Kolumne

Aidas Popkolumne: I don’t fucking care what you think


Hear ME Out: Vor lauter Brat-Grün weiß ich nicht mehr wohin – und befürchte, dass der Brat-Sommer schon vorbei ist, bevor er richtig angefangen hat.

Okay, okay, okay, ich weiß, ich bin ja auch irgendwie mitschuldig – ich gehöre zu all jenen Journalist*innen und Musikernerds, die ich vor ein paar Wochen in den Ohren lagen, dass BRAT von Charli xcx das Album des Sommers, ach was, des Jahres sein wird (volle Punktzahl, ich bereue nix). Und musikalisch bleibe ich auch dabei, ich habe dieses Jahr, trotz Releases von Beyoncé, Billie Eilish und TayTay keinen besseren Pop gehört als „Von Dutch“, „Mean Girls“, „360“ oder „I Think About It All The Time“ und „that’s a hill I’m willing to die on“.

HearMEOut: It’s a woman’s world … or is it?

Aber der ausgerufene Brat-Sommer? Vorbei. Vielleicht war es einfach ein zu perfektes Meme (und seien wir ehrlich: Marketing-Kampagne), aber als ich vor ein paar Tagen an einem uralten Café vorbeilief, in dem der Green Smoothie mit „so brat!“ beworben wurde, wusste ich: it’s over. Naja, eigentlich war es schon vorbei, als ich vor lauter Apple-Dance auf Tiktok nicht mehr wusste wohin und als die Grünen ihr Logo auf Instagram auf brat-Schrift umstellten (ich gebe zu: ich habe kurz gekichert).

Messy Absturzlooks statt Clean-Girl-Ästhetik

Ich gönne es Charli xcx ja: seit Jahren gehörte die Britin zu einer Art Mittelklasse der Popindustrie. Groß genug, um von der Musik wahrscheinlich ganz gut leben zu können und kein Privatleben mehr zu haben, aber nicht groß genug für Superstarstatus, mit dem man die Spielregeln selbst diktieren kann. Und für einen Mainstreampopstar hat Charlotte Emma Aitchison, wie sie bürgerlich heißt, immer einen verdammt guten Geschmack bewiesen und mit zukunftsweisenden Kolleg*innen wie SOPHIE und A. G. Cook aus dem PC-Music-Kosmos zusammengearbeitet, und zwar als „Hyperpop“ noch eher ein halber Scherzbegriff war, der auf überdrehte Undergroundmusik von ein paar Kunsthochschulkids aus London angewendet wurde. Und nach Jahren performative Clean-Girl-Ästhetik im Internet und Befindlichkeitsnabelschau im Pop habe ich mich ja auch über die Rückkehr zu messy Absturzlooks, shitty Grafikdesign und tierschürfende Texte über komplizierte Freund*innenschaft, große Fragen wie das Für und Wider der Kinderfrage und die Großartigkeit von Raves gefreut. Und gerade in Zeiten wie diesen, wo sich international viele Künstler*innen in politischen Fragen lieber zurückhalten statt sich klar zu positionieren (Faschisten kaufen schließlich auch Platten, also bringt man sie lieber nicht gegen sich auf), war es zwar ziemlich überraschend, aber auch verdammt erfrischend, den Tweet „kamala IS brat“ von Charli zu lesen.

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Aber als hier in den USA dann Fernsehboomer versuchten zu erklären, was „brat“ denn nun in diesem Zusammenhang bedeuten soll, nachdem Team Kamala als Antwort zu Charli xcx sich im Internet nicht nur in brat-Neongrün kleidete, sondern auch ein brat-themed Meme nach dem anderen raushaute, schauderte es mich dann doch. Ich will gar nicht gatekeepen, aber es war schon beeindruckend, wie schnell die Achterbahn der Gegenwart von „cool“ zu „ausgelutscht“ fährt. Der kurze, intensive Brat-Sommer zeigt, wie sehr sich der Lebenszyklus kultureller Codes verkürzt hat. Ganze 80 Tage hat es gedauert, bis ein alles andere als jugendfreies Album mit Undergroundästhetiken es auf die größte politische Bühne der Welt geschafft hat. Und was erst einmal dort ankommt, verbreitet sich danach so ziemlich überall – sogar in den sich eher selten durch popkulturellen Witz auszeichnenden deutschen Politikbetrieb.

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„Was ist das Problem dabei, Aida?“, fragt ihr jetzt vielleicht. Und fair enough, das Ziel von popkulturellen Produkten ist natürlich erst einmal maximal populär zu sein. Gemessen daran hat Charli xcx alles erreicht. Und vielleicht zeigt die Begeisterung für all things brat auch, dass es in der Popkultur ein tiefes Bedürfnis für Unperfektheit, Chaos, Hedonismus und Messiness gab. Nachvollziehbar nach Jahren der Pandemie, Inflation, Kriegen und politisches Chaos. Aber die Geschwindigkeit, mit der die Brat-Ästhetik von allen von Team Kamala bis hin zu irgendwelchen Unternehmen, die sich so mit ein wenig Jugendkultur schmücken wollten, verwertet wurde, bedeutet auch, dass das Überangebot an neongrünen Memes ihren nahenden Tod ankündigt.

Aidas Popkolumne: Talking 'bout my generation

Brat-Sommer, vielleicht war es einfach zu schön mit dir und wir haben nicht genug von dir bekommen. Wie ein Kind im Süßigkeitenladen haben wir uns den Bauch zu voll geschlagen und brauchen eine Pause von deinem neongrünen Anlitz. Aber hey, vielleicht ist es auch einfach vollkommen egal, denn wie du so schön sagst: If you love it, if you hate it, I don’t fucking care what you think.