Anne Clarke


Anne Clarke war in den letzten Jahren kein Stammgast auf den Bühnen, und manch schnellebiger Konsument hat die Musikperformerin und ihre frostigen Technoklänge vielleicht schon mit den letzten Relikten einer überlebten New-Wave-Generation in die ewige Gruft gebettet. Doch die 27jährige Engländerin war schon zu ihren Glanzzeiten mehr zeitlose Poetin als gedankenlose Wellenreiterin kurzlebiger Trends. Ihre Anhänger wissen das zu schätzen und zollen dem Blondschopf auch nach dreijähriger Plattenund Bühnenpause in der ausverkauften Halle ehrfürchtigen Respekt.

Respekt, Anerkennung und Faszination — das sind die emotionalen Bahnen, die ein Auftritt von Anne Clarke nach wie vor benötigt. Denn ihr Vortrag ist auch 1990 noch immer meilenweit von leicht verdaulichen Konzertvergnügungen entfernt; fröhliche, spontane Begeisterung ist hier schlichtweg fehl am Platz. Denn isolierte, abgeklärte Computerklänge verbinden sich mit sanften Streicherweisen von Kontrabaß und Geige zu meditativer Monotonie. In diesem wohlkonstruierten Stimmungsteppich treibt sich Annes unterkühlter Sprechgesang bis in die letzten Nervenzellen der Zuhörer voran. In wechselweise tiefrotes oder strahlendblaues Licht gehüllt, macht die Poetin aus ihrem Auftritt ein ganz spezielles Statement: Denn für sie ist die Bühne kein Vehikel, um sich selber provokant in Szene zu setzen. Fast verhalten, aber aufs Äußerste konzentriert, gibt sie sich — um viel über sich mitzuteilen, um ihre Poesie, ihr Leben, ihren Alltag zu artikulieren. Die Titel der Songs, etwaige Hits und deren Wiedererkennungswert sind dabei genauso unwichtig wie die Haarfarbe des Kartenabreißers.

Aber selbstverständlich spielte sie alle ihre Kühlschrank-Evergreens, die noch vor fünf Jahren jede Neon-Disco auf Trab hielten: Stücke wie „The Hunter“, „Our Darkness“ oder „Sleeper In Metropolis“, und selbstverständlich antwortete das Publikum darauf mit herzlichem Applaus. Diese Songs sind ohne Zweifel besondere Perlen — doch in dem komplexen Gefüge aus akustischen Eindrücken und der perfekt konstruierten Vision von Anne Clarkes Auftritt sind sie trotzdem lediglich gleichgewichtige Teile eines Gesamtkunstwerks, das heutzutage vielleicht sogar zeitgemäßer ist denn je. Man könnte darüber schier ins Philosophierengeraten.