„„AC/DC sind sehr schlau, auf ihre Art“
Es ist wie beim Treffen mit einem Informanten. Jemand hat das Licht nach unten gedimmt, dort, wo wir mit JOCHEN DISTELMEYER zum Klassikerfressen zusammensitzen. Der 42-jährige Popgelehrte bleibt ein Schatten, hinter glimmender Zigarettenglut, mit einem konzentrierten Sprachgestus wie Alexander Kluge ...
ELVIS COSTELLO „WELCOME TO THE WORKING WEEK“ Jochen Distelmeyer: Ich hätte vom Gesang her gedacht Elvis Costello. Er ist es ja auch. Ich hätte erwartet, du seist komplett bibelfest bei Costello. Was? Nee. Ich find das auch nicht gut. Oh. Der ist für meinen Geschmack zu sehr an seinem Talent hängen geblieben. Der hat sich auf seinem Tremolo, seinem Vibrato, das er sehr kultiviert hat das aber eigentlich nur bei Chrissie Hynde richtig beseelt wirkt —, so’n bisschen ausgeruht bei der Frage, worum’s eigentlich geht. Aber all die verschiedenen Sachen, die er ausprobiert hat … Ja. Sehr talentiert. Kann viel. Aber für mich ist es das nicht. Es gibt eine Reihe von Musikern, die in so was Manufaktum-Handwerkliches abgedriftet sind -Van Morrison, Costello -, wo man dann denkt: Es gibt sie noch, die guten Dinge. Und ja, das ist handwerklich recht gut, aber es kriegt mich nicht so.
IGGY POP „AUTUMN LEAVES“ Hm… Erkenn ich nicht. Das ist Iggy Pop, der plötzlich französisch singt und jazzig ist.
Ah, diese PRF.LIMINAIRKS , oder? Die hab ich immer noch nicht gehört. Ich bin nicht direkt Iggy-Fan, aber ich finde, er ist ein sehr würdevoller Künstler. Und die AMERICAN CAESAR find ich einen Meilenstein von einem Album. Dieser Mann steht am Ozean des Rock und scheint die Fragen, mit denen sich andere wie David Bowie so rumquälen, für sich gelöst zu haben. Es gibt ja diese zwei Archetypen, den Weißen Clown und den Dummen August, die treten immer im Paar auf. Der Weiße Clown begeht diesen schmalen Grat der Androgynität, Leben und Tod, Witz und Trauer, ein sehr ambivalentes Wesen. Der Dumme August ist eher so der plumpe Typ, der aber am Ende die Lacher auf seiner Seite hat. Und der, obwohl er nicht so scheint, mehr weiß als der Weiße Clown. Iggy wäre dann der Dumme August und Bowie der Weiße Clown. Bowie ist immer noch verzweifelt beim Versuch, sein ganzes Talent so in Stellung zu bringen, dass es ihn beseelt und erfüllt und er den Ort findet, an dem er er selbst sein kann, als ein Blueprint für andere Künstler – Beck zum Beispiel —, die mit vielen Talenten ausgestattet sind, aber diese nicht wirklich auf den Punkt bringen können. Was nicht heißt, dass da nicht tolle Stücke bei rauskommen! Und Iggy hat einen sehr smarten Weg gefunden, auf integre Art und Weise to make a living out of it. Da verzeih ich ihm auch so’ne Nummer wie diese.
THE SMITHS“CEMETERY GATES“ Ein sehr bemerkenswerter Sänger. Er hat eigentlich eine neue Art des Gesangs erfunden. Es gibt nur wenige so archetypische Sänger, deren Stil so präzise und prägnant ist, dass er über die Jahrzehnte abstrahlt in alle möglichen anderen Bereiche. Der ist ein Sänger. Oder war ein Sänger. Jetzt ist er eher Interpret. Ein Interpret seiner selbst? Hm, ja. Eine Parodie auf ’ne Art. Er ist sehr gesund, jetzt. Sehr vernünftig. Es überrascht mich, dass er letztens diesen Zusammenbruch hatte, weil ich den Eindruck hatte, dass er alles, was gefährlich ist am Rock’n’Roll und an so einem entschiedenen Das-so-Sein, hinter sich gelassen hat mit diesem Comeback-Erfolg, den er – mit einer relativ mediokren Platte — bekommen hat. Freut einen natürlich, wenn man das früher mal toll fand und prägend.
