Aidas Kolumne: Abtreibungen als Pop-Thema & die Gefühle von Friedrich Merz
Ein neuer Vorstoß von SPD, Grünen und Linken gibt dieser Tage doch noch ein wenig Hoffnung.
Puh, seid ihr auch so erschöpft nach den letzten paar Wochen? US-Wahlen, Zerfall der Bundesregierung, Streit um Wahltermine und ein Wahlkampf, der es innerhalb von etwa fünf Sekunden geschafft hat, von Null auf 100 auf einer Skala der Nervigkeit zu springen. Und zu allem Überfluss dann auch noch ein popkultureller Tiefpunkt wie der Kampf von Jake Paul gegen Mike Tyson – nicht mal Netflix kann mich in Ruhe lassen, uff.
Was jetzt Hoffnung gibt
Aber es bringt ja nichts, man muss ja immer weitermachen – und einen kleinen Hoffnungsschimmer gab es die Tage doch noch: Abgeordnete von der SPD, den Grünen und der Linken versuchen doch noch, Schwangerschaftsabbrüche im deutschen Rechtssystem neu zu regeln. Das ist bitter nötig, denn in Deutschland sind Abtreibungen unter §218 des Strafgesetzbuches kriminalisiert und nur unter strengen Auflagen erlaubt. Das bedeutet nicht nur, dass betroffene Personen verpflichtet sind, eine Beratung in Anspruch zu nehmen, sondern danach noch eine erzwungene Wartezeit in Kauf nehmen müssen, bevor der Eingriff vorgenommen werden kann. Und dadurch, dass Abbrüche nach der aktuellen Gesetzeslage quasi die Definition einer Grauzone sind, ist es auch außerhalb großer Städte gar nicht mal so leicht, Praxen oder Krankenhäuser zu finden, die sie anbieten. Ärzt*innen, die sie durchführen können, sind vielerorts mittlerweile schon älter, stehen kurz vor der Rente – auch weil das Thema oft nur unzureichend im Studium behandelt wird, wie etwa die Organisation Medical Students for Choice sagt. Ist ja verboten, muss man nicht lernen. Oder so. An vielen Orten organisierten sich Studierende dann selber, um in sogenannten Papaya-Workshops zu lernen, wie man etwa eine Ausschabung vornimmt. Ja, anhand einer Papaya. Uff. Immerhin ist das ein Skill, der nur für einen Bruchteil aller Abtreibungen gebraucht wird, meistens reichen Tabletten.
Es ist dabei viel zu einfach über andere Länder den Kopf zu schütteln, wie zum Beispiel zu unserem Nachbarn Polen, wo die neue liberale Regierung versucht, die strengen Gesetze der vorhergehenden konservativen Machthaber zu ändern. Oder in die USA, dessen Kampf das Wahlgeschehen dann doch nicht so sehr bestimmte, wie es die Demokraten erhofft hatten – und wo das Thema schon zu einem eigenen popkulturellen Genre geworden ist – da wären zum Beispiel Songs wie „All Things Go“ von Nicki Minaj, „Sally’s Pigeon“ von Cindy Lauper und „Voicemail for Jill“ von Amanda Palmer. Oder etwa auch Olivia Rodrigo und ihr „Fund 4 Good“, in den ein Teil ihrer Ticketverkäufe fließt, oder Filme wie „Unpregnant“, ein Roadmovie wie Britney Spears‘ „Not a Girl“, aber über die Suche nach einer Abtreibungsklinik, die Tausende von Kilometern entfernt ist.
Dabei ist aber das Gesetz in Deutschland strenger als es teilweise immer noch in konservativen US-Staaten ist, geschweige denn Nachbarländern wie Frankreich, wo das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche seit diesem Jahr in der Verfassung verankert ist, oder Dänemark (selbstbestimmt bis 18 Wochen).
Eigentlich hatte es die Ampel-Koalition ja in ihrem Koalitionsvertrag fest vorgehabt, das Thema neu zu regeln und vor allem außerhalb des Strafgesetzbuches zu regeln. Kein Wunder, ist ja ein urliberales Thema. Mündigkeit, Selbