Attacke Azteka: Airen und die liebe Verwandtschaft


"Das meinen die alles ernst. Und wenn man bei einem Spruch nach der x-ten Wiederhohlung mal nicht gebührend lacht, zieht einen irgendeine speichelnde Verwandte am Ärmel, 'HEAO, ALEMAN!', gelbe Tortillabrocken fallen ihr von der Zunge in den Schoss, und dann wird einem der ganze Mist nochmal aufgetischt.

Wenn die Verwandtschaft kommt… Eigentlich wird den ganzen Tag nur getratscht und gefressen. Es passiert überhaupt nichts, es wird rein gar nichts erledigt, es heisst ständig nur: „Luego, demnächst, werde ich dieses oder jenes machen. Nächstes Mal bringe ich dir das oder das mit.“ Und wenn irgendjemand Geldprobleme hat, was im Grunde ständig und bei jedem der Fall ist, dann heißt es: „Ich bezahle dir das.“. Absolut wertloses Gequatsche. Natürlich wird niemand je etwas machen, mitbringen oder bezahlen. Es ist noch immer wie das besoffene Rumfantasieren der Penner auf der Parkbank.

Dann wird man gefragt: „Ist Deutschland in der Nähe von Europa?“, „Hat euer Hitler nicht mittlerweile die Mauer abgerissen?“ , „Ist euer Himmel auch blau?“, oder es wird erklärt, dass das Flugzeug erfunden wurde, weil die Entfernungen auf der Welt so groß sind. Das Schlimmste, das Unbeschreiblichste aber, das ist die Stimme, dieser leiernde, klagende Tonfall, der einen auch ohne Sprachkenntnisse verstehen lässt, dass man es hier mit wirklich grenzdebilen Menschen zu tun hat.

Dazu das ständige hohle Gekreische der Weiber.

Und die immer gleichen, leeren Phrasen: „Wenn du sehen willst, dass es jemandem schlecht geht, schenke ihm ein altes Auto.“ Hundertmal. „Ich trinke entweder nur Bier, oder nur Tequila. Man darf trinken, aber man darf nicht mischen, sonst wird man verrückt.“ Tausendmal. „Vom Eisessen bekommt man Husten.“ Jedesmal wenn einer hustet.

Das meinen die alles ernst. Und wenn man bei einem Spruch nach der x-ten Wiederhohlung mal nicht gebührend lacht, zieht einen irgendeine speichelnde Verwandte am Ärmel, „HEAO, ALEMAN!“, gelbe Tortillabrocken fallen ihr von der Zunge in den Schoss, und dann wird einem der ganze Mist nochmal aufgetischt. Die Frauen sind eigentlich das Schlimmste, weil sie durch ihre Penetranz gar nicht zulassen, dass man sich irgendwie mental wegdenken kann aus dieser stumpfen Welt.

Ab und zu sitzt noch mein Schwiegervater daneben, der sich in jahrelangen AA-Sitzungen vom Pegeltrinker zum Quartalssäufer hochgearbeitet hat. Der ist genauso dumm, hat aber nicht mehr die Kraft, einem noch großartig auf die Nerven zu gehen.

Das Qualhafte ist, dass man nicht wegkann, weil entweder die Frau sich da ganz nahtlos einfügt und die natürlich mit dem Kinderwagen nicht allein nach Haus kann, oder weil mal wieder die ganze Bagage nachts um zehn bei einem einläuft, unter großem Getöse ungefragt ein zweites Abendessen auftischt und dann zwei Tage bleibt. Ich gebe mittlerweile mein Bestes, mich so unhöflich wie möglich zu verhalten, mich während laufenden Gesprächen wegzudrehen und den Fernseher anzuschalten oder Lily mal laut und verständlich zu fragen, was man denn heute noch vorhabe und wann die endlich wegseien.

Wenn ich hartnäckig genug bin, ist es irgendwann soweit: Die Abschiedsprozedur beginnt.

„Ya vamonos“, heisst es dann vom Sofa, „Lass uns langsam gehen.“ Man ist generell einverstanden, allerdings fällt irgendjemandem ein, dass man, wenn man schon mal da ist, unbedingt noch dieses Handykabel suchen sollte, das man beim letzten Mal hat liegen lassen. Und dass man ja noch gar nicht das neueste von dieser Telenovela erzählt hat.

Und ruft dann schnell vom Festnetz bei jemandem an. Wartet auf den Rückruf. Dann heisst es wieder: „Ya vamonos.“. Mittlerweile ist es aber schon wieder Zeit zum Essen oder zumindest für eine Zwischenmahlzeit. Man kommt überein, dass man jetzt Mojarras, gebratenen Fisch essen möchte, den es aber nur ein paar Kilometer weiter gibt. Es entbrennt eine hitzige Diskussion, ob da jetzt einer hingeht und die holt, oder ob man gleich gemeinsam dort isst. Man lässt schließlich holen. Nach dem Essen heisst es dann aber wirklich: „Ya vamonos.“ Allerdings sind jetzt alle von dem fettigen Fisch so geplättet, dass man sich für eine mittlere Siesta entschliesst. Es wird weitergequatscht, als wär nichts. Mittlerweile hat jeder irgendeinen Termin verpasste, weshalb man jetzt wirklich langsam gehen sollte. Sobald die Tür geöffnet ist, dauert es dann wirklich nicht mehr länger als eine halbe Stunde. Jetzt wird endlich das Handykabel gesucht. Man trifft letzte Verabredungen für die nächsten Tage, an die sich keiner halten wird. Die Essensreste werden eingepackt und mitgenommen, damit man sie in einer Woche wegschmeisst. Einer muss noch aufs Klo. Schließlich ist dann auch der letzte auf der anderen Seite der Tür, „Ya vamonos“-kreischend bewegt sich der Mob die Treppen runter. Natürlich hat noch einer was vergessen, und kommt zurück. Dann geht die Tür endlich zu, und ich atme dreimal ganz tief durch. Und setze mich an den Rechner und schreibe diesen Text.

Was trieb Airen in der letzten Woche so? Er bekam eine Katze geschenkt, was ihn alles andere als in Hochstimmung versetzte…