Albert Kochs Plattenschrank
Teil 3 der Serie: Das Beste aus Indie, Folk, Electronica, Psychedelia, Jazz und Avantgarde. Diesmal mit viel Disco und wenig Prog - ausgewählt und besprochen vom ME-Plattenmeister.
1962
Duke Ellington / Charlie Mingus / Max Roach
Money Jungle
Von den Alten lernen: Duke Ellington war 63 Jahre alt, als er mit den Bilderstürmern Charles Mingus (40) und Max Roach (38) ins Studio ging. Das Album Money Jungle bewies, dass das ein paar Jahre vorher aufgekommene New Thing und traditioneller Jazz keinen Widerspruch darstellen mussten. Swing-Pionier Ellington bewegte sich souverän auf vertrautem („Warm Valley“, „Wig Wise“) und scheinbar fremden Territorium zwischen Post-Bop und Freejazz („Money Jungle“). Ganz nah kommen sich Tradition und Moderne bei der Ballade „Fleurette Africaine“. Großartig, wie das Piano-Bass-Schlagzeug-Trio das von Ellington in den 1930ern popularisierte „Caravan“ umdeutet.
1966
Sonny Rollins
East Broadway Run Down
Sonny Rollins ist heute 81 Jahre alt und einer der letzten lebenden Musiker, der seit den 1950ern den Jazz wesentlich mit prägte. Rollins ist nicht bekannt für Experimentierlust, sondern für eine eher akademische Herangehensweise an den Jazz. Umso erstaunlicher ist dieses Album von 1966, das der Tenorsaxofonist mit der Rhythmusgruppe von John Coltrane – Jimmy Garrison (Bass), Elvin Jones (Schlagzeug) – sowie Trompeter Freddie Hubbard aufgenommen hat. Auf East Broadway Run Down agiert Sonny Rollins so „free“ wie nie mehr in seiner bald 60-jährigen Karriere – vor allem zum Ende des 20-minütigen Titeltracks. Freilich wird aber in jedem Moment die Herkunft des Leaders aus dem Hard Bop in Erinnerung gerufen.
1968
The Soft Machine
The Soft Machine
Es ist das erste Album von Soft Machine und das einzige in der Triobesetzung Robert Wyatt (Gesang, Schlagzeug), Kevin Ayers (Bass) und Mike Ratledge (Keyboards). The Soft Machine spiegelt perfekt den Geist des anything goes der späten 60er-Jahre wider. Es ist eine wilde Mischung aus Psychedelic Rock, jazzigen Improvisationen, atonalen Interludien und Ausflügen in den Outer Space der „populären“ Musik. Leider kommt dem Album das zweifelhafte Verdienst zu, den Prog Rock initiiert zu haben. Aber dafür wollen wir die Band aus Canterbury nicht weniger lieb haben. In den folgenden Jahren sollten Soft Machine von vielen Besetzungswechseln erschüttert werden, aber weiter musikalische Territorien erkunden, die nie ein Mensch zuvor betreten hat.
1969
David Axelrod
Songs Of Experience
David Axelrod – Komponist, Arrangeur, Produzent, zu Hause in den unterschiedlichsten Genres von Pop, Psychedelia, Jazz bis Avantgarde und dazwischen. Ab den 90er-Jahren Samplelieferant für DJ Shadow und hundert andere elektronische Musiker. Songs Of Experience war Axelrods zweites Album; es enthält eine Suite, aus acht Instrumentalnummern, die sich auf Gedichte des britischen Poeten William Blake beziehen, die wiederum im Innencover der LP abgedruckt sind. Auf Songs Of Experience streift der Alleskönner aus Los Angeles das Gebiet von (damaligem) Pop und Jazz. Die Stücke zeichnen sich durch eine dezente Orchestrierung aus und eine lyrische Qualität, die den inspirationsgebenden Vorlagen gerecht wird. Bitte nicht als „Easy Listening“ missverstehen.
1971
Herbie Hancock
Mwandishi
1969 war Herbie Hancock als Pianist bei der Geburt des Electric Jazz dabei: als Mitglied der Band von Miles Davis auf dem Album In A Silent Way. Auf Mwandishi, seinem neunten Album als Solist, wandte Hancock die Erkenntnisse an, die er bei Davis gewonnen hatte. Die Platte markiert für den Pianisten und Keyboarder den Beginn eines äußerst kreativen und abenteuerlustigen Jahrzehnts, an dessen Ende der Künstler über elektronisch-avantgardistische Umwege beim Electro Funk angekommen sein würde. Mwandishi, u.a. mit Trompeter Eddie Henderson und Schlagzeuger Billy Hart aufgenommen, legt den Begriff „Jazz“ weit aus: es gibt von afrikanischer Musik beeinflussten elektrischen Funk, ambientartige Passagen und freiformale Ausbrüche.
