Alice Cooper


"Wenn ich alles glauben wurde, was man sich über mich erzählt, hätte ich mich schön längst selbst getötet!" Alice bestreitet noch immer, während einer Show einem Huhn den Kopf abgebissen zu haben. Wenn er die Geschichte von den jungen Katzen hört, die er in Stücke gehackt haben soll, nimmt sein Gesicht einen ungläubigen Ausdruck an: "Wer immer sich das ausgedacht hat, muss noch verrückter sein, als ich."

Alice Cooper ist ein Superstar – ein wirklicher, echter Superstar. Er ist Amerikas bedeutendster Entertainer und seine Show ist wahrscheinlich die grösste Rock & Roll Show aller Zeiten, sicher jedenfalls die verrückteste. Er ist der totale Gegensatz zu den langweiligen, gutaussehenden Popidolen der Sechziger Jahre. Er ist hässlich, böse, pervers. Sein Anblick und sein Auftreten sind eine Beleidigung für den braven amerikanischen Durchschnittsbürger. Alice Cooper verkörpert all das, wovor Eltern aller Generationen ihre Kinder gewarnt haben. Doch unter dem Mantel seines Images ist er ein ganz normaler Typ, der niemanden kränken und keinem wehtun will. Ohne Make-Up, in verwaschenen Jeans und ein altes T-Shirt gekleidet, erinnert nichts an ihm an den Alice, den wir von der Bühne her kennen. Seine Stimme knarrt wie eine schlechtgeölte Tür, doch er spricht ruhig und besonnen. Was er tut, geschieht in der Absicht, das Publikum zu unterhalten und ihm seine Frustationen zu nehmen: „Ich will die Leute befreien, indem ich ihre Fantasien ausspiele. In jedem von uns schlummert eine heimliche Sehnsucht nach Brutalität und Gewalttätigkeit. All diese Aggressionen führe ich den Leuten vor, ich konfrontiere sie mit ihrem eigenen Spiegelbild und wer das sieht, wird sicher nicht im Anschluss an das Konzert auf die Strasse gehen und jemanden umbringen“.

MORD AUF DER BÜHNE

Auf der Strasse drängen sich Hunderte von Jugendlichen vor der Abendkasse. Sie sind bunt gekleidet, in Samt und Satin, Jungen und Mädchen mit auffälligem Augen-Make-Up. Ein ganz neuer Trend. Vielleicht haben sie vorher stundenlang vor dem Spiegel gestanden, um ihre Aufmachung so gut wie möglich zu perfektionieren. Doch ihre Bemühungen waren ganz umsonst die Karten für die Show sind längst ausverkauft. Drinnen im Saal sitzen ein paar Tausend, die clever genug waren, sich die Karten im Vorverkauf zu besorgen. Jetzt harren sie auf ihren Stühlen, umgeben von absoluter Dunkelheit. Viele von ihnen haben ängstliche Gesichter, andere geben sich betont gelassen. Doch alle sind gespannt. Sie haben so viel von Alice Cooper gehört. Ist er wirklich so verrückt? Plötzlich geht ein Raunen durch die Menge. Mit angehaltenem Atem richten sie ihre Blicke auf die Bühne, wo jetzt ein Scheinwerfer zu tanzen beginnt. Suchend tastet er sich von der linken zur rechten Hälfte des Podiums und verharrt dann genau in der Mitte. Eine schwarz-gekleidete Frau wird sichtbar. Nein, es ist keine Frau – das ist Alice Cooper. Er hockt am Rand der Bühne und schwingt ein Beil in der Hand. Ohne dass Instrumente gestimmt werden, setzt plötzlich die Gruppe ein und jetzt ist die ganze Bühne schwach beleuchtet und man kann sie sehen: Fünf Jungen, alle lange Haare, in rosa, grüne und lila Seide gehüllt. Sie spielen ‚I’m Eighteen‘, ein Song für das junge Amerika. Und Alice schwingt immer noch sein Beil. „Ich bin ein Junge und ich bin ein Mann“, singt er, „Ich bin nichts halbes und nichts ganzes, stehe in der Mitte, habe ein Babygehirn und das Herz eines alten Mannes“. Die Achtzehnjährigen im Saal wissen, was Alice meint. ‚I’m Eighteen‘ ist das ‚My Generation‘ der Siebziger Jahre. Als nächstes ‚Dead Babies‘. Das Lied von der kleinen Betty, die ein Pfund Aspirintabletten gegessen hat. Alice hält eine grosse rosa Puppe in der Hand, schlägt ihr mit einer Axt Arme und Beine ab, die er ins Publikum wirft. Schliesslich ist nur noch der Kopf übrig. Die Axt trifft genau auf den Mund. Das Blut spritzt. Und Alice singt: „Tote Babies können nicht auf sich selbst aufpassen….“ Ein grimmiger Blick, ein Kuss, dann fliegt der Kopf in den Saal. Hinter Alice steht jetzt ein Galgen. In der Aufregung hat niemand gesehen, wie er aufgebaut worden ist. Manche wissen, was jetzt kommt, sie haben es irgendwo gelesen. Andere ahnen es und irgendwo, ganz hinten im Saal, kreischt ein Mädchen „oh nein, mein Gott!!!“ Die Spannung hat ihren Höhepunkt erreicht. Im Publikum ist es ganz still. Alice Cooper wird von seinen Freunden gehängt. Ende der Vorstellung. „School’s out, goodbye“. Die Scheinwerfer verlöschen, als das Licht im Saal angeht, ist die Bühne leer.

SZENERIE FÜR EINEN HORROR-FILM

Alice, der seine Show als Psycho-Theater bezeichnet, wohnt zusammen mit den anderen Mitgliedern der Gruppe‘ in Greenwich/Connecticut. Sein Haus sieht von aussen ganz normal aus, innen gleicht es eher einem Spukschloss. Wie zu allen Spukschlössern, so auch gehören zu diesem ein Ballsaal und eine kleine Kapelle. Ein Besucher, der die Halle betritt, sieht als erstes den berühmten elektrischen Stuhl, Requisit der Love-It-To-Death-Show. Daneben stehen die traurigen Überbleibsel eines ehemaligen Flipperautomaten. Ein Stückchen weiter schwebt von der Decke herab ein beinahe echt wirkender Körper Er wurde gleich Alice, gehängt. Im Zimmer darüber liegt schläfrig in einem Glaskasten Evonne. Evonne ist die ebenfalls berühmt-berüchtigte Schlange, Alices ständige Begleiterin. Neben Evonne hockt verängstigt ihre Abendmahlzeit: eine Ratte. Die Treppe, die weiter nach oben zu Alice’s Schlafzimmer führt, knarrt bei jedem Schritt.

Die perfekte Szenerie für einen Horror-Film. Doch hier fühlt sich Mr. Cooper wohl. „Das Fernsehen hat dieses Haus als Schauplatz für eine Horror-Serie benutzt. Das Haus ist Horror, ebenso wie unsere Show. Vielleicht kann man sie mit ‚Clockwork Orange‘ vergleichen. (Englischer Originaltitel des Films ‚Uhrwerk Orange‘, der zur Zeit auch in Deutschland läuft – Anm.d.Red.) Eigentlich sind wir ein Clockwork-Orange-Musical.“

Wie immer man sie auch deuten mag – es ist die perfekte Show. Es kann passieren, dass man nach einem -Alice Cooper-Konzert beunruhigt nach Hause geht und in der Nacht von Alträumen geplagt wird. Auf keinen Fall jedoch sollte man die Sache zu ernst nehme, denn „das ist doch alles nur Theater. Wer uns ernst nimmt, ist selber schuld!“