Arcade Fires Will Butler im Interview: „Natürlich klingen wir wie ABBA!“
Wir haben mit Arcade Fires Bühnenberserker und Multiinstrumentalisten Will Butler über ihre mysteriöse „Everything Now“-Kampagne, Teenieperspektiven in Popsongs und eine neue Leichtigkeit gesprochen.
Eure Platten wecken stets den Eindruck, als steckten größere Konzepte dahinter.
Das kommt wohl daher, dass wir alle in derselben Welt leben und unterwegs sind, bevor wir Kunst machen. Wenn du nun FUNERAL nimmst und den Namen in „10 SONGS ABOUT PARTIES“ änderst, wäre es ein ganz anderes Album. Die Andeutungen und Zwischentöne wären verschwunden. Du würdest die Platte nur für eine Ansammlung von Songs halten. Wenn du das Album aber FUNERAL nennst, erzählt schon das eine Geschichte. Das passiert auch mit EVERYTHING NOW, das passiert während unserer Shows und durch das Artwork. Es mag mysteriös wirken, ist aber eine bewusste Entscheidung. Wo die wiederum herkommt, wissen wir auch nicht so genau. Da geht es uns wie manchen Philosophen!
Wie beschreibst Du den Sound Eures neuen Albums?
Wir lassen wohl wirklich mehr Synthesizer und Drum Machines als je zuvor hören. Ich sehe da aber einen roten Faden: Schon „Power Out“, „Haiti“ und „Rebellion (Lies)“ hatten viel mit dem gemein, was Arcade Fire heute ausmacht. Darüberhinaus ist das Album kürzer als seine Vorgänger. Eine Single-LP hatten wir seit FUNERAL nicht mehr. Das gibt EVERYTHING NOW eine gewisse Leichtigkeit. Die Songs klingen teilweise luftiger, andere sind weiterhin sehr dicht. Von denen gibt es aber weniger als zuvor, das stimmt. Für mich fühlten sich deshalb sowohl die Aufnahmen als auch die bisherigen Liveshows sehr erfrischend an. Ich habe aber auch nicht die beste Perspektive auf unsere Musik, weil ich mitten in ihr drin stecke.
Der Titelsong „Everything Now“ klingt anfangs sehr nach Schlager. Weißt Du, was das heißt?
Nein.
Das ist ein deutscher Genrebegriff für Musik, die bis vor ein paar Jahren nur ältere Menschen hörten.
(lacht)
Die andere, für viele Hörer sehr offensichtliche Referenz ist ABBA. War das eine bewusste Entscheidung, wie skandinavische Disco-Legenden zu klingen?
ABBA. Schlager. ABBA. Schlager. (Sagt sich die Worte immer wieder vor). Ich glaube, ABBA waren schon immer ein großer Einfluss auf alles, was wir tun. Schon vor FUNERAL. Pianolinien, starke Melodien, ein Discobeat – das klingt natürlich nach ABBA!
„Put Your Money On Me“ ist ja noch viel näher an ABBA angelegt. Ein richtiger Ohrwurm. Aber erkläre mir mal die vermeintliche Pan- oder Querflöte auf „Everything Now“. Ist ja gar keine.
Es ist eine so genannte Pygmy-Flöte! Eine zentralafrikanische Flöte mit nur einer Note. Der französisch-kamerunische Francis Bebey spielte sie so. Die anderen Noten, die höheren und tieferen, sind seine Stimme (imitiert es). Nur der mittlere Ton ist die Flöte.
Warum ist der Vorabsong, „I Give You Power“ mit Mavis Staples, den Ihr am Vorabend von Trumps Amtseinführung veröffentlicht habt, nicht auf dem Album?
Er passte nicht in den Kontext, weder textlich noch musikalisch. Es fühlte sich aber richtig an, den Song vorab und pünktlich zu Trumps Amtseinführung zu veröffentlichen. Der Song musste schnell raus, solange er uns frisch vorkam.
„Der eigentliche Erschaffer ist ein Idiot, wenn es darum geht, die eigene Arbeit zu interpretieren“ (Will Butler)
Eins Eurer wiederkehrenden Themen sind Kinder, Teenager und deren Perspektiven. Was macht die so interessant für Eure Musik?
Ich kann dir diese Frage nicht beantworten – und ich bezweifle sogar, dass Win oder Regine das könnten! Als ich 16 war, hatte ich ein paar sehr beeindruckende und starke musikalische Erfahrungen. Es gibt bestimmte Musik, die ich immer noch durch dieses Prisma sehe und höre. Sogar wenn es Musik ist, die ich damals noch nicht kannte. Dieses Alter markiert eine sehr prägende Zeit im Leben eines Heranwachsenden. Außerdem glaube ich fest an den Hörer als den Interpreten und daran, dass der eigentliche Erschaffer ein Idiot ist, wenn es darum geht, die eigene Arbeit zu interpretieren. (lacht)
Was ist Dein Lieblingslied auf dem neuen Album?
Eine Zeitlang mochte ich „Electric Blue“ sehr. Das klingt so erfrischend.
Das Stück erinnert mich an Phoenix, MGMT und andere, jüngere Synthiepopbands.
Oh, interessant. Ja, das kann ich nachvollziehen.
Während Eurer laufenden Tour fandest Du Zeit für einen neuen eigenen Song, in dessen Refrain Du Roy Orbison coverst.
Das war am 4. Juli, den Song hatte ich schon geschrieben. Unser Langzeitproduzent Marcus Dravs hat ein Studio in London. „Lass‘ uns mal eben dieses Demo aufnehmen“, schlug ich vor. Der Song fühlte sich passend für den Feiertag an: Er hat etwas von Roy Orbison und etwas über Amerika!
https://soundcloud.com/butlerwills/anything-you-want-4-july-17
Du planst drei Jahre nach Deinem schmissigen Debüt POLICY aber kein neues Soloalbum?
Nein, wir stecken gerade inmitten harter Arbeit in der Arcade-Fire-Welt. Und die hält noch länger an.