Alles Roger!


Mit 34 hat er sein Meisterstück bereits gemacht: Aus dem alten Schlachtroß Tina Turner, das in Hotels und drittklassigen Clubs sein Gnadenbrot verdiente, machte der australische Manager einen ausgewachsenen Goldesel. Selbst graue Eminenzen wie Jagger und Bowie, die 15 Jahre lang auf einen Manager verzichteten, suchen nun die Dienste des schwergewichtigen Wunderkindes. Bernd Gockel machte einen Schnellkurs in angewandtem Musik-Management.

Vor sechs Jahren mußte selbst Tinas goldfarbener Mercedes dran glauben. Für 20000 Dollar wanderte das gute Stücke ins Pfandhaus, um dringend notwendige Demos zu fianzieren. Die Lage war prekär: kein Plattenvertrag, keine Perspektiven — nicht mal ein vernünftiges Startkapital für den längst überfälligen Neuanfang.

Ein damals 28jähriger Australier sollte das Schiff wieder klarmachen. Nur wie? Vor allem wenn man von dem Sinn der Übung anfangs keinesfalls überzeugt war: „Sicher, ich kannte und schätzte sie noch aus den Zeiten der Ike & Tina Turner-Revue, aber ihr neues Material haute mich überhaupt nicht um. Mit meinem damaligen Partner habe ich mich dann doch breitschlagen lassen, eine ihrer Shows zu besuchen. Es war im Fairmont Hotel in San Francisco — überall Smokings, Abendkleider, Kristallleuchter. Mir schwante Böses. Aber obwohl sie praktisch nur Coverversionen sang, waren wir von den Socken. Und als dann auch noch die befrackten Herrschaften vor Begeisterung auf den Tischen tanzten, sagte ich zu meinem Partner: ,Damil kann man arbeiten‘.“

Gearbeitet hat Davies zu diesem Zeitpunkt schon lange und reichlich: Mit 13 importiert er Platten aus England („SGT PEPPER hatte ich schon vier Monate, als sie endlich in Australien rauskam“), macht einen Newsletter für Freunde und schmeißt die Highschool. Abends arbeitet er als Roadie, tagsüber als Angestellter einer booking agency in Sydney. Er ist gelehrig und gerade erst 21, als ihm die Gruppe Sherbet Ohne ihn wäre ihr Comeback nie möglich gewesen: Tina Turner mit dem australischen Manager-As Roger Davies.

das Amt des Managers antragt.

Obwohl damals in ihrer Heimat schon durchaus erfolgreich, geht es mit Sherbet nun natürlich steil bergauf: insgesamt drei Millionen Platten in Australien — und mit „How’s That“ immerhin auch ein Nr. 2-Hit in England.

Ein eigenes Label wird gegründet, viel Geld verdient, viel Geld verpulvert. Als sich Sherbet nach einem großen Abschiedskonzert 1977 aufs Altenteil zurückziehen, steht Davies reichlich nackt da. „Ich hatte inzwischen Angebote von AC/DC und der Linie River Band abgelehnt, weil ich bei Sherbet praktisch der sechste Mann war. Da stand ich plötzlich und sagte nur: Scheiße!“

Die Zeit schien reif für einen Einschnitt. Statt sich in Australien nach einem neuen Arbeitsplatz umzuschauen, wagt Davies den Sprung nach Los Angeles. ,“ Wenn du es jetzt nicht packst‘, sagte ich mir, ,wirst du dein Leben lang frustriert sein und einer verpaßten Chance nachweinen.‘ Darüberhinaus: Amerikanische Manager haben mir immer mächtig imponiert. „

Mit einer finanziellen Notration, die ihn 12 Monate über Wasser halten muß, versucht Davies im Mekka der Medien und Manager mitzumischen. Als er nach neun Monaten immer noch nicht mehr vorweisen kann als einen obskuren australischen Songschreiber, sehen die Karten nicht gut aus.

Auftritt Olivia Newton John. „Ich kannte sie flüchtig, weil sie auch aus Australien stammt. Eines Tages kommt Lee Cramer, ihr Freund und Manager, auf mich zu und sagt:, Wir haben dich jetzt einige Monate beobachtet. Willst du nicht für uns arbeiten?'“

Die Aussicht auf ein Büro mit Sekretärin (bis dahin diente das kleine Apartment als Arbeitsplatz) sowie ein geregeltes Einkommen lassen anderweitige Bedenken in den Hintergrund treten. Davies greift zu.

Und wieder erweist er sich als gelehrig und hat obendrein das Glück, daß der Andere Pech hat: Lee Cramer verliert nicht nur den Platz an Olivias Herzen, sondern wenig später auch den lukrativen Arbeitsplatz.

