„American Gods“ (Staffel 2) auf Amazon: Götterdämmerung light (Kritik)
Ob „American Gods“ ein göttlicher Schwindel ist oder nicht – niemand weiß es, nicht einmal die Protagonisten. Am 11. März ist auf Amazon Prime endlich die 2. Staffel gestartet. Lohnt sie?
Der Fluch der 2. Staffel ist ein bekanntes Phänomen im Serienkosmos – erst recht, wenn einen die erste Staffel, wie im Falle von „American Gods“, in einen wilden Fiebertraum aus amerikanischer Folklore und klassischer beziehungsweise moderner Mythologie entführt. Mit entfesselten Göttern, die Menschen durch ihre Vagina snacken, Leichen, die von magischen Münzen am Leben gehalten werden und vom Pech verfolgten Kobolden.
Showrunner-Chaos deluxe
Geschürt wurden die Erwartungen zusätzlich dadurch, dass Staffel 1 MITTEN IM Geschehen aufhörte und verzweifelte Serienjunkies länger auf Nachschub warten mussten. Die erste Staffel, die am 1. Mai 2017 bei Amazon online ging, wurde von „Hannibal“-Serienschöpfer Bryan Fuller sowie „Gotham“-Produzent und „Blade Runner 2049“-Autor Michael Green aus der Taufe gehoben. Allerdings waren die beiden an Staffel 2 nicht mehr beteiligt (vermutet werden Budget-Streitigkeiten) und auch Gillian Anderson („Akte X“) verließ den Cast. Bis in Jesse Alexander ein neuer Showrunner gefunden war, verging einige Zeit, der Startermin verschob sich immer weiter nach hinten, das Internet murrte.
Worum geht es nochmal in „American Gods“?
Die TV-Serienadaption „American Gods“ des Fantasy-Romans von Neil Gaiman spielt in Amerika, einem Schmelztiegel der Kulturen, voller Menschen mit unterschiedlichem Glauben, Wünschen, Hoffnungen und Zielen und mit unterschiedlichen Göttern. Diese Götter nun reisten in alter Zeit als blinde Passagiere mit ihren Anhängern mit, zynische Zungen könnten behaupten: Sie parasitierten. Tatsächlich sind die Götter von ihren jeweiligen Gläubigen abhängig, die Prämisse ist dabei so einfach wie genial: Die Kraft eines Gottes hängt von der Stärke seiner Glaubensgemeinschaft ab. Schwindet diese, so siechen auch die angebeteten Götter dahin. Und wie sie siechen.
Der Grund: Sie werden verdrängt. Statt Odin oder der Königin von Saba Menschenopfer zu bringen, klicken sich diese undankbaren Gläubigen lieber durch eine Million Newsfeeds und stieren wie betäubte Rindviecher auf flimmernde Bildschirme. Sie dienen damit neuen Göttern, beispielsweise „Mr. World“ (aka Globalisierung), „Media“ und dem „Technischen Jungen“, neuer Gott des Internets und der Computer. Die alten Götter passen sich zum Teil an oder drohen einfach unterzugehen. Mr. Wednesday aka Odin, Göttervater der nordischen Mythologie, ist in der heutigen Zeit als Trickbetrüger unterwegs und will die alten Götter zum Krieg gegen die neuen Götter vereinen.
Zentrale Figur der Geschichte ist der ehemalige Häftling Shadow Moon. Er wird zum Bodyguard und Reisebegleiter von Mr. Wednesday, begleitet beziehungsweise verfolgt werden sie von Shadows Frau Laura, die eigentlich tot ist, aber durch die Münze eines Kobolds zurückgeholt wurde. Sie reisen kreuz und quer durch Amerika und rekrutieren die alten Götter für die große Schlacht gegen ihre neuen Widersacher.
Amazon„American Gods“: Was in Staffel 2 passiert
Staffel 2 von „American Gods“ setzt tatsächlich da an, wo Staffel 1 aufgehört hat. Schade, dass es so lange her ist, dass sich keiner mehr daran erinnern kann. Zum Glück liefert Amazon eine gelungene Crash-Fassung der ersten Staffel gleich mit.
Zu Beginn von Staffel 2 kommen die alten Götter im House on the Rock zum Konklave zusammen, dargestellt in ausgiebigen traumhaft anmutenden Sequenzen, denen aber der Biss und das optische Feuerwerk der ersten Staffel fehlt. Insgesamt ist es schwierig, in den ersten beiden Folgen irgendeinen roten Faden auszumachen, alles driftet auseinander und man vermisst den erzählerischen Charme der 1. Staffel, wo sich die vielen Nebenschauplätze und Rückblenden zu einem organischen Ganzen zusammengefügt haben. Selbst die Gewaltszenen wirken im Vergleich zur ersten Staffel eher hölzern – flogen da noch ganze Wirbelsäulen in einer an „Preacher“ oder „Kill Bill“ erinnernden expressionistisch überspitzen Szene durch die Luft, denkt man jetzt eher an eine Kneipenschlägerei.
In Episode 3 findet „American Gods“ dann aber, hoffentlich dauerhaft, zu seinem Fokus zurück. Die Freude am Erzählen springt wieder auf den Zuschauer über, obwohl das Erzähltempo ruhig bleibt. Die Idee, dass Argus, der Riese mit den 1000 Augen aus der griechischen Mythologie („Argusauge“) heutzutage mittels Drohnen und Kameras die Welt überwacht, ist zwar konventionell, dafür erscheint seine Sexszene mit New Media umso bizarrer. Der Zuschauer wird dabei zum Voyeur einer wahrlich plastischen Szene degradiert – eine Parabel auf unsere Zeit, in der alle Arten von Pornos mit einem Klick verfügbar sind (…Tentakel-Sex ist ein beliebtes Sujet in Japan) und Gäste in südkoreanischen Hotels mittels geheimer Kameras gefilmt werden. Die Verbindung von Argus (Überwachung) und New Media (Soziale Medien) ist naheliegend, aber vermutlich noch nirgendwo derartig visualisiert worden.
Ein wichtiges Element im „American Gods“ zugrunde liegenden Roman von Neil Gaiman ist Sozialkritik – seien es nun Einwanderer, die Amerika geprägt haben, aber versklavt wurden oder an den Grenzen sterben, oder der in Staffel 1 auftretende Gott „Vulcan“, der eine Munitionsfabrik leitet und Waffennarren um sich schart, die ihm huldigen. Dieser Ansatz steckt auch in Staffel 2, bisher aber dezenter. New Media ist nervig und selbstfokussiert, ein starker Kontrast zur alten Media, und eine Parabel auf Lügenpresse und kurzlebige Fake News.
Angenehm fällt auf, dass das 2001 erschienene Buch von Neil Gaiman an die heutigen Gegebenheiten angepasst worden ist, ohne dadurch zu offensichtlich vom Original abzuweichen. So hat sich neben New Media auch der Technische Junge verwandelt. War er im Roman 2001 noch das Klischee eines Technik-Freaks und Stubenhockers, avancierte er in der ersten Staffel zu einem hypernervigen Medienopfer mit Größenwahnkomplexen und angesagten Klamotten, in Staffel 2 hat er sich einen Man-Bun stehen lassen und legt eine gewisse Hipster-Mentalität an den Tag.
Kritik, Kritik und trotzdem toll
Die zweite Staffel von „American Gods“ erhält bisher eher negative Reviews, tatsächlich muss man aber zu ihrer Ehrenrettung sagen, dass sie sich überwiegend am Buch orientiert. Da die erste Staffel quasi ein Drittel der Handlung des Buches abgedeckt hat, fällt die zweite Staffel in den eher undankbaren Mittelteil. Der große Clou wird bisher nur angerissen (Odin, du Schurke), gleichzeitig vieles aus der ersten Staffel vorausgesetzt. Das kann zur Frustration führen, wenn man die Zusammenfassung nicht gesehen beziehungsweise das Buch nicht gelesen hat.
Was zusätzlich nervt, sind die schlecht gemachten englischen Untertitel, da werden Namen verballhornt („Sam Black Curl“ statt „Sam Black Crow“) und es tummeln sich so viele Rechtschreibfehler darin, dass New Media ihre Freude hätte. Auch mit der wöchentlichen Auslieferung einer einzelnen Folge tut Amazon sich keinen Gefallen – es gibt zwar die knackige Zusammenfassung der 1. Staffel, die Folgen der 2. Staffel sind inhaltlich aber nicht wirklich eindeutig voneinander abgegrenzt. Deshalb ist es teilweise mühsam, sich wieder ins Geschehen zu finden. Bei insgesamt nur acht Folgen bietet sich ein Binge-Watching-Exzess eigentlich an. Auch die netten kleinen Anfangssequenzen der 1. Staffel, in denen die Reisen der alten Götter nach Amerika dargestellt werden, werden schmerzlich vermisst, Gleiches gilt für Gillian Andersons Darstellung der Media. Dafür ist Pablo Schreiber (bekannt aus „Orange Is The New Black“) als ständig vom Pech verfolgter Kobold Mad Sweeney ein Sahnetüpfelchen in einer ohnehin gut besetzten Serie.
Absolut und uneingeschränkt positiv hervorzuheben ist der Soundtrack von Staffel 1 und 2, der aus lauter guten Songs besteht, die bei genauerem Hinhören meistens einen Bezug zum Thema der jeweiligen Folge haben. Siehe und höre unten. „American Gods“ bleibt eine epische Serie. Hoffen wir, dass der Rest der Staffel sich an der dritten Folge orientiert. Oder mit den Worten von Neil Gaiman: „You’re fucked up, Mister. But you’re cool.“