1972
Jean-Claude Vannier
L’Enfant assassin des mouches
Wenn jemand überhaupt noch den Namen Jean-Claude Vannier kennt, dann von Serge Gainsbourgs 1971er-Meisterwerk Histoire De Melody Nelson. Für den Albumklassiker hat der 1943 geborene Komponist, Musiker und Arrangeur die Arrangements geschrieben. Ein Jahr nach Melody Nelson veröffentlichte Vannier sein erstes Soloalbum. L’Enfant Assassin Des Mouches klingt – wirklich! – wie der Soundtrack zu einem imaginären Film. Hier treffen zeitgenössische klassische Musik, French Pop, Free-Form-Freakout, Comedy Music, Naturgeräusche, Score-Musik und fernöstlich Beeinflusstes aufeinander. Den opulenten Orchesterklang erreichte Vannier, indem er ein Streichquartett im Multitrackverfahren aufnahm.
1972
Terry Callier
What Color Is Love
Folkige Songs, jazzige Arrangements, soulige Gesangsstimme. Das „Genre“, in dem Terry Callier, Singer/Songwriter aus Chicago, unterwegs ist, beherrscht nur er selbst: Folk-Jazz-Soul. Calliers drittes Album, What Color Is Love, aus dem Jahr 1972 ist sein Meisterwerk. Schon im fast neunminütigen Opener „Dancing Girl“ fügt Callier die verschiedenen Einflüsse zu einem großartigen musikalischen Stimmungsbild zusammen, dazu ein üppiges Orchesterarrangement und diese hochgradig wiedererkennbare samtene Stimme. Subtil diskutiert Terry Callier in seinen Texten damals tagesaktuelle Themen, die sich mittlerweile als zeitlos erwiesen haben: Rassismus („What Color Is Love“) und Krieg („Ho Tsing Mee [A Song Of The Sun
1973
Donald Byrd
Street Lady
Nach der grellen Expressivität des Freejazz in den 60er-Jahren war der Jazz im nachfolgenden Jahrzehnt so frei, die Grenzen der Freiheit zu sprengen und in alle möglichen Richtungen aufzubrechen. Manche Musiker wurden elektrisch, andere besannen sich auf ihre afrikanischen Wurzeln und nicht wenige flirteten mit Soul und Funk. Wie etwa der Trompeter Donald Byrd auf seinem 1973er-Album Street Lady. Die Musik auf dem Konzeptalbum über eine freigeistige Prostituierte hat streng genommen nichts mit Jazz zu tun, allein Donald Byrds Vergangenheit als Hardbopper verleiht der Street Lady die Aura des Jazz. Flöten, Wah-Wah-Gitarren, elektrische Keyboards und Hintergrundchöre erzeugen eine Stimmung wie auf einem Isaac-Hayes-Soundtrack.
1975
Edgar Froese
Epsilon In Malaysian Pale
Was gern vergessen wird: Edgar Froese, Gründer der Originalbesetzung und heute einziges Mitglied der Berliner Elektronikpionier-Band Tangerine Dream, hat in den 70ern eine Reihe von hervorragenden Solo-Alben aufgenommen, die stilistisch verwandt waren mit denen seiner Band. Und formal: Es gibt hier zwei (17-minütige) Stücke pro Plattenseite. Der Titeltrack blickt zurück auf die Sequencer-lose Zeit von Tangerine Dream. Froese malt mit dem Mellotron ein wunderbar atmosphärisches Tonbild, das beinahe klassische Qualitäten besitzt und beizeiten von (atmo)sphärischen Störungen vor zu viel Schönklang bewahrt wird. Der andere Track „Marouba Bay“ fügt dem Protoambient die Tangerine-Dream-typischen Sequencerrhythmen zu.
1975
Lee Perry & The Upsetters
Kung Fu Meets The Dragon
Vielleicht das Dub-Album für alle Reggae-Abstinenzler. Kung Fu Meets The Dragon – Album- und Tracktitel wurden inspiriert von der sehr erfolgreichen Welle an Kung-Fu-Filmen aus Hongkong Mitte der 70er-Jahre – enthält eine Reihe von Instrumentalversionen von Songs, die der „Mighty Upsetter“ Lee Perry produziert hat. Mit seiner Hausband The Upsetters, der damals u.a. Boris Gardiner, Earl Smith und Bobby Ellis angehörten, nahm Perry im Black-Ark-Studio auf Jamaika diese ultraminimalistischen, knochentrockenen Tracks auf. Lee „Scratch“ Perrys berüchtigte Spezialeffekte halten sich hier in Grenzen, dafür fügt Augustus Pablo mit seiner Melodica ein paar wundervolle Melodiemomente hinzu.
