Angel Haze
Sollte neben Azealia Banks etwa noch Platz für eine weitere explosive Rapperin aus New York sein? Ja, sollte unbedingt!
Es sind Zeilen, die einen gleichzeitig heulen und kotzen lassen möchten: Über den Beat von Eminems „Cleanin‘ Out My Closet“ rappt die 21-jährige Angel Haze aus Brooklyn in beklemmenden Details, wie sie als Kind mehrfach vergewaltigt wurde – und was das aus ihr gemacht hat: „I never got to be a kid so that’s as far as I grow, I was extremely scared of men so I started liking girls“, „Wanted to rip it out and just fucking step on my heart“. Man kommt kaum dazu, darauf zu achten, mit welchem Geschick sie diese Zeilen herauszischt. Der Song stammt aus ihrem Mixtape Classick, dem dritten, das sie 2012 veröffentlichte.
Hinter dem umfangreichen Output von Angel Haze, bürgerlich Raee’n Wahya, steckt ein System: „Alles, was ich tue, folgt einer Strategie“, sagt sie. „Ich wollte nie Demos an Plattenfirmen schicken – ich wollte immer, dass die Labels auf mich zukommen.“ Mit ihren EPs habe sie sich „derart groß gemacht, dass man mich nicht mehr übersehen konnte“. Der Plan ging auf: Heute steht Angel Haze beim größten Major der Welt, Universal, unter Vertrag. Sell-out-Beschuldigungen könnten ihr dabei nicht gleichgültiger sein. Aufgeregte Tweets ihrer Fans beantwortete sie auch mal mit einem beherzten: „Ganz recht, Bitch, ich habe mich verkauft. Na und?“ Auf Fans könne man ohnehin nicht pauschal bauen, sagt sie. Viele seien illoyale Trittbrettfahrer, die bei nächstbester Gelegenheit abspringen.
Angel Haze macht sich keine Illusionen mehr. Nach den Wirren ihrer Erziehung – sie wuchs gegen ihren Willen in der Obhut diverser sektenartiger Gemeinschaften wie der Apostolischen Kirche auf – und den erwähnten Missbräuchen spielt sie ihr Leben nach eigenen Regeln. Ihre oberste Tugend lautet: Gelassenheit. Vorwürfe, Angel Haze könne keine ernst zu nehmende MC sein, da sie mit Coldplay und den White Stripes aufgewachsen sei und die Ikonen ihres Genres wie Notorious B.I.G. nicht studiert habe, gehen ihr sonst wo vorbei. „Hatten die ersten Rapper etwa Rapper, auf die sie sich beziehen konnten? Nein, aber Vorbilder und Einflüsse hatten sie trotzdem“, sagt sie.
Eins ihrer momentanen Vorbilder ist übrigens, man lese und staune: Azealia Banks, ebenfalls 21, ebenfalls heißer als heiß gehandelte Rapperin, ebenfalls aus New York (Angel Haze kommt aus Michigan, hat sich aber für den Big Apple als Wahlheimat entschieden). Müsste die nicht ihre stärkste Konkurrentin sein? Mitnichten: Die beiden schreiben einander angeblich täglich Kurznachrichten, planen sogar gemeinsame Aufnahmen. Man müsse nur noch einen Termin finden. „Wenn ich mit jemandem zusammenarbeite, dann will ich auch in einem Raum mit diesem Menschen sein“, sagt Haze. Eine branchentypische Kollaboration wie über E-Mails komme nicht infrage. Da könnte einer der ganz großen Hits des Jahres auf uns zukommen.
Doch was, wenn nicht? Was, wenn aus Angel Haze nicht das nächste große Ding wird, für das sie schon so viel Vorarbeit geleistet hat? Dann heißt es: zurück auf die Schulbank. Haze hat der Musik zuliebe ein Studium der Neurochirurgie abgebrochen, das sie aber jederzeit wieder aufnehmen kann. Ein Engel, der die Hölle kennt, überlässt nichts mehr dem Zufall.