Attacke Azteka: Wahlen in Guerrero
"Der Kauf von Stimmen ist normal. Zwischen 500 und 1500 Pesos werden da pro Votum geboten. Man nimmt den Leuten einfach am Tag der Abstimmung den Ausweis ab."
Auf dem Patio in Chilpancingo, einem plattgestampften Lehmboden zwischen Cuernavaca und Acapulco, tümmeln sich noch immer: Hund, Hühner, Truthähne, Ziegen, ein kaffeebraunes Schaf und eine ganze Menge mehr Insektenzeugs, von dem man lieber nichts wissen will. Skorpione, Stechläuse und Taranteln wahrscheinlich. Dazu Klapperschlangen und Boas. So ziemlich alles, was gefährlich und klein ist, ist in Mexiko vertreten. Es ist das Land mit den meisten Skorpiontoten weltweit.
Wir sitzen mit Doña Tinas Schwester Irma und derem Mann auf der Veranda. Er ein beleibter, gemütlicher Bilderbuchmexikaner mit Schnauzbart, sie eine angegraute, schlanke India in ortstypischer Tracht. Ich schaukele in einer Hängematte und trinke immer mal wieder einen Schluck 100años-Tequila. Die Abstimmung ist seit ein paar Stunden vorbei.
In Mexiko werden Koalitionen schon vor der Wahl geschmiedet. Dann tritt jede Allianz mit ihrem Spitzenkandidaten an. Heute: Das Linksbündnis unter dem regierenden Gouverneur Angel Aguirre, das als volksnah angesehen wird. Der stärkste Gegner ist die PRI, die Mexiko 60 Jahre lang durchregiert hat und weder links noch rechts sondern einfach nur korrupt ist. An ihrer Seite ein paar zusammengekaufte Kollaborateure. Es wird allerortens gemunkelt, dass deren Kandidat einen Millionenbetrag von „La Barbie“ entgegengenommen hat, dem Chef des Beltrán-Leyva-Kartels, der vor ein paar Wochen festgenommen wurde und nun die Geschäfte aus dem Knast weiterführt. Gegenleistung wäre wohl eine Begnadigung. Die rechtskonservative PAN, die Partei der Nationalen Aktion, stellt zwar derzeit Mexikos Presidenten Calderon, ist hier auf dem Land aber aussichtslos und alleine angetreten.
Der Kauf von Stimmen ist normal. Zwischen 500 und 1500 Pesos werden da pro Votum geboten. Entweder man glaubt den Bestochenen einfach, oder man nimmt ihnen in Gegenden, die für den Gegner als sicher gelten, einfach am Tag der Abstimmung den Ausweis ab. Der Durchschnittslohn in diesen Landstrichen beträgt um die 4000 Pesos, die Leute greifen also massenhaft zu. Vor allem die PRI, die CSU Mexikos, bedient sich bekanntermaßen dieser Methode. Jeder, mit dem ich in diesen Tagen gesprochen habe, erzählte mir davon.
Chilpancingo ist tierra caliente, heißer Boden, gestern hat ein Anhänger der PRI einen von der PRD erschossen. Irma ist wie eigentlich jeder hier PRD-Anhängerin. Sie hat Wahlkampf geführt, Menschen überzeugt, und heute eine Wahlurne überwacht.
Gegen Nachmittag fuhren vor ihrem Wahllokal mehrere Pick-Ups vor. Kennzeichen: Mexiko City, PRI-Land. 25 Jungs stiegen aus und streunten herum. Die Leute schalteten schnell und riefen die Polizei, die alle zusammen festnahm: Der Raub von Wahlurnen ist in Mexiko an der Tagesordnung. Ein Festgenommener behauptete, von der Indianerin und PRI-Kandidatin Sanchez beauftragt worden zu sein. Kurz darauf kam die Nachricht, Sanchez sei entführt worden, später die Nachricht ihres Todes. Alles nicht wahr, hieß dann, Sanchez sei wohlauf.
„Auto-secuestro“, Eigenentführung, schloss man schnell.
Die Wahl gewann dann doch die linke PRD haushoch mit 56%, und das, obwohl wegen der vorher geschlossenen Koalitionen die einfache Mehrheit ausreicht. Unten in Chilpancingo erschoss ein weiterer PRI ist einen PRDler. Die PRI kündigte Widerstand und Sternmarsch an. Die siegreiche PRD wies ihre Anhänger intern an, nicht zu übermütig zu feiern, um keine Revolte der PRI zu provozieren. Dem Schaf auf dem Patio war all das egal. Ich schaukelte nur in der sanften Abendbrise, sah diese herzlichen, dunklen Menschen im Flackern einer Kerze, genoss deren beispiellose Gastfreundschaft und dachte mir: Mexiko, Alter, hier geht schon was ab.