1973
Afro Funk
Body Music
What you read is what you get: Afro Funk hieß diese Band, Afro Funk spielt diese Band. Im London der 70er-Jahre existierte dank der Vielzahl an Auswanderern eine bunte afrikanische Musikszene. Die 1969 gegründete Band Osibisa etwa gelangte mit ihrem Afro-Pop sogar in die britischen Albumcharts. Afro Funk, eine Gruppe von westafrikanischen Auswanderern, wollten ein bisschen mitschwimmen auf der Ethno-Welle. Das Album Body Music aber sollte ihr einziges bleiben, weil sich der erhoffte Erfolg nicht einstellte. Zu Unrecht. Die Musik von Afro Funk, diese Mischung aus Funkgrooves und Afrorhythmen, ist in ihrer Expressivität und hypnotischen Qualität durchaus mit der von anderen zeitgenössischen Genre-Produktionen vergleichbar. Das Album wurde in Miniauflage in London und in Ghana herausgebracht und unlängst wiederveröffentlicht.
1975
Love To Love You Baby
Die klassische Win-Win-Situation. Love To Love You Baby machte die im Mai verstorbene Donna Summer außerhalb ihrer Wahlheimat Deutschland bekannt und Giorgio Moroder für die nächsten paar Jahre zur Nummer eins der Disco-Produzenten. Das lag in erster Linie am Titelsong, auf dem Summer stöhnend und seufzend einen Orgasmus simuliert. Neil Bogart, Chef von Casablanca-Records, hatte den Song, der ursprünglich nicht einmal dreieinhalb Minuten lang war, auf einer privaten Party gespielt. Er und seine Gäste waren dermaßen begeistert, dass Bogart Produzent Moroder dazu riet, eine Extended Version zu produzieren. Die wurde knapp 17 Minuten lang und nahm die komplette erste Seite der Platte ein. Eine epische, funky und sleazy Disco-Symphonie.
1975
Goblin
Profondo Rosso
Es riecht ja doch nicht alles komisch, was Prog Rock genannt wird. Zum Beispiel das Soundtrack-Album Profondo Rosso der italienischen Band Goblin. Das Quintett wurde vom Regisseur Dario Argento beauftragt, die Musik zu seinem Thriller „Profondo Rosso“ aufzunehmen. Es entstand ein atemberaubender Bastard aus Art Rock, Jazz, Minimal Music, Hard Rock und avantgardistischen Untertönen. Das, was man durchaus als Prog Rock subsumieren kann, kommt bei Goblin jedoch ohne das genretypische Overacting und die instrumentale Selbstbefriedigung der Beteiligten aus. Drei Jahre später sollten Goblin dann den Soundtrack für die europäische Version von George A. Romeros „Dawn Of The Dead“ aufnehmen.
1977
Cerrone
Cerrone 3: Supernature
Irgendwas war anders beim dritten Album des französischen Disco-Produzenten, das ließ sich schon vom Cover ablesen. Cerrone umgab sich auf dem Bild der Hülle von Supernature einmal nicht mit hüllenlosen Frauen – keine Brüste, keine Schamhaare. Der offensichtliche Hedonismus/Machismus der beiden ersten Alben trat zurück zugunsten einer Art Konzeptalbum, auf dem sich die Euro-Disco-Legende wissenschaftskritisch äußert. Mit „Sweet Drums“ und „In The Smoke“ verlässt Cerrone die Disco sogar in Richtung Experimentierfeld, ohne dabei aber den „French Touch“ zu verlieren. Der Moroder-eske Titelsong mit seiner galoppierenden Bassline ist ein Discoklassiker, der heute noch im Stande ist, jede Party zu rocken.
1977
Brigitte Fontaine & Areski Belkacem
Vous et nous
Wieder so eine Alleskönnerin: Brigitte Fontaine, Schauspielerin, Schriftstellerin, Sängerin. Und als solche mit keinerlei Berührungsängsten vor irgendwelchen Genres ausgestattet. Vous Et Nous, eine weitere Zusammenarbeit der Französin mit ihrem Landsmann Areski Belkacem, war ein ganz schönes Pfund. 33 Songs verteilt auf vier LP-Seiten, vom 30-sekündigen Fragment bis hin zum knapp siebenminütigen Mini-Epos: „Weltmusik“, Space- und Minimal-Folk, elektronische Experimente, mit Moog-Synthesizern gequälte Popsongs, Tapemanipulationen, die wie Scratching klingen. Das alles ähnelt dem, was Stereolab 15 Jahre später machen würden. Nicht ohne Grund. Stereolab waren große Fans von Brigitte Fontaine.
