Attacke Azteka: Airen bekommt eine Katze


"Lieber Leser: Ich hasse Katzen. Ich überfahre sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Ich bin kein Tierfeind, nein; es gibt auch viele Tiere die ich mag, aber selbst diese möchte ich nicht unbedingt bei mir daheim haben. Zum Beispiel den Afrikanischen Honigdachs."

Oh Gott! Ich hatte ja mit allem gerechnet, als Lily meinte, sie hätte da eine Überraschung für mich. Aber als dann dieser diabolische weiße Katzenkörper auf meine Matratze fiel, erschrak ich regelrecht. Denn, lieber Leser: Ich hasse Katzen. Ich überfahre sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Ich bin kein Tierfeind, nein; es gibt auch viele Tiere die ich mag, aber selbst diese möchte ich nicht unbedingt bei mir daheim haben. Zum Beispiel den Afrikanischen Honigdachs. Eigentlich ist der Afrikanische Honigdachs ja das coolste Tier auf Erden überhaupt. Falls das mit dem Nirvana diesmal wieder nichts wird, möchte ich bitte als Scheidenpilz oder Afrikanischer Honigdachs wiedergeboren werden. Der Honigdachs chillt den ganzen Tag durch die Wüste und scheisst sich überhaupt nichts. Wegen seiner dicken Haut nimmt er es mit Bienen und Schlangen auf, isst die dann auch gleich, aber zwischendurch auch gern mal einen Skorpion oder ein Krokodil. Stachelschweinstacheln lassen ihn nur mit der struppigen Schulter zucken, und wenn ihm ein zehnmal größerer Büffel blöd kommt, geht er direkt auf ihn los. In der Gegend rumstehenden Schakalen latscht er auf die Pfoten ohne den Blick zu wenden, und wenn ein Leopard nach stundenlanger Hatz endlich ein Kaninchen gerissen hat, kommt der Honigdachs und frisst es ihm vor den Augen weg. Also: Ein sympathisches Vieh, aber jetzt auch nix für die Wohnung. Nun also ein Tier bei mir aufzunehmen, das ich sogar regelrecht verabscheue, die Logik des Ganzen wollte mir irgendwie nicht einleuchten.

“Weisst du, Lily”, wand ich mich, “ich glaube, in meinem Herzen ist einfach kein Platz mehr für noch jemanden.”

Lily beeindruckte das nicht, sie ließ und ließ nicht locker, irgendwie schien sie total von der Katzenidee besessen und konnte gar nicht verstehen, warum ich nicht genauso begeistert war wie sie. Mittlerweile hatte die kleine Fellbestie in meinem Schoss Platz genommen und leckte sich. Sie leckte sich!

Meine erste Eingebung war also: Okay, mäste sie und im Sommer machen wir ein Fest. Gesund sah sie ja aus. Bestimmt würde sie bald ordentlich zunehmen.

“Gut, von mir aus kann die Katze bleiben. Sobald sie irgendwas kaputt macht, ist sie raus.”

Also ein Maul mehr zu stopfen. Fehlte nur noch ein anständiger Name. Ich beschloss, sie „Katze“ zu nennen. Lily verstand nicht. Dabei fiel mir beim besten Willen keine passendere Bezeichnung ein.

“So, hopp, Katze, du ziehst jetzt hier von meiner Matratze ab”, sagte ich und hob sie mehr oder weniger sanft auf den Boden, “Und jetzt hurtig aber dalli!”

Katze klagte. Sie machte dieses leise, kleine Geräusch, das mich eigentlich immer sofort gleich an die Decke gehen lässt, und dann kam sie langsam wieder auf die Matratze gekrochen und legte sich zwischen meine Beine. Katzen sind nämlich dumm; sie lernen nicht. So mit zwölf sind wir damals nachts von zu Hause ausgebrochen und haben irgendwo in einer oberbayrischen Reihenhaussiedlung eine Katze angelockt und in ein Gebüsch geworfen und konnten den Vorgang ungelogen vier Mal wiederholen, bis die Katze merkte, dass wir ihr irgendwie nicht wohlgesonnen waren und sich verpisste. Katzenliebhaber legen das gern als Charakter aus, aber eigentlich sind Katzen einfach nur störrisch und blöd und lecken sich den ganzen Tag das Fell. Die kleine Katze lag jetzt also wieder zwischen meinen Beinen und leckte sich und ich dachte, okay, sie hat gerade ihre Eltern und ihre Geschwister verloren, sei nicht so hart zu ihr, in ein paar Wochen kann man ja die Zügel etwas anziehen.

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Am Nachmittag kaufte ich dann im WalMart Babykatzenmilch und vitaminangereicherte Kaninchen- und Lachs-Bröckchen. Zurück im Haus musste ich Katze erstmal suchen. Sie hatte sich im Wohnzimmer hinter einer Schrankwand versteckt und kam nur zaghaft wieder hervor. Erst schlabberte sie ihre Milch, dann schlang sie die Deli-Nahrung gierig runter, dann folgte sie mir wieder hoch ins Büro und legte sich neben mich auf das wichtigste Möbelstück meines Arbeitszimmers: Die Matratze. Ich kraulte sie vorsichtig. Erst widerstrebend, dann behutsam etwas zutraulicher. Langsam wurde mir etwas mulmig: Du lässt dich hier mit einer Katze ein!

Gegen Abend resignierte ich. Mein Leben war sowieso schon das totale Chaos. Warum also nicht auch noch eine Katze in den eigenen Reihen? Süß war sie ja irgendwie. Ich legte mich schlafen.

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Es krachte. Wenn man sein ganzes Leben mit Hunden verbracht hat, weiss man das vielleicht nicht, aber: Katzen sind nachtaktiv. Das erste mal stand ich kurz vor Mitternacht im Bett, als unten irgendwas runterfiel. Wenn hier in Cuernavaca in der eigenen Wohnung nachts unten irgendwas runterfällt, lädt man entweder die Knarre durch oder spricht sein letztes Gebet. Dann fiel mir wieder die Katze ein und ich beruhigte mich. Von da an kam das im Viertelstundentakt. Als ich mich schon fast daran gewöhnt hatte, setzte sich Katze vor die Tür und begann zu jaulen. Ging ne ganze Weile so. Schließlich ließ ich sie rein. Katze wollte aber nicht ins Schlafzimmer – sie wollte ins Bett! Jetzt liegen wir eh schon zu dritt auf einer Kingsize-Matratze. Also nahm ich Katze wieder, trug sie die Treppen runter und sperrte die Tür zu. Von da an konnte ich schlafen.

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Am morgen roch es etwas säuerlich im Treppenhaus. Lily rastete gleich aus, aber ich meinte mit unsicherer Stimme: “Kein Act, lass mich, ich bring das der schon bei.”.

Am besten gefiel Katze meinem Sohn Diego. Entweder schrie er wie von der Tarantel gestochen und zeigte auf sie, als wären gerade Marsmenschen gelandet, oder er probierte an ihr die Tritte aus, die ich ihm für die Ameisen gezeigt hatte. Die arme Katze verbrachte den Tag dann auch nur in irgendwelchen Verstecken und kam nur Mittags mal kurz zum Fressen raus. Später schmiss sie einen von Lily mit Hand bemalten Keramikkerzenständer auf die Fliesen.

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Am Nachmittag sah ich Lily an, und es war klar, dass wir mal reden müssten. “Die Katze muss weg!”, sagte sie rundheraus. Im Grunde hatte sie ja recht. Die durchschnittliche Lebenserwartung einer Katze ist indirekt proportional zum Geschwindigkeitslimit der angrenzenden Straßen, und zwei Blocks von uns ist der Freeway nach Acapulco. Nachher ist das Geschrei groß. Nach Deutschland würde man sie auch nicht so leicht mitnehmen können. Und wenn wir mal im Urlaub sind? Wenn sie eine teure Krankheit bekäme? Welpen?! Wenn sie Diego eines Nachts die Augen auskratzt??! Wahrscheinlich hätte man das alles schon irgendwie hinbekommen, wahrscheinlich war es nur Bindungsangst, die mich all diese Gründe vorschieben liess, aber diese Katze war einfach zu schnell in mein Leben getreten und unter diesen Umständen hatte unsere Beziehung keine Chance. Wir waren uns also einig: Die Katze musste zurück.

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Ich suchte Katze im Schlafzimmer, zog sie hinter dem Bett hervor und hob sie in den Karton. Während ich sie zu dem Hühnchen-Geschäft trug, in dem man sie Lily tags zuvor geschenkt hatte, kraulte ich ihr sacht den Nacken. Im Geschäft schauten wir dann alle gleich unglücklich drein: Katze, ich, die Hühnerverkäuferin. Es hatte nicht sollen sein.

Tschüss, Katze.

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