Reportage

Auf der Flucht


Was tun, wenn man etwas tun möchte? Die Wiener Autorin Stefanie Sargnagel entschied sich für den direktesten Weg – und half Flüchtenden über die Landesgrenze aus Ungarn nach Wien.

So stand ich mit der syrischen Familie in der Nacht vor einem Bahnhof, der voller Flüchtlinge war. Sie hatten ihren alten Großvater dabei, der sich zum Ausruhen in den Kinderwagen gesetzt hatte, was alle sehr witzig fanden. Das kleine Mädchen schob ihn herum und sie meinten, ich solle ein Foto machen. Der Großvater, der Vater, die Mutter, ein Teenager, ein kleiner Sohn und ein kleine Tochter, ein erwachsener Sohn und eine Tante waren zusammen auf der Flucht. Sie waren palästinensischer Abstammung, kamen aus Damaskus und erzählten, dass sie eigentlich nach Palästina wollten, Assad aber den Flughafen hätte schließen lassen. Der Familienvater war Anwalt. Ich fühlte mich etwas deplatziert in meiner Betreuerrolle. Ich als zerstreuter Chaot passte auf eine Familie auf, die vor dem Krieg vermutlich besser im Leben stand, als ich es je tun werde. Verkehrte Welt. Sie fütterten mich mit Erdnüssen und Keksen, anstatt umgekehrt. Die Frau, die am besten Englisch konnte, fragte mich: „What are you doing?“ Ich redete aufgeregt drauflos: „We are just waiting for the cars, we will bring you to Vienna for free. Don’t worry, you are safe!“ Die Frau lächelte: „Yes, I know, but what are you doing in Vienna? Studying?“ Ich lachte verlegen, weil ich mir etwas hysterisch vorkam. Ich gab ihnen mein WLAN-Passwort fürs Handy, sodass sie ihren Bekannten auf Whatsapp schreiben konnten, wo sie gerade waren. Jeder vorbeifahrende Polizeiwagen verunsicherte mich. Sie deuteten auf den müden Opa und erzählten mir, dass mazedonische Polizisten ihn verprügelt hatten. „Why do they beat an 80 year old man? He didn’t do anything! I don’t understand it.“

Bald tauchten aus der Ferne die ersten Autolichter auf, mindestens 30 Autos mit deutschen und österreichischen Kennzeichen, ein Gefühl der Geborgenheit stieg in mir hoch. Hier war er wieder, unser Konvoi. Maria und Renza ließen eine weitere Familie aus ihren Autos aussteigen, die zum Zug wollte. Diese Familie wollte mit meinem Handy kurz nach Deutschland telefonieren. Ich borgte es ihnen, und nach einem kurzen Gespräch überreichten sie mir das Telefon. An der anderen Leitung war ein Mann, der aufgeregt in gebrochenem Deutsch fragte, wann die Familie nach München kommen würde. „Wo sind sie?“ Offenbar konnte die Familie diese Frage gar nicht beantworten. Ich erklärte ihm, dass wir nahe an der Grenze wären. Immer wieder fragte er mich nach der Kilometeranzahl nach München. Ich sagte, ich denke, es seien ca. sechs Stunden. „Wann kommen München?“, fragte er immer wieder. Ich konnte es ihm nicht sagen. Ich gab ihnen ratlos das Telefon zurück und sie verabschiedeten sich von ihm und bedankten sich bei mir.

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