Interview

Aphex Twin: „Wenn man mit einem großen Haufen Scheiße anfängt, hat das was“


Richard D. James alias Aphex Twin gibt nur sehr, sehr selten Interviews – und wenn, dann redet er gerne wirr. Anlässlich seiner neuen EP „Collapse“ und des Berlin-Konzerts hat er für uns eine Ausnahme gemacht und zum Hörer gegriffen. Ein Gespräch über U-Boote, Kinder und Obsessionen.

Komponieren Sie selbst? Oder haben Sie manchmal den Eindruck, dass „es“ sich von ganz allein komponiert? Was auch immer „es“ sein mag.

Bevor ich anfange, ist alles ganz normale Handarbeit. Steckanschlüsse, Kabel verlöten, solche Sachen. Aber wenn dann die eigentliche Arbeit anfangen kann, frage ich mich oft: Woher zum Teufel kommt das denn jetzt?

Es gibt Leute, die glauben, „es“ käme von einem anderen Ort.

Das glaube ich tatsächlich auch. Vor allem nachts, wenn es nicht mehr so laut ist und alle schlafen. Und ich meine: alle. Dann kommt es mir manchmal so vor, dass, je mehr Gehirne gerade ruhen, ich es sozusagen besser fließen lassen kann. Man mag das „Channeling“ nennen, in absoluter Stille.

Das klingt fast spirituell.

Das ist der Zauber, den ich vorhin meinte. Um diesen magischen Punkt der Stille zu erreichen, ist viel Arbeit und Planung nötig. Wenn er dann eintritt, endlich, beginnt für mich der Zauber, noch bevor ich überhaupt etwas gemacht habe.

Hin und wieder hat in der abstrakten Umgebung Ihrer Musik auch die menschliche Stimme einen Auftritt. Warum?

Eben weil diese Umgebung so abstrakt ist. Die Stimme ist ein Referenzpunkt außerhalb des abstrakten Ambientes, den es manchmal braucht. Dabei habe ich keine Probleme mit der Abstraktion elektronischer Musik. Das ist oft der Grund, warum ich sie mag. Weil es keine Referenz gibt. Das ist ja gerade der Witz.

Weil Musik auch ohne Worte eine universelle Sprache ist?

Ist sie eben nicht! Generell brauchen die Leute ein Narrativ, eine Anleitung, woran sie denken oder was sie spüren sollen. Oft werde ich gebeten, Soundtracks zu machen. Das ist nett, aber irritierend. Meine Arbeit ist den Leuten zu fremdartig, um sie einfach nur zu hören. Sie wollen sie gerne gewissen Bildern zuordnen können.

In Ihrer Musik spielt manische Geschwindigkeit eine große Rolle.

Das stimmt. Und das macht die Abstraktion für manche Hörer noch komplizierter und schwerer zugänglich. Wie ist das bei Ihnen?

Mir ging es früher auch so. Also, bis ich es verstanden hatte …

Was?

Dass es keinen Zweck hat, sich auf die Beschaffenheit der Rhythmik zu konzentrieren. Es ist wie mit einem Rad, das sich so schnell dreht, dass man beim Hinschauen irgendwann die Speichen nicht mehr erkennen kann. Dann aber, wenn man einfach weiter hinschaut, scheint es plötzlich, als stünden die Speichen still, als drehten sie sich sogar rückwärts.

Oh, das mag ich sehr, sehr gerne. Habe noch nie gehört, dass das jemand gesagt hat. Wenn ich diese Geräusche mache, dann weiß ich genau, wo die Speichen sind.

Sie konstruieren diese Klänge langsam und beschleunigen sie dann?

Das tue ich nicht! Ich mache das in genau dem Tempo, in dem man das hört. Ich kenne also alle individuellen Momente, die da einfließen – und dann ergibt sich daraus etwas völlig Neues, Fließendes, beinahe Ruhiges, nur auf einem höheren Niveau.

Aphex Twin 2018

Zugleich – wir sprachen über Ihren Ambient – können Sie auch langsam.

Inzwischen muss ich das nicht mehr. Es gibt Leute, die laden entschleunigte Versionen meiner Tracks bei YouTube hoch. Was für 45 Umdrehungen gedacht war, läuft dann dort auf 33 Umdrehungen … oder noch langsamer, weil die Technik das inzwischen erlaubt. In Superzeitlupe. So, dass die einzelnen Speichen wieder zum Vorschein kommen. Manche Sachen klingen langsam sogar besser als in der ursprünglichen Variante. Wunderbar.

Aphex Twin ist von Mythen umrankt. Er wohnt im Tresorraum einer Bank. Er fährt einen Panzer. Er will sich ein U-Boot kaufen …

Die meisten dieser Mythen sind tatsächlich wahr. Natürlich lüge ich auch viel. Worüber ich nicht lüge, das ist normalerweise falsch. Und worüber ich lüge, das trifft gerne mal zu.

Sie sind ein Troll.

Bin ich das? Wer weiß …

Ein U-Boot haben Sie aber nicht gekauft?

Ich wollte es kaufen, das ist richtig. Ich wusste sogar schon, bei wem und wo. Ich habe es dann aber doch nicht getan. Du brauchst mindestens zehn Leute, um damit in See zu stechen. Ich bräuchte also eine Crew. Ich mag aber keine Crew.

Werden Sie eigentlich ungemütlich, wenn man Sie auf der Straße erkennt und anspricht?

Manchmal fragen Leute: „Bist du nicht Aphex Twin?“ Und ich sehe, dass sie sich nicht zu 100 Prozent sicher sind. Da habe ich dann eine dumme Geschichte auf Lager: „Hey, das ist heute schon das zweite Mal, dass ich das gefragt werde! Wer ist dieser Typ? Ich scheine ihm wirklich ähnlich zu sehen, oder?“ Das klingt dann aufrichtiger als ein schroffes „Nein“. Zuletzt waren meine Kinder dabei: „Papa, warum lügst du?“ Und ich so: „Seid still, seid still!“ Kinder sind so entsetzlich ehrlich.

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