCC) heraus, die Fotos sind von Anton Corbijn, das Video zur Single „Keep The Faith“ (5. 10.) dreht Phil Joanou, die Tour kommt im Juni/Juli nach Europa. Als einzig weiterer sicherer Song-Kandidat gilt zur Zeit „Dry County“. Jon schrieb ihn nach einer Bike-Tour durch den Mittelwesten, bei der er feststellen mußte, daß in einigen Bezirken (Counties) kein Alkohol ausgeschenkt werden darf. Um sein Bier mit den Truckern trinken zu können, mußte Bon Jovi jedes Mal über die jeweilige County-Grenze fahren.

Stone Ahne: Mick & Keith kochen Solo-Süppchen

Ein Leben ohne die Stones wird es für Mick Jagger und Keith Richards wohl nie geben, sehr wohl aber ein regelmäßiges Solo-Leben zwischen den Platten-Aktivitäten ihrer Band. Micks letzter Alleingang „Primitive Cool“ liegt fünf Jahre zurück, Keith versuchte sich 1988 mit „Talk Is Cheap“ auch als Sänger und fand damit in Deutschland immerhin 100.000 plattenkaufende Anhänger. Musikalisch setzen beide auch bei ihren aktuellen Projekten wieder voll auf jene Selbstverwirklichung.

Mick, dessen Gesangs-Arbeit zur Zeit schwer unter den täglichen Meetings mit seinen Scheidungsanwälten leidet, hatte in einem Studio in Los Angeles zufällig die lokale Blues-Band The Red Devils gehört, die im Nebenraum ein Demo aufnahmen. Jagger engagierte die Musiker sofort für seine Platte (Produzent Rick Rubin). Weitere Gastmusiker: Trommelknecht Jim Keltner, Bassist John Pierce, Tastendriicker Billy Preston, ein Duett mit Lenny Kravitz ist auch schon im Kasten. Den Titel des Albums weiß Mick selbst noch nicht, erscheinen soll’s im November. Immerhin: Das Studio ist nur bis Anfang Oktober gebucht.

Fertig ist dagegen „Main Offender“ (VÖ: 19. 10.). Scharfer R&B, von Keith mit seinen Expensive Winos in einem umfunktionieten Puff in San Francisco (März bis August) eingespielt. Für Overdubs mietete er das Studio 900 und das „Giant“ in New York, gemischt haben Waddy Wachtel und Steve Jordan im New Yorker ,,Hit Factory“. Waddy ist nach der Puff-Orgie auf Gemüsesaft umgestiegen: „Ich bin total fertig. Keith kam immer erst um zehn Uhr nachts an und arbeitete bis zum nächsten Mitlag durch. „

Peter Gabriel: Musik als Beziehungs-Therapie

Jch hatte einen Song über das Massaker am ,Platz des himmlischen Friedens ‚ und einen über Folter in El Salvador. Aber ich glaube, die sind auf einem späteren Album besser aufgehoben. Sie hätten nicht zu ,Us‘ gepaßt, denn auf dieser Platte geht es nur um mich.“ Wer nun zähfließendes Seelenleid von Gabriels endlich fertiggestellter CD erwartet, hat sich geschnitten. Peter wirft ein Abbild der verschiedenen Stadien seiner emotionalen Krisen-Bewältigung auf die Musik, und dazu gehört auch der Überschwang. (Gabriel ließ sich von Gattin Jill scheiden und hatte zwei Beziehungen: Rosanna Arquette und Sinead O’Connor, die bei zwei Nummern mit ihm im Duett singt). Inzwischen ist Peter raus aus der Beziehungs-Nummer, auch ein Erfolg seiner zweijährigen Gruppentherapie. Die abgebaute Scheu vor dem anderen Geschlecht demonstriert er auf dem Platten-Cover: Der verwaschene Schatten ist in Wahrheit eine splitternackte Frau, die während der Foto-Session neben ihm tanzte.

Eingespielt wurde „US“ (VÖ:

20.9.) mit Gabriels Stamm-Band ((Catche, Levin. Khodes), die schon auf der 86er LP „So“ mitwirkten, und etlichen Gast-Mustkern aus seiner „Womad“-Familie. Produzent Daniel Lanob ennnert sich an die ersten Wochen der 18monatigen Arbeit dennoch mit gemischten Gefühlen: „Am Anfang wohnte ich in einem Hotel und mußte zu Fuß über die feuchten Felder zum Studio laufen. Den ganzen Tag hatte ich nasse Füße.“

Madonna: Der konzen- trierte Körper-Einsatz

Monatelang hatte Madonna mit ihren Anwälten beim Warner-Konzern den Multi-Millionen-Vertrag herausverhandelt, jetzt sind die ersten Fruchte dieses Kontraktes erntereif. Die Klausel, ihren Namen aut Filmplakaten größer zu drucken als die Namen der anderen Hauptdarsteller, greift erstmals bei Uli Edels Streifen „Body üf Evidence“ — „Madonna“‚ prangt doppelt so groß wie „Willem Dafoe“. Alle weiteren Aktivitäten — so der Vertrag — müssen direkt über ihre eigene Entertainment-Firma „Mavenck“ lauten. Deshalb: Single, Album und Foto-Buch erscheinen samt und sonders auf „Maverick“.

