Airen: STROBO Director’s Cut – ein unveröffentlichtes Kapitel


Ein bislang unveröffentlichter Airen-Text aus den Zeiten seines Debüts "Strobo", als die Zeiten noch gut und alt waren – 2006, Sommermärchen, Pillen und ein Absturz in der bayrischen Provinz.

Mittwoch abend. Deutschland gegen Polen. Man könnte auch sagen Karotte im 100quadrat. Man könnte auch sagen am Allerverreissenstestens. Chronik eines Absturzes.

Halb neun, nach der Arbeit holt Dancemaster Don Casimir mich aus meinem gottverlassenen Kaff ab. Wir fahren noch zwei Schnecken von Villarriba nach Villabajo zu einem großen Zelt, in dem vor einer fetten Leinwand gerade der Anstoß gefeiert wird. Don Casimir und ich stoßen ebenfalls an und fahren in die Stadt. Per Handy kurze Abstimmung mit Eva, die zuvor telefonisch instruiert wurde, ein Fläschchen Wodka zu besorgen. Eva sitzt mit DJ Karotte an einem Tisch im Biergarten und redet unverständliches Zeug. Don Casimir will in den Biergarten checken, doch meine viel zu coole Racing-Jacke macht mich viel zu schüchtern und ich muss mir anhören, was für eine Muschi ich schon wieder bin. Erst mal zur Tanke und einen 4er-Pack RedBull, Eva kommt raus vor den Biergarten, ebenfalls Großleinwand und Großaufgebot der freundlichen Helfer. Wie gesagt, kein Film für mich, Packung zum Stefan, der schon angekündigt hat: „Vorglühen ja, feiern nein.“

Im Schnelldurchlauf die Flasche mit den vier Dosen gemixt, Blick auf die Uhr und ab zum 100quadrat. Kleiner Club, großer DJ, wir müssen früh da sein. Halb elf haben wir das Stempelchen, die Party fängt an und die kontinuierliche Erinnerung hört auf. Cut.

Vor der Tür, schleimiger Türke, zwei Scheinchen hin, zwei Teilchen her. Großer Cut.

Ich liege in der einzigen Männerkabine und stemme die Füße gegen die Tür. Schnapp mir mein Handy und fang mal bei A an. A wie Cousine Alexandra aus Berlin. Gespräch findet statt, ansonsten keine Erinnerung. A wie Alexandra Handy, wütendes Gespräch findet statt, ansonsten keine Erinnerung. A wie Andy, mein Sudanesischer Verchecker in Berlin. Sprung zu S. Sister. Sag irgendwas wie „Es ist nicht deine Schuld! Sorry!“ und sie sowas wie „Ja, ich weiss!“ Werde aus dem Klo gezerrt. Cut.

Vor der Tür hocken die ganzen Nichtreingekommenen auf dem Bordstein und feiern das 1:0. Ich treffe Don Casimir.

„Pfeift der Sturm?“

Don Casimir: „Keift ein Wurm?“

Beide:“HEULEN EULEN HOCH VOM TURM??? – Nein! Es ist des Galgenstrickes dickes Ende welches ächzte gleich als ob im Galopp eine müdgehetzte Mähre nach dem nächsten Brunnen lechzte.. der vielleicht noch ferne wäre.“

Don Casimir nötigt mir einen groben Zungenkuss mit Zähnen ab, ich geh wieder rein zum dancen. Cut.

Mittlerweile legt Karotte auf und ich breche die allererste „Cooles Verhalten im Club“- Regel und winke Karotte über das DJ-Pult zu mir heran.

„Ich hör dein Ostermarsch-Set immer zum Joggen“

Beim Schreiben krümmen sich meine Finger schmerzhaft vor nachempfundener Peinlichkeit.

Karotte versteht nicht, ich muss es zweimal wiederholen, er reagiert unbeeindruckt und wünscht mir einen schönen Abend. Cut.

Ich bin wieder draussen und stelle fest, dass ich mein einen Tag altes Portemonnaie, meine Kippen und meine Kaugummis verloren habe. Also hinter die Bar, im Kampf gegen zwei Bartussis schlage ich mich zu Barkeeper und Feierkumpel Thorsten durch und bitte ihn, meine coole Racingjacke nicht rauszugeben falls jemand mit dem Zettel kommt. (Die Jacke hatte ich im Knast gegen eine 30-Yuan Adidas-Hose aus Shanghai getauscht.) Gedichte rezitieren und DJ Dario auf Spanisch volllabern. Lobe einen Jungen penetrant für seine süße Zahnspange. Cut.

Beim Rausgehen:

Türsteher: „Jetzt bleibst amoi drinnad! Du konnst nu oamoi aussa, wennst dann numoi gähst, bleibst draussn.“

Lauter alte Feiernasen draussen, ich steuer von einem zum anderen und ruiniere aufs Gründlichste meinen Ruf. Rein und Showtanz auf dem Podest. Cut.

Meine Zunge steckt in einem Mund, mit geschlossenen Augen falle ich in ein orgasmisches Loch, meine Hände rhythmisieren eine weiche Hüfte. Ecstasy! Mädchen muss aufs Klo. Aufs Klo? Als sie zurückkommt muss sie unbedingt mit ihrer Freundin reden und ich weiss mal wieder nicht, was ich falsch gemacht habe. Checker-Schnecke Eva und ich liefern uns ein Dancegefecht und nebenbei den geilsten Move im Haus. Man muss die Wahrheit beim Namen nennen. Wieder raus. Türsteher: „Na, jetzt bleibst drinna!“

Ich ziehe es vor, mich neben ihn auf den Barhocker im Vorraum zu hocken und so lange unverschämten Müll zu labern, bis er mich freiwillig rauslässt. Don Casimir steckt mir die Zunge bis zum Anschlag rein, ich hausiere von Grüppchen zu Grüppchen und kenne eh jeden zweiten. Profiliere mich aufs Peinlichste und entgehe nur knapp einer Schlägerei. Irgendwann ist Schluss, die Feiermenschen stehen auf der Straße. Die Lolita von vorher ist auch mit Gottfried Keller´s Abendlied nicht zur After Hour zu bewegen. Also hocke ich mich neben ein liebes dickes Mädchen und versuche es wortreich zu einem Kuss zu überreden. Sie handelt mich auf ein Bussi auf die Wange herunter, Don Casimir und ich werden auf eine After ein- und wieder ausgeladen. Kein Wunder, uns verreisst es noch immer aufs Krasseste:

Dancemaster Don Casimir: „Am Allerverreissenstestens! El-A-Es-Es U-En-Es Ce-Ha-E-Ce-Ka-E-En! Am Allerreingehauestestens!“ Letzter Versuch, wir belabern ein Mädchen mit Sonnenbrille mit zum Stefan zu kommen, schaffen es immerhin sie 10 Minuten aufzuhalten, bis sie in ihren BMW steigt und abfährt. Auf der anderen Strassenseite eine Frau im mittleren Alter mit graumelierten Haaren. Ich folge einem Impuls und renne über die Straße:

„Tut mir leid, aber das geht nicht, sie können nicht mit so grau-schwarzen Haaren rumlaufen, entweder schwarz oder grau aber nicht beides ich bitte sie, lassen sie sich einen guten Rat von einem frisurvernarrten Friseursliebling geben, sie müssen das einfarbig machen!“

Die Frau flüchtet in eine Seitenstraße: „Gehen sie weg! Lassen sie mich in Ruhe!“ Es ist genug, es hat sich ausgefeiert, Stefan lässt uns rein, wir goutieren Pfeifentabak an Rizla-Blättchen, die Erinnerung setzt ein, das Jammern beginnt.