1983
Cybotron
Enter
„Elektro“ einmal nicht als Pars pro Toto, nicht als Synonym für alle tanzbaren elektronischen Musiken, sondern die Urform, das „richtige“ Genre. Cybotron wurden 1980 von Juan Atkins und Richard Davis in Detroit gegründet. Auf dem Debütalbum Enter (später mit leicht veränderter Tracklist unter dem Namen Clear wiederveröffentlicht) fusionierten Cybotron George-Clinton-Funk und New-Wave-Düsternis mit dem Techno-Pop Kraftwerks zu einem hypnotischen, futuristischen Proto-Techno. Der Titeltrack ist ein Musterexemplar an frühem Eklektizismus in der elektronischen Musik: ein vokaler, quietschiger, Funk-beeinflusster Synthpop-Song mit Metal-Gitarren. Was sich im Track „Clear“ andeutete, wurde Zeit kurze später Wirklichkeit: Detroit Techno – und Juan Atkins einer seiner wichtigsten Protagonisten. Bis heute.
1978
Chic
C’est Chic
Das Album zum Höhepunkt des Disco-Booms. Auf ihrer zweiten Platte führten Chic die Musik von James Brown und Sly Stone geradewegs in die Disco. Das Rezept: Reduzierung auf das Allerwesentliche (funky Grooves), Bernard Edwards charakteristische Basslines und Nile Rodgers ökonomische Gitarrenfiguren, die an die von Steve Cropper (Booker T. & The MG’s) ein Jahrzehnt früher erinnerten. Die acht Songs boten eine ausgewogene Mischung aus Floorfillern und cremigen, streicherverzierten Balladen. Dazu mit „Le Freak“ und „I Want Your Love“ zwei Überhits für die Ewigkeit. Im folgenden Jahrzehnt sollten Bernard Edwards und Nile Rodgers dann zu einem der gefragtesten Produzentengespanne im Mainstream-Pop werden.
1981
Dinosaur L
24 > 24 Music
Dinosaur L war das discoide Pseudonym des großen, nie oft genug zu lobenden Arthur Russell. Disco ist bei Russell aber nicht Disco. Die Aufnahmen von 24
1989
A Guy Called Gerald
Hot Lemonade
Genau ein Album lang war Gerald Simpson aka A Guy Called Gerald Mitglied bei den Acid-House-Pionieren 808 State aus Manchester. Das war das Debüt Newbuild aus dem Jahr 1988. Danach ging Simpson eigene Wege, und 808 State wurden ohne ihn nicht zwangsläufig besser. Ein Jahr danach veröffentlichte Gerald sein Solodebüt Hot Lemonade. Nur ein paar Tracks, wie das treffend betitelte „In The Beginning“, erinnern an den puristischen, harten Acid House von Newbuild. Die Mehrzahl der Stücke fährt in ruhigeren Chicago-House-Gewässern. Manches wie der Titeltrack „Hot Lemonade“ hat einen soul-poppigen Einschlag, anderes klingt wie eine Vorahnung von TripHop und Aphex Twin. Auf der Original-LP ist Simpsons Hit „Voodoo Ray“ nicht enthalten.
1994
Oval
Systemisch
18 Jahre danach klingt Systemisch gar nicht mehr so unkonventionell, so abenteuerlich, so nach Zukunft, wie es damals geklungen hat. Das Album wirkt aber auch zu keiner Zeit so, als sei es 1994 aufgenommen worden. Zusammengenommen ist das nicht weniger als der Beweis dafür, dass Markus Popps neue Errungenschaften in der Klangästhetik heute wie selbstverständlich in den verschiedenen Kontexten der elektronischen Musik auftauchen. Oval, damals ein Trio, heute das alleinige Projekt von Popp, wurden mit ihrem zweiten Album zu Pionieren von Clicks & Cuts, einem „Genre“, das vermeintliche Fehler ästhetisierte, Beats verschachtelte und gegeneinander laufen ließ. Die Schönheit dieser Platte liegt im melodischen Detail. Auch fast 20 Jahre später.
