Alles so bunt da: In Japan feiern sie einen Act namens Starish in den Charts
Jochen Overbeck in seiner Popkolumne Nummer Eins über Platz 1 der japanischen Single-Charts vom 25. April 2015: Starish mit „Maji Love Revolutions“.
Pop in Japan funktioniert anders, das versteht man, auch wenn man sonst herzlich wenig versteht. Ich sitze in einem Café in Shibuya, jenem Stadtteil, in dem das vielleicht am deutlichsten wird. Das Café – das ist hier nicht unüblich – befindet sich im dritten Stock, man hat also die Draufsicht, ist aber trotzdem noch nah genug am Erdboden, um zu hören, was da passiert. Das ist wichtig, denn es passiert einiges.
Im Minutentakt rollen Lkw durch die Straßen. Als motorisierte Marktschreier verkünden die Trucks, was aktuell in Sachen Musik angesagt ist. Manchmal sind ihre Flanken mit dem Konterfei der Künstler bedruckt, andere sind fahrende Videowände, indes dröhnt’s und scheppert’s aus allen. 80er-infizierter Rummelplatz-J-Pop von Yuma (super Titel: „Yolo Moment“), düsterer Hardrock von den J Soul Brothers (tatsächlich mit einem Feature von Slash) und unzählige Sternchen aus der „Idols“-Bewegung, einem komplexen Popstarausbildungsprinzip: Es ist eine knallbunte Krachkarawane, die an einem ebenso zahlreichen wie dekorativen Publikum vorbeizieht und ohne die uns bekannten Gesichter des Betriebes auskommt.
Ein Blick auf die japanischen Hot 100 zeigt: Auch hier findet der Westen kaum statt, in den Top 20 ist mit Carly Rae Jepsen genau eine Interpretin notiert, die mir bekannt ist. Die Nummer 1 stammt dagegen, wenn ich das richtig verstehe, von einer Band, die es gar nicht gibt. Starish sind Charaktere einer Visual-Novel-Serie für die PlayStation Portable. Eine interaktive 2.0-Version von Alvin and the Chipmunks, angereichert mit dem Teen-Appeal des High School Musicals, aber aus einer Welt erzählend, die uns völlig fremd ist. Abends im Hotel spiele ich ein paar Clips ab, finde sogar deutsche Fanforen. Ich selbst verstehe nach einer Stunde immer noch nicht, um was es da überhaupt geht. Es ist beruhigend, das Pop doch noch nicht global durchkonfiguriert ist. Und schade, dass keine Tocotronic-Laster durch Berlin brummen.
Diese Kolumne ist in der Juni-Ausgabe des Musikexpress erschienen.