Air präsentierten in Amerika ihre neue Show. Im Herbst kommen die beiden Überfliegerdann nach Deutschland.


Der Bandname ist Programm. So leicht und I natürlich wie die Töne den Raum füllen, vergisst man fast, dass sie von elektronischen Instrumenten stammen. Sie schweben durch den Saal, als wären sie völlig losgelöst von ihren Erzeugern. Musik zum Träumen und zum Trippen. „We are electronic performers“, so die angesichts der aufgetürmten Pulte scherzhaft gemeinte Einleitung des einstündigen Sets im „Mayan Theatre“ in Los Angeles. Dieser Aussage fehlt nur das passende Adjektiv. „Wir sind die angesagtesten elektronischen Performer“, sollte es heissen.

Jahrzehntelang hinkte Frankreich, das Land der schönen Künste in Sachen Popmusik den meisten anderen europäischen Ländern hinterher. Bis die Kollegen von Daft Punk urplötzlich weltweit zum Synonym für Dance-Hiptum wurden und eine französische Elektrowelle lostraten. Es folgten Cassius, Mirwais, St. Germain und eben Air, die mit ihrem Album „Moon Safari“ anno 1998 frische Luft in den Elektropop bliesen. In den letzten Jahren hat Frankreich so viele Electronica-Acts exportiert, dass amerikanische Blätter inzwischen von einer „französischen Invasion“ schreiben. „In Sachen Musik haben Franzosen einen Scheißgeschmack“, stellte Air-Mann Nicolas Codin kürzlich klärend in einem Zeitungsinterview fest. „Deswegen war die Musik in unserem Land in den letzten 30 Jahren so schlecht. Wenn ich Musik mache, versuche ich zu vergessen, dass ich Franzose bin.“

Air singen deswegen englisch, ihre Texte entziehen sich aber jeglicher Deutung. Wer kann schon Zeilen wie „We need to use envelope filters to say how we feel“ (aus „Electronic Performers“) sinnvoll übersetzen? Und wozu? Ihre Songs brauchen keine Worte, sie sind eher Stimmung denn Stimme. Und sie klingen verdammt sexy. „Ich mache mir darüber keinen Kopf, ob unsere Musik ankommt oder nicht“, erklärte Codin vor der Tour. Wohl aber sei er besorgt, dass „die Menschen unsere Musik missverstehen und uns aus dem falschen Grund mögen: etwa weil wir so melancholisch klingen. Das ist doch nicht unsere einzige Eigenschaft. Franzosen haben viel Lebensfreude, verstehen aber auch den Tod. Deswegen sind wir melancholisch und glücklich zugleich und das spiegelt sich in unserer Musik.“ Nicht das einzige Paradoxon, das diese Band, deren Vocals mal an einen Softporno-Soundtrack, mal an Engelschöre erinnern, umgibt. Obwohl avantgardistisch und mitunter sogar experimentell, wirken ihre Songs keineswegs prätentiös. Denn stets ist ein Augenzwinkern dabei.

Codin und Dunckel sehen sich nicht als Ikonen, nicht als erlauchte Bühnengötter. Sie sind dieselben zwei Studenten geblieben, die vor einigen Jahren noch in ihrer vollgerammelten Pariser Bude Synthesizer und Tasteninstrumente stapelten. Analoge Keyboards, trippige Beleuchtung und anspruchsvoll klingende Namen wie „Radian“ und „La Femme D’Argent“ – manch einer mag darin Parallelen zu Progressive-Rock Bands der 70er, wie etwa Pink Floyd, Yes oder Genesis, sehen. Doch für jene, die Air aus dem Grund mögen, weil sie an Pink Floyd erinnern, hält Godin seine Schelte parat: „Pink Floyd ist Musik von Männern für Männer gemacht; es ist keine Musik zum Sex und keine Musik für Frauen. Pink Floyd ist reine Männersache.“

Anders Air. Der sensible Franzose, die Rolle steht Godin ganz gut. Im schwarzen Anzug wiegt er die Akustische und spielt meist autistisch vor sich hin. Ins Publikum blickt er nur während kurzer Pausen zwischen den Songs. Sein Kumpel Jean-Benoit Dunckel, der im schwarzen Fledermauskostüm mit halb geschlossenen Augen die Moogtasten bedient, sieht aus wie der Actionheld eines Comicstrips auf Valium. Zuweilen wechseln sie die Seiten:

Godin übernimmt die Stellung an den Tastentürmen und Dunckel, der eine klassische Klavierausbildung hinter sich hat, wechselt zum Keyboard auf der anderen Seite der Bühne. Jason Falkner (ex-Jellyfish) singt mit und unterstützt zusammen mit Schlagzeuger Brian Reitzell und einem weiteren Keyboarder die beiden Franzosen. Das ist jedoch nicht immer von Vorteil. „Radio #1“ zum Beispiel verliert seinen Charme und den leicht ironischen Touch, wenn Falkner hektisch durch die Texte eilt. Ansonsten spielt er, in der Mitte der Bühne stehend, einen soliden Gig und hilft tatkräftig mit, Tracks wie „Don’t Be Light“ in wahre Rockodysseen zu verwandeln. Die fette Orchestrierung schafft einen vielfältigen und intensiven Sound, der weitaus eindringlicher wirkt als die früheren Auftritte der Band.

Der Schluss kommt überraschend: Dunckel legt eine Platte auf, die repetetive Samples abwirft, das Zeichen für die Band, ohne grosse Abschiedsgesten die Bühne zu verlassen. Zum Glück gibt es aber Zugaben: die erste ist „La Femme D’Argent“, für die zweite hat sich Godin ein Spielchen ausgedacht: „Ich möchte, dass alle Mädchen im Saal diesen 80er Jahre Dance tanzen, den ich so gut fand“, fordert Codin auf und wedelt mit den Armen vor sich hin. Und obwohl niemand wirklich verstanden hat, was genau er damit meint, lassen die Mädchen im Saal tatsächlich verträumt die Hüften kreisen, als „Sexy Boy“ verführerisch aus den Lautsprechern strömt.

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