1995
Spacemen 3
Dreamweapon
Kernstück dieser Compilation der britischen Psych-Space-Drone-Rocker ist das 44-minütige „An Evening Of Contemporary Sitar Music“, das natürlich keine Sitar-Musik enthält. Es besteht aus einem einzigen, sich kaum verändernden Loop, über den Spacemen 3 simple Gitarrenfiguren legen. Angeblich wurde der „Song“ im August 1988 live im Waterman’s Art Centre in Hammersmith aufgenommen. Es ist ein Lehrstück in Minimal Music, in Repetition und eine Übung in Geduld, aufbauend auf dem Konzept der „Dream Music“ des Avantgarde-Komponisten La Monte Young. Wer sich darauf einlässt, wird reich belohnt werden. Die beiden „kurzen“ Stücke (neun und knapp 16 Minuten lang) sind Solobeiträge von Gitarrist/Keyboarder Sonic Boom.
1998
Stina Nordenstam
People Are Strange
Hier kommt die Mutter aller etwas anderen Sängerinnen, die nicht Björk heißen. Auf ihrem vierten Album hat die Schwedin die Kunst der Coverversion perfektioniert. Songs von Leonard Cohen („Bird On A Wire“, „I Came So Far For Beauty“), Gram Parsons („Love Hurts“), Rod Stewart („Sailing“), Prince („Purple Rain“), The Doors („People Are Strange“). Die meisten (exemplarisch das fragmentarische „Love Hurts“) dieser im Original totgenudelten Lieder wären ohne Gesang nicht zu identifizieren. Nordenstam verpackt die Stücke in kammermusikalische Arrangements, mit Piano und Streichern, versieht sie mit der Ambience des Rauschens und Knackens, und singt mit ihrer ungewöhnlichen Kinderstimme, die manchmal verzerrt und verfremdet wird.
2006
Sibylle Baier
Colour Green
In den 1970er-Jahren war Sibylle Baier Schauspielerin – und unter anderem in Wim Wenders‘ „Alice in den Städten“ zu sehen. Nebenbei schrieb Baier Songs, die sie zu Hause auf einem Spulentonbandgerät aufnahm, für sich alleine. Die Lieder auf Colour Green entstanden zwischen 1970 und 1973. Sie wären wahrscheinlich nie veröffentlicht worden, wenn J. Mascis von Dinosaur Jr. nicht zufällig eine von Baiers Sohn kompilierte CD in die Hände bekommen und die Aufnahmen 2006 auf seinem Label herausgebracht hätte. Die Stimmung der Songs entspricht der des sepiagetönen Coverfotos. In diesen kleinen großartigen Liedern, zu denen sich Baier auf der akustischen Gitarre selber begleitet, liegt die ganze Tragik und die ganze Hoffnung der Welt.
2008
High Places
03/07-09/07
Es war das erste Lebenszeichen des Brooklyn-Duos auf Albumlänge, das über die Insider-Zirkel und die Gruppe der Musikblog-Abscanner hinausging. 03/07-09/07 kompiliert die Singles und B-Seiten, die Mary Pearson und Rob Barber im albumtitelgebenden Zeitraum veröffentlicht haben. Musik also, die in einer auf künstliche Verknappung ausgerichteten Welt der physischen Tonträger längst nicht mehr zu bekommen war, außer non-physisch „im Netz“. Es ist eine komisch verhuschte Sammlung von dubbig-elektronischen (Folk-)Songs, bei denen es vornehmlich um Rhythmus und Percussions geht. Es klingeln die Glöckchen, es wabern die dekonstruierten Samples. Und Mary Pearson singt dazu wie ein Engel, der auf der Erde zwischengelandet ist.
2006
John Maus
Songs
So klingt das dann also, wenn ein avantgardegeschulter Musiker die Popmusik für sich entdeckt. John Maus war früher einmal Keyboarder bei Panda Bear und Ariel Pink’s Haunted Graffiti und bis vor Kurzem noch Student der Musik und der Philosophie. Dieses Solodebütalbum aus dem Jahr 2006 kann verstanden werden als Mausens Kommentar zur und als seine Interpretation der Retromanie von einer Meta-Ebene aus. Mit dem production value wollen wir gar nicht erst anfangen. Es sind großartig flach klingende Homerecordings, in denen John Maus einen 80er-Jahre-Synthpop, den es so niemals wirklich gegeben hat, zum Diskurs anbietet, quasi mit seiner Musik über die Musik philosophiert. Dazu singt er mit einer tiefen, Bedeutungsschwere ausdrückenden Goth-Stimme. Musik über Musik ist Meta-Musik und immer noch die beste.