„Und plötzlich sitze ich mit Olivia im Flugzeug, I. Klasse natürlich, und fliege nach München, um mit Produzent Jeff Lynne ,Xanadu‘ aufzunehmen. Es ging alles sehr schnell.“

Auch diesmal bleibt seine Arbeit nicht unbeachtet. Schon wenig später erhält er das Angebot, auch die (zweifelhafte) Zukunft von Tina Turner in seine bewährten Hände zu nehmen. „Tina steckte damals in einem Teufelskreis. Sie war nicht angesagt, und weil sie nicht angesagt war, zeigte auch keine Planenfirma Interesse. Und weil keine Plattenfirma an uns glaubte und Geld vorschoß, konnten wir auch nicht das Gegenteil beweisen.“

Die Roßkur mußte her. „Ich sagte ihr, daß sich so ziemlich alles ändern müsse. Eine neue Band mußte her und vor allem mußte sie aus diesen scheußlichen Las Vegas-Hotels raus. Denn in diesen Ghettos passiert gar nichts! Ich verzichte lieber auf ein paar dicke Scheine und spiele für kleine Gage in einem angesagten Rock-Club, wo auch die Leute von den Plattenfirmen verkehren.

Ich habe dann einem New Yorker Veranstalter das Angebot gemacht, Tina für drei Tage hintereinander ins ,Ritz‘ zu buchen. Statt Gage verlangte ich nur die Unkosten von täglich 2500 Dollar. Und obendrein gab ich ihm 10000 Dollar, um die Konzerte zu einem Event, zu einem Ereignis zu machen, über das die ganze Branche sprechen sollte.

Zufällig war auch David Bowie in der Stadt. Er hatte gerade einen Vertrag bei einer neuen Firma unterschrieben und sollte von seinen Partnern erstmals zum Essen ausgeführt werden. Sie machten natürlich große Augen, als David sagte: „Tut mir leid, meine Herren, aber ich kann heute abend unmöglich das Konzert meiner Lieblings-Sängerin verpassen.‘ Und alle sagten nur: ,Ooooh, Davids Lieblings-Sängerin…'“

Und so geschieht es, daß die Aktien plötzlich steigen. Capitol Records zeigt Interesse, ein Vertrag wird aufgesetzt, Ausschau nach geeigneten Produzenten gehalten.

„Aber es waren nur die abgehalfterten LA-Produzenten, die man uns anbot. Ich hatte mit Tina etwas ganz anderes im Auge.“

Zahllose Demos und Produzenten später ist man genauso schlau wie vorher. Die Plattenfirma bekommt obendrein langsam kalte Füße. In seiner Verzweiflung ruft Davies in England bei Heaven 17 an. Heaven 17 hatten im Jahr zuvor ein Album mit Klassikern der Popgeschichte produziert — und dazu auch die Idole ihrer Kindheit ins Studio geholt; Tina Turner war mit“.Ball Of Confusion“ vertreten.

„Also fuhren wir nach Engkind und baien sie, Material vorzuschlugen, das in ihren Augen zu Tina passen könnte. Wir wollten unseren Ohren nicht trauen, als sie uns eine Kollektion angestaubter R&B-Kamellen vorspielten — genau das, was Tina ein fiir allemal hinter sich lassen wollte. Sie wollte keinen Blues mehr, sie wollte keine deprimierenden Gospelsongs. Sie hat sich immer viel mehr als Weiße gefühlt und wollte Rock ’n’Roll!“

Ein Stück immerhin findet ihre Gnade, „Let’s Stay Together“. Man nimmt die Nummer gleich an Ort und Stelle auf, covert für die Rückseite einen Bowie-Song — und kann mit ungläubigem Staunen verfolgen, wie die Single die europäischen Charts hochschießt…

Importe machen selbst in New York Furore. „Die amerikanische Plattenfirma freakte aus. Da hatten sie nun vergebens so viel Geld und Mühe investiert — und plötzlich schneit ihnen aus England ein Hii ins Haus. Sie haben verzweifelt versucht, die Nummer in Amerika abzuwürgen — und klingelten gleichzeitig bei mir Sturm und jammerten. ,Um Gottes willen! Was machen wir bloß mit einem Hit, wenn wir kein Album dazu haben?! Wir brauchen ein Album — lieber heute als morgen.“

Es bleibt nicht viel Zeit. Genau gesagt drei Wochen, denn eine bereits gebuchte Europa-Tournee im Frühjahr ’84 kann so kurzfristig nicht mehr abgesagt werden. „Also setzte ich mich in London ans Telefon und rief Gott und die Weh an. Über Ed Bicknell, den Dire Straits-Manager, kam ich an Songs von Mark Knopfler; mein alter Freund Terry Brüten schickte einige Songs; Rupert Hine, den ich immer bewundert habe, produzierte, einen Track usw. Eine Hand gab die andere — und drei Wochen später war PRIVATE DANCER tatsachlich fertig. „

Es war ein Comeback wie aus dem Bilderbuch. Allein in Deutschland wurden fast 1,5 Millionen Alben abgesetzt — von den fünf Hitsingles ganz zu schweigen. Ausverkaufte Tourneen, Titelseiten, Fernsehshows — Managerherz, was willst du mehr!