Madonna arbeitet seit Juni an dem kommenden Album „Eronca“ (VÖ: 9. 10.). Drei Songs schrieb sie allein, neun weitere zusammen mit Produzent Shep Pettibone („Justify My Love“). Ein geplantes Duett mit Mick Hucknall kam nicht zustande, dafür singt Madonna auf „Fever“ gemein-,_ sammit Schlager-Altstar Peggy Lee. Schon die kurz vorher erscheinende Single „Erotica“ samt Video soll den provozierendoffenherzigen Charakter des Albums transportieren. Video-Regisseur Bobby Woods benutzt für den Clip einige Szenen, die während der Fotosession mit Stephen Meisel für Madonnas Nackt-Buch „Sex“ (erscheint in den USA bei „Maverick“ Ende Oktober mit beigepackten CD-Remixes der Single) gedreht wurden. Agentin Liz Rosenberg kündigte an, daß das Video “ wegen seiner Freizügigkeit nur im Kabel-TV und als Erotic-Homevideo-Package veröffentlicht wird. „Die Soundtrack-Single „Playground“ erscheint nicht auf der LP, da sie „unrepräsentativ für das Albums ist.“

Sinaed O’Connor: Ist die Diva durcheinander?

Was die Irin genommen hat, weiß man nicht. Daß sie aber etwas genommen haben muß — davon ist zumindest ein Mitarbeiter ihrer Plattenfirma überzeugt: „Wie sollen wir das nur ins Radio bekommen?“ „Das“ sind die Songs von „Am I Not Your Girl“, allesamt Tanztee-Schieber im Stil der 30’er und 40’er Jahre, die Sinead in einem New Yorker Studio mit einer Big Band unter der Regie des Produzenten Phil Ramone in nur zwei Wochen eingespielt hat. Bis zu 47 Musiker von Tuba bis Oboe tummelten sich in den Aufnahmeräumen. Auch das scheint O’Connor verwirrt zu haben: In den Aufhahmepausen wurde sie in dem nahegelegenen Cafe „Sin-e“ (Gälisch für „Das ist es“) beobachtet, wie sie leere Tische mit einem Lappen abwischte.

Warum Sinead zeitgemäßer Pop-Musik Lebewohl sagte, bleibt vorerst ihr Geheimnis. Die zündende Idee dafür habe sie 1990 bei ihrem Beitrag zum AIDS-Hilfe-Sampler „Red, Hot & Blue“ bekommen — damals sang sie den Cole Porter-Klassiker „You Do Something To Me“ und zeigte sich im Video als blond-perückter Bar-Vamp.

Die erste Single der aktuellen Produktion. „Success Has Made A Failure Of Our Home“ dient ebenfalls einem guten Zweck: Das Cover soll auf das Schicksal des 13jährigen Straßenjungen Naharna Carmona Lopez aufmerksam machen, der im März 1990 von Polizisten in Guatemala City zu Tode geprügelt wurde (Mehr Informationen über Menschenrechtsverletzungen in Guatemala bei: amnesty international, Volker Golyschny, Siebengebirgsallee 38,5000 Köln 41).

Weitere geplante Singles: „I Want To Be Loved By You“ (Marilyn Monroe) und „Don’t Cry For Me Argentina“ (A.L. Webber). Eine US-Tour mit großem Orchester wird für den Spätherbst vorbereitet.

Prince: Funk-Sex in drei Stellungen

Der — übersetzen wir es mal wörtlich — „Sexuelle Mutterschänder“ ist an allem schuld: „Love Symbol“ (VÖ: 25. 9.), das neue Prince-Album, wird gleich in drei verschiedenen Versionen auf den Markt kommen. Einmal unzensiert mit dem Warn-Aufkleber (für Eltern, die um das moralische Wohl ihrer Sprößlinge besorgt sind), einmal zensiert (für die Eltern, die ihre Kinder ganz und gar von dem Schmutz der Sexualität abschirmen wollen) und einmal – limitiert auf 10.000 Stück als Digipack im Gold geprägten Luxus-Schuber (für Eltern, die den un- . zensierten Prince als Ergänzung ihrer eigenen Aufklärungs-Bemühungen akzeptieren und dafür 30 Dollar hinlegen wollen). Zensiert wird ohnehin nicht viel, alles dreht sich um den Rafrain der Vorab-Single „Sexy Mother- fucker“: „Prince singt statt des Wortes ,Motherfticker‘ einfach ,mhmmhmmhm‘, sonst bleibt alles, wie es ist“, erläutert ein Sprecher des Paisley Park-Managements, „der Rest der Texte ist diesmal ohnehin harmlos.“ Die drei Verstonen erscheinen (auch in Deutschland) gleichzeitig und haben unterschiedliche Bestellnummern. Eine Tour soll im Frühjahr ’93 folgen, vorher wird es einen Foto-Band zum Album geben.

BMW-Fan Prince (neben dem 850i aus dem „Sexy M.F.“-Video und einem alten Dreier-Cabrio hat er sich mit einem neuen Fünfer-Kombi nun schon die dritte Bayern-Schleuder gekauft) war über den Rummel über den Song samt Video ohnehin verwundert. Sein 4 Management: „In jeder TV-Seifenoper £ gibt es mehr nackte Frauenhaut zu se-: hen.“ Keine Blöße gibt sich Prince in s . der nächsten Single — „My Name Is 1 Prince“ wird keusch mit seinen Musi- * kern (New Power Generation) für das Video verfilmt. Zwei weitere High- « lights: die Reggae-Nummer „Blue £ Light“ sowie „Three Chains O’Gold“, eine mehrminütige Kurz-Rockoper.