Kolumne

Aidas Popkolumne: Hospital Beds


Aida liegt im Krankenhaus und denkt darüber nach, warum Gesundheit nicht so ein großes Thema im Pop ist.

„Eine wichtige Frage noch: ‚Hospital Beds‘ Florence + The Machine oder Cold War Kids Version?“, stand in der Nachricht meiner Freundin L. Sie hat gerade erst mein Zimmer in einem der Bettentürme der Berliner Charité verlassen, Krankenbesuch mit Blumen und guter Laune. Ich liege seit Tagen wie Rapunzel oben im Turm, meine Haare reichen zwar nicht nach unten, aber meine Besucher:innen dürfen auch so vorbeikommen und mit mir bewundern, wie die S-Bahn von oben aussieht wie eine Modeleisenbahn.

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Der Pop und der Jugendkult

Gesundheit ist im Pop tatsächlich doch eher selten Thema. Als Metaphern, die sich mit Ärzt:innen und Fieber und gebrochenen Gliedmaßen auseinandersetzen mangelt es zwar nicht, aber nur selten geht es dann wirklich um erhöhte Temperatur, das Fever ist dann doch eher ein Tanz- oder Balzfieber. Vielleicht, weil gebrochene Beine, Gallensteine, Grippe und Lebensmittelvergiftungen einfach nicht so richtig Sexappeal versprühen. Denn auch wenn Pop sich nie nur an junge Menschen gerichtet hat, lebt er doch vom Jugendkult. Und da passt Gebrechlichkeit nicht so richtig rein. Auch wenn Schmerz und Verlust immer schon ein Thema waren, siehe das herzzerreissende „What Sarah Said“ von Death Cab for Cutie, eine Meditation über die Liebe und den Tod, die im Warteraum eines Krankenhauses spielt. Zwar wird – endlich! – das Tabu, über mentale Gesundheit zu sprechen, immer mehr und öfter gebrochen, aber physische Gesundheit bleibt als Popthema weiterhin verhältnismäßig blass – sieht man von Ausnahmen wie eben Cold War Kids ab, oder Dolly Parton mit „Chemo Hero“, Giant Rooks „Nobody Likes Hospitals“ oder El-Ps Album CANCER 4 CURE ab, dass er einem an Krebs verstorbenen Weggefährten widmete.

Aidas Popkolumne: 6:16 in Berlin

Dabei gäbe es viele Themen aus dem Gesundheitssektor, die man in den verschiedensten Facetten des Pop auseinandernehmen könnten. Public Enemy haben es vorgemacht: auf „911 is a Joke“ hat Flavor Flav einen wütenden Soloauftritt, in dem er die beschissene Performance der New Yorker Notfalldienste in armen und mehrheitlich Schwarzen Stadtteilen bitterböse und voller Wut kritisiert. Dort kam der Krankenwagen nämlich, wenn überhaupt, eher zu spät. Das bestätigte 1990 sogar eine offizielle Untersuchung der Stadt. Wie damit umgehen? Flav gab neben der politischen Kritik auch konkrete Lebensratschläge noch dazu: „I call a cab cause a cab will come quicker“, mit einem Taxi war man sogar besser dran.

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Notrufleitungen, die auf Notfälle in armen Stadtteilen langsamer reagieren als auf Anrufe aus reichen, das klingt rassistisch und dystopisch – aber ist für viele Menschen auf vielen Teilen der Erde immer noch Realität. Von ganz so extremen Ungleichgewicht ist Deutschland zwar noch entfernt, aber versucht man den komplizierten Auseinandersetzungen um Gesundheitsreformen hierzulande aktuell zu folgen, zeigt sich: In mancher ländlichen Region könnten Tausende Menschen bald über dreißig Minuten zum nächsten Krankenhaus brauchen. Laut „Berliner Tagesspiegel“ bald vielleicht schon der Fall in der Region Templin in Brandenburg.

Die Gesundheitsungerechtigkeit

Wir leben in Zeiten massiver Gesundheitsungerechtigkeit: An anderen Orten der Welt sterben Menschen an gut behandelbaren Krankheiten, oder weil es einfach nicht genug Schmerzmittel und Verbandsmaterialien gibt. Aber auch bei uns ist Gesundheit eine Frage von Zugang, der von Rassismus, Sexismus, Ableismus und auch zugeschriebener Klassenzugehörigkeit bestimmt wird – und natürlich auch vom Einkommen. Gerade Künstler:innen können da unter die Räder kommen. Aktuell ist das Schicksal des Schauspielers Heinz Hoenig in den Nachrichten, der keine Krankenversicherung hatte, wie das immer wieder bei Schauspieler:innen und anderen Kunstschaffenden der Fall sein kann, die fragmentierte Erwerbsbiographien haben. Das Statistische Bundesamt geht von über 60.000 Menschen aus, die nicht krankenversichert sind – andere Organisationen wie die Bundesarbeitsgemeinschaft Anonyme Behandlungsscheine und Clearingstellen für Menschen ohne Krankenversicherung gehen sogar von einer halben Million bis einer Million Betroffener aus. Ob da auch Lieblingsrapper:innen und Nachwuchsindiebands darunter sind? Gut möglich.

Aidas Popkolumne: For a good time call someone else

Gesundheit ist ein Menschenrecht, aber wie so viele andere ist es extrem ungleich verteilt. Pop kann das anklagen, aber Pop kann auch eine Lösung sein, wie das New Yorker Projekt „Hip Hop Public Health“ zeigt. Ihr Ziel: Gesundheitsaufklärung durch HipHop. Haben ja schließlich auch Salt-n-Pepa damals mit „Let’s Talk About Sex“ vorgemacht. Aber auch Olivia Rodrigos Plan, bei Konzerten Kondome und die Pille danach zu verteilen zeigt, wie Pop und Health Care zusammenwirken können.

Ich liege derweil in meinem Krankenhausbett und mache eine Playlist, um die Zeit totzuschlagen. Und die Antwort auf die Frage von L. war natürlich einfach: Florence. Immer Florence.