RANDY NEWMAN „LAST NIGHT I HAD A DREAM“ Ah, mhm. Randy Newman? Großer Komponist. Schlechter Sänger. Aber guter schlechter Sänger. Oh ja, sagen wir eher: Unschöne Stimme, aber ein sehr guter Sänger. Der aber, glaub ich, eher durch sein Songwriting als mit dieser Stimme etwas Authentisches geschaffen hat. Der singt ja meistens über Unsympathen, und das passt sehr gut zu dieser Stimme, das wirkt glaubwürdig. Es gibt, glaub ich, eine Platte, wie hieß die? BAD LOVE. Ein sehr anderes, großartiges Album. Auf dem Album ist er bei vielen Songs er selbst, weniger eine dieser unsympathischen oder psychopathischen Figuren. Ja, richtig, und es ist trotzdem sehr eindringlich. Das war die neue Qualität an diesem Album, die musikalischen Sachen kannte man ja schon. Hat mich gefreut, dass ihm das gelungen ist.
Musikexpress THE BEATLES „WHEN I’M 64“ Tja. Die haben der Welt Freundschaft angeboten. Und, hast du das Angebot angenommen? Nee, nicht so. Klar, ich hab das schon bewundert und toll gefunden. Aber ich glaube, was die große Liebe zu dieser Band mit ermöglicht hat, ist, dass sie untereinander und für die Welt wie Freunde waren, mit ihren Liedern. John Lennon hatte, wenn man so will, die sexyere, präsentere Stimme. Deswegen musste der sich als Songwriter nicht so ins Zeug schmeißen und konnte mit relativ einfachen Rock’n’Roll-Nummern die Herzen erreichen und öffnen. Und Paul McCartney musste sehr … Ich meine, es ist ihm „Yesterday“ gelungen, und das ist schon ziemlich abgefahren. Aber er ist schon auch ’ne tragische Figur. Wirklich? McCartney? Ja, find ich schon. Er ist unglaublich alleine, glaub ich. Fühlt sich so an. Ich hab diese DVD von dem „Concert For George“ gesehen, zum ersten Todestag von George Harrison Ende 2002. Das ist eine sehr, sehr interessante Studie über … äh … Mucker. Also: Mucker-Millionäre und was die machen und warum. Da hat man jemanden wie Clapton – der Streber, der die ganze Zeit versucht, herauszukriegen: Wie machen die das? JJ Cale, George Harrison, irgendwelche Bluesgrößen. Der aber von einer aufrichtigen Hingabe getrieben ist, also kein abgefuckterTyp oder so. Und der ruft dann all diese ganzen Millionärsmusiker-Jim Keltner, Jim Capaldi etc. – an: „Hey, lasst uns mal hier Konzert für George machen, Stücke von ihm spielen!“ Der entscheidende Punkt in dem Konzertmitschnitt ist, als dann nach einiger Zeit zu dieser All-Star-Band Ringo Starr dazukommt. Und der sagt: Okay, ich singe hier zwei Stücke, und ich bin hier, weil George mich liebte und weil ich George liebte. Und man sieht im Hintergrund Clapton lachen – wieder: der dumme August, Ringo Starr-, und im Lachen schnallt Clapton, dass Ringo die Wahrheit sagt. Dass nämlich nicht alle da sind, weil sie George geliebt haben – das auch -, sondern weil George sie alle geliebt hat. Und als sie danach spielen, ist es ganz anders als vorher. Viel freier. Und ganz zum Schluss taucht dann McCartney auf, der aufgrund seiner Bedeutung und Größe so ganz alleine wirkt. Verlassen. Das ist dann so eine klemmige Situation. Er ist halt Paul McCartney, und die anderen nur… die anderen.
BRUCE SPRINGSTEEN „BORN TO RUN“ Tolles Stück. Ich find allerdings die Liveversion besser, auf dieser Box. Da spürt man die Kraft, dieses Ungezügelte. Wovon er lebt, ist ja diese ungestüme Power, diese Energie. Und die ist eher live spürbar. Er macht das ja schon
Mai 2010 sehr lange jetzt so. Man könnte fast meinen, dass er jemand sei, der an einer Quelle wäre. Das ist er aber nicht. Ist er nicht?
Nein. Ist er nicht, (überlegt) Nee. Noch nicht. Nee. Ist noch zu sehr mit John Steinbeck und Bob Dylan und diesen ganzen Sachen beschäftigt. Er hat sich selber von seiner Epigonen-Rolle nicht emanzipieren können. Meinst du, der kommt noch an seine eigene Quelle?
Das kann ich nicht beurteilen. Alles was ich sage, ist immer unter dem Vorbehalt, dass das nichts über die Qualität der Lieder sagt. Das heißt nicht, dass daraus nicht tolle Musik kommen könnte. Ich hab ihn neulich mit Arcade Fire gesehen, da wurde klar, dass Arcade Fire eigentlich ’ne Mischung aus Echo & The Bunnymen und Springsteen sind. Was das Songwriting und die Geste betrifft, nur eben orchestraler oder so … sektenmäßiger instrumentiert.
AC/DC „LET THERE BE ROCK“ Ich glaube, die sind ’ne Quelle, auf ’ne Art. Das klingt sehr wahr, nicht? Die sind auch sehr gut … also (lacht) … Scheiße, das kann man ja gar nicht aussprechen … (überwindet sich) … als Musiker. Es gibt ja auch so spöttelnde Witze von Angus Young, dass sein Bruder mehr drauf hat als Clapton und so. Die wissen ganz genau, wo sie stehen. Sehr schlau, auf ihre Art. Hattest du eine Lebensphase, in der du zu AC/DC gerockt hast? Ja, auch, klar. Aber ich hab schon sehr früh so viel gehört… Ich war kein beinharter AC/DC-Fan, aber ich hab Platten gehabt und gehört und geliebt.
PREFAB SPROUT „I LOVE MUSIC“ Klar. Kannst du gleich ausmachen. Gefällt mir nicht. Ich hab da keinen Bezug mehr dazu.
Hattest du mal großen Bezug? Ihr habt ja mit Blumfeld damals immer live „Electric Guitars“ in „Verstärker“ reingespielt.
Das passte eben gut zusammen, Verstärker und E-Gitarre. (lacht) Die STEVE MCQUEEN war schon eine Platte, die mich sehr berührt hat. Ich bin der Band lange treu geblieben, allerdings nicht mehr so begeistert. Ich hätte jetzt ein schlechtes Gewissen, das, was ich zu kritisieren hätte, genauer zu benennen, angesichts des gesundheitlichen … Schicksals von ihm, bei dem er ja froh sein kann, dass er noch das machen kann, was er so liebt. Das steht mir nicht zu.
SONIC YOUTH „SACRED TRICKSTER“ Tja, das ist schwierig. Ich hab da sehr große Sympathien für, find das sehr ehrenwert. Die haben der Welt neue … Spielarten geschenkt. Aber letztlich berührt es mich nicht. Es klingt super, ist toll gespielt. Es ist sehr okay.
Aber auch egal?
Gefühlsmäßig ja. Für mich ist Greg Sage wichtig — Wipers! Das hat für mich musikalisch die selbe Qualität, macht die selbe Tür auf. Sonic Youth haben quasi die Zimmer eingerichtet in dem Haus, zu dem für mich gefühlsmäßig Greg Sage die Tür aufgesperrt hat. Wipers und Greg Sage, das berührt mich sehr tief, macht mich euphorisch.
MINOR THREAT „STRAIGHT EDGE“ Geil. Lass mal laut, (hört den Song zu Ende) Sehr, sehr geil. Klar, hab ich damals gehört.
THE CLASH „SHOULD I STAY OR SHOULD I GO“
Der ME hat letztens geschrieben, The Clash seien die „größte Rockband aller Zeiten“. Stimmst du zu? Na ja, es gibt über die Dekaden so verschiedene „beste Livebands“. Die Who waren das ziemlich lange. Die Wailers sehr lange. Clash waren das auch. Hab die leider nie live gesehen. Die haben LONDON CALLING aufgenommen, das ist schon ein ziemliches Brett. Haben die ein Haus aufgesperrt oder auch nur ein Zimmer eingerichtet? Nee… Weder noch, (überlegt) Was haben die denn gemacht? Die Straße zur Tür hin gepflastert? Nee, auch nicht. Die waren nicht in dieser Richtung tätig. Kann ich nicht beschreiben, grade.
MICHAEL JACKSON „MAN IN THE MIRROR“ (überlegt lange) Das ist ein zu reicher Künstler, als dass man da jetzt – auch angesichts des tragischen Todesfalls so schnell was hinwerfen könnte. Da haben sich jetzt alle so bemüht, das zu fassen zu kriegen, und ich glaube, das ist noch nicht … Das kann ich jetzt nicht kommentieren, das führt zu weit.
www.jochendistelmeyer.de Distelmeyer live auf CD Der Juni-Ausgabe des Musikexpress wird eine exklusive Live-CD von Joeben Distelmeyer beiliegen. Sie heißt „Einfach so“ und wurde im Januar von Radio Eins beim Konzert von Jochen und Band im Berliner Admiralspalast aufgezeichnet. Das Heft ist ab Mittwoch, 12. Mai, im Handel erhältlich.