Air
AUF DER BÜHNE IST ES PROPPENVOLL, OBWOHL WEIT und breit noch kein Musiker zu sehen ist. Dafür kann man fast alles bestaunen, was jemals an Tasteninstrumenten zusammengebaut wurde. Elektrisch verstärkte Klaviere diverser Fabrikate sind vertreten: Ein Moog steht da, neben dem Korg parken Instrumente von Casio, Rhodes und Roland, und ein Modell der Marke Wurlitzer hat sogar eine schicke Holzvertäfelung. Ein Roadie schlängelt sich durch die Keyboard-Burg, testet noch ein paar Effektgeräte, und wir machen uns erst mal Gedanken. Sind Emerson, Lake & Palmer der Gruft entstiegen? Kleistert uns gleich Jean-Michel Jarre zu? Aber nein, da ist ja dieser freundliche Primat. Er hängt an der Wand, schenkt uns sein naiv-melancholisches Dauergrinsen und hilft bei der Standortbestimmung. Es ist der Affe mit dem Kindchenschema, und wir sind bei Air. Wir zwinkern dem Tier kurz zu, und dann sind Jean-Benöit Dunckel und Nicolas Godin auch schon da. Der kreative Nukleus von Air ist ganz in Weiß, und er ist nicht allein. Ein paar andere Männer sind auch in Weiß, und sie helfen den beiden, die vielen Tasten zu drücken und die multifunktionellen Knöpfchen zu drehen. Und wie. Ist „Moon Safari“ als Schallplatte doch eher eskapistisch angelegt, so sind Air live irgendwie anders. Und zwar ganz anders.
Die Baßboxen wummern brutal, wir haben sofort dieses gewisse Summen im Ohr und wundern uns. Weil das hier kein Sound für Schattenparker ist, weil die Franzosen das Haus rocken und sich trotzdem treu bleiben. Die Synthies schwurbeln gewohnt harmonisch in- und umeinander, die Tracks klingen sospacig, als würde gleich Dietmar Schönherr im „Raumschiff Orion“ um die Ecke biegen. Aber die Beats: sie tröpfeln nicht, sie brettern. Technicolor im Breitwand-Format: ja. Ätherische Akkordfolgen: auch ja – aber, bitteschön, mit Karacho. Dazwischen steht Nicolas Godin mal kurz auf und klatscht die Hände über einem Theremin zusammen. Deshalb hören wir plötzlich eine singende Säge, doch zwei Takte später wird wieder gerockt. Auch bei „Sexy Boy“, da haben Air mal eben ein nettes Sample reingebastelt: Regelmäßig gibt es die ersten Töne von „Funky Town“ (Lipps, lnc.).“Le Soleil Est Pres Du Moi“ kommt später im Set, sehr langsam und in einer Version von wahrhaft kosmischem Kitsch. Die Discokugel über der Bühne ist inzwischen ein paar Umdrehungen weiter, da gibt Jean-Benöit Dunckel bei „Kelly Watch The Stars“ den Clayderman. Dann sind die Menschen in Weiß wieder weg, auf der Bühne ist es immer noch voll, und der Affe ist auch noch da. Und weil er immer noch grinst, ist sogar das lila Licht keine Farbe mehr. Sondern ein Zustand – und zwar ein sehr schöner. Schade nur, daß es kein Merchandising gab. Einen Stoff-Affen hätte ich sofort gekauft.