Ariel Pink: kantig und süß


Er gilt als Ober-Weirdo der kalifornischen Freakfolk-Szene, doch Ariel Pink wusste schon immer genau, wo er hin will. Mit Mature Themes, dem neuen Album seiner Band Haunted Graffiti, hat er sein Ziel erreicht.

Die meisten Fans sind träge und langsam von Begriff. Also schlechte Fans!“, sagt Ariel Pink und lacht leicht schnaubend ins Telefon. „Ich glaube nicht, dass viele bereit sind, sich mit mir weiterzuentwickeln. Aber das ist total okay. Heute geht es eher darum, ob ein Song in die persönliche Playlist passt als darum, Fan von einem Künstler zu sein. Wir werden uns ein neues Publikum erspielen.“  Der ME erreicht den Freakfolker in London, wo er Werbung für das neue Album von Ariel Pink’s Haunted Graffiti, Mature Themes, macht. Irgendwie hat man ihn sich anders vorgestellt, verspulter, kurz angebunden, schwierig. Tatsächlich ist Pink im Gespräch höflich, verblüffend leise, verbessert sich, ringt immer wieder um die richtigen Worte. Er ist ein angenehmer Typ.

Mit Mature Themes erscheint dieser Tage das, tja, zigste Album von Ariel Pink. Der 34-jährige Kalifornier hat einen immensen Output, schreibt Songs seit seiner Kindheit und hat unzählige davon veröffentlicht, auf Alben, EPs, Compilations, viele auf technisch einfachste Weise zu Hause aufgenommen. Sein einzigartig windschiefer Sound aus Samples, verquasten Texten und süßen Melodien, gepaart mit seinem Look zwischen Kurt Cobain und zerzaustem Glamour-Dandy hat ihm den Ruf eines verschrobenen Weirdos eingetragen, der sehr gut passt in die amerikanische Freakfolk-Szene, zu Devendra Banhart, CocoRosie und, sagen wir, Adam Green. Woher kommt dieser Sound?

„Aus einem musikalischen Haushalt stamme ich jedenfalls nicht“, sagt Pink, der gebürtig zwar Ariel, dann aber Marcus Rosenberg heißt. „Mein Vater ist mexikanischer Abstammung, er hat zu Hause Gipsy Kings und ein bisschen Klassik gehört. Bei meiner Mutter lief alles, was einer Single-Mutter in den Achtzigern so gefallen hat … Michael Bolton, Radiopop.“ Es sei seine Nachbarschaft gewesen, die ihn früh auf die Musik gebracht hat, erzählt Pink. Aufgewachsen ist er in Los Angeles, wohnt als Kind in der Nähe des Sunset Strip, wo die berühmten Nachtclubs und Bars Nacht für Nacht Bands ausspucken. „Für mich war es die natürlichste Sache der Welt, verrückt nach Musik zu sein, denn sie war einfach sehr präsent in meiner Umgebung. Außerdem hab ich viel ferngesehen, Filmmusik fand ich toll.“

Früh beginnen sich Melodien in Pinks Kopf zu entwickeln. „Ich konnte kein Instrument spielen, hatte keine Ahnung, wie ich die Melodien, die ich im Kopf hatte, da rausbekommen soll. Ich habe sie dann meiner Mom vorgesungen, meinen Kumpels, einfach jedem, der sie hören wollte. Ehrlich gesagt: Meine ersten Lieder klingen fast so, wie ich heute klinge. Sie sind nur ein bisschen mehr am damaligen Zeitgeist orientiert.“ Eine Weile ist Pink totaler Metal-Fan, dann widmet er sich Gothic, dann Hardrock, letztlich hört er sich durch alle Jahrzehnte der Rock- und Popmusik. „Meine musikalische Erziehung habe ich mir selbst gegeben, bis ich etwa 21 Jahre alt war. Heute mache ich meine eigene Musik und höre gar nicht mehr so viel anderes. Jedenfalls keine ganzen Alben.“

Er fängt an, zu Hause Musik aufzunehmen, benutzt dafür meist ein einfaches Kassetten-Diktiergerät, drückt auf Konzerten immer mal wieder einer Band ein selbst aufgenommenes Tape in die Hand. Anfang des Jahrtausends erreicht eins dieser Tapes die damals schon ziemlich bekannten Animal Collective aus Baltimore (s. S. 56). Sie bringen Musik von Ariel Pink auf ihrem Indie-Label Paw Tracks heraus und verhelfen ihm so zu erster Bekanntheit in der Szene. Das Selbstgemachte, Lo-Fi-Mäßige wird zu seinem Markenzeichen, dabei, so sagt er, war diese Reduziertheit zu einem großen Teil einfach den Umständen und den Möglichkeiten geschuldet. Das Ziel ist und bleibt das Gleiche: „Eine so große Anhängerschaft zu gewinnen, dass schließlich auch die größeren Plattenfirmen auf mich aufmerksam werden und mich unter Vertrag nehmen.“

Ariel Pink spielt jahrelang Konzerte, tourt mit kleinstem Budget und Begleitmusikern wie John Maus und seinem Bassisten bis heute, Tim Koh, durch die Gegend, um an diesem Traum zu arbeiten und wird zum Underground-Phänomen. 2008 gründet Pink mit Schlagzeuger Jimi Hey, Keyboarder Kenny Gilmore und Gitarrist Cole M. Greiff-Neil eine neue Band, Haunted Graffiti, die inzwischen schon wieder eine ganz andere Besetzung hat, mit Joseph Kennedy an der Gitarre und Aaron Sperske an den Drums. Ist er, der so vieles allein macht und wie ein kreativer Einzelgänger wirkt, denn überhaupt gemacht fürs Banddasein? „Ich glaube, ich arbeite ganz gut mit anderen Leuten zusammen“, sagt Pink. „Sie können Sachen, die ich nicht kann, und so profitieren wir voneinander. Ich bin ein eher ungeduldiger Typ und mit meinem Können leider oft auch schnell am Ende. Aber ich habe so eine grundsätzliche Idee in meinem Kopf und mag es, mir mit anderen die Bälle zuzuspielen und sie auszuarbeiten.“

Die Wende, wenn man sie so nennen will, kommt endlich, als das traditionsreiche, britische Independent-Label 4AD, das unter anderem The Breeders, The Mountain Goats und TV On The Radio unter Vertrag hat, Ariel Pink’s Haunted Graffiti eine Zusammenarbeit anbietet. 2010 erscheint mit Before Today dort das erste Album von Pink auf einer größeren Plattform und wird von der Presse sehr gut aufgenommen. „Auf der Platte finden sich die Songs, die wir schon jahre­lang live spielen“, erzählt er. „Alles, was wir hatten, haben wir aufgenommen.“ Mit diesem Album im Rücken hat er die Zeit und das Geld, sich voll auf sein Songwriting zu konzentrieren, ohne ständig auftreten zu müssen oder sich anderweitig um ein Auskommen zu bemühen – und die Möglichkeiten, seine Musik ganz nach seinen Vorstellungen aufzunehmen und zu produzieren.

Im Grunde ist also Mature Themes das Album, mit dem Ariel Marcus Rosenberg sein Ziel erreicht hat und endlich klingt, wie er klingen will. Und das ist gar nicht mehr so Lo-Fi, es ist schräg, immer noch retro, außergewöhnlich kantig und gleichermaßen süß. „Stimmt“, sagt Pink. „Kantig und süß. Für mich klingt es aber auch fröhlich und irgendwie unbeschwert.“ Kein Wunder. Seine Mission ist erfüllt.