Roger Davies wollte mehr, „Ich zähle nicht zu den Überfliegern unter den Managern, die einmal einen Platten-Deal auf die Beine stellen und sich ansonsten nur zur Tour-Premiere blicken lassen. Für die jetzt beginnende Tournee sind drei Wochen Proben angesetzt, und du kannst dich drauf verlassen, daß ich immer zur Stelle sein werde, um Licht und Sound und Set und das Material zu überprüfen. Der ganze vertragliche Papierkram ödet mich an; was mich wirklich interessiert, ist die Kreativität vor Ort, ist die Arbeit mit Songschreibern, Produzenten, Musikern, Technikern. Da entscheidet sich, was ein Manager wirklich leistet. „

Und der Lohn für die Leistung? Was verdient ein Mann, der Tina Turner innerhalb zweier Jahre zum absoluten Großverdiener machte?

Intime Fragen dieser Natur, die immer auch den Fiskus interessieren, stellt man einem Manager tunlichst nicht. Nach einem gequälten Stöhnen läßt sich Davies zumindest so viel entlocken; „Nach Abzug aller Unkosten bekomme ich 15 Prozent von Platten- und Tournee-Einnahmen. Ich glaube, das ist ein fairer Deal, Andere nehmen 20 oder gar 25 Prozent. „

Schriftliche Abmachungen kennt er grundsätzlich nicht; Verträge mit seinen Künstlern werden per Handschlag besiegelt. „Alle haben mich für verrückt erklärt, aber ich bin mit dieser Regelung immer gut gefahren. Wenn man nicht mehr zusammenarbeiten kann oder will, dann ändert auch ein Stück Papier nichts daran.“

Sein erfrischend unkonventioneller Stil, nicht zuletzt natürlich auch sein Erfolg mit Tina Turner haben den 34jährigen Australier zum derzeit wohl gefragtesten Manager gemacht. „Ich glaube, es gibt kaum eine amerikanische Sängerin, die nicht schon bei mir angeklopft hat. Natürlich macht mich das stolz, aber nach Olivia und Tina möchte ich nicht Gefahr laufen, ausschließlich als Spezialist für weibliche Klienten abgestempelt zu werden. „

So hat er denn seine Mannschaft bewußt klein gehalten; außer der kanadischen Rocksängerin Dalbello betreut er momentan zumindest keine anderen Kunden weiblichen Geschlechts.

Einen Neuzugang allerdings hat er zu vermelden, bei dem er einfach nicht nein sagen konnte. „Mick Jagger fragte mich, ob ich ihm nicht helfen wolle, seine Solo-Karriere in die richtigen Bahnen zu leiten. Er war mit seinem ersten Solo-Album nicht sonderlich glücklich, zumal er gleichzeitig Verpflichtungen den Stones gegenüber hatte. Da lief halt einiges schief. Inzwischen ist die Situation eine andere: Die Stones werden zwar noch Platten machen, aber sicher keine Tournee mehr. Mick hat also endlich die Zeit, sich intensiver mit seinen Solo-Plänen zu beschäftigen. Mit dem ersten Album war er nicht glücklich; das klang ihm zu sehr nach Stones. Seit er bei LIVE AID mit der Hall & Oates-Band gespielt hat, ist ihm bewußt geworden, welche Möglichkeiten für ihn offenstehen.

Aber er weiß auch, daß er dafiir eigentlich einen Manager braucht. Er hat praktisch die Stones 15 Jahre gemanagt — und da liegt sein Problem. Er braucht einen Außenstehenden, der ihn unvoreingenommen berät.

Folglich sind wir übereingekommen, daß ich erstmal als ,creative consultant‘ für ihn arbeite. Ich habe ihm Songs und Sonpschreiber vorgeschlagen und eine Band zusammengestellt; Dave Stewart produziert. Er will weg vom Sound der Stones, aber immer noch Rock ’n Roll machen; ein paar Hitsingles dürfen natürlich schon dabei sein. „

Über einen anderen potentiellen Kunden möchte er sich noch weniger auslassen. Ja, er hat sich mehrfach mit Bowie getroffen, um über eine gemeinsame Zukunft nachzudenken. „Wie Jagger hat auch Bowie alle Entscheidungen immer selbst getroffen; er hätte nichts dagegen, wenn man ihm einen Teil der Arbeit abnehmen würde. Allerdings macht es eine Verbindung mit Jagger unmöglich, für Bowie zu arbeiten — auch wenn sie privat dicke Freunde sind. „

Warum das?

„David ist sehr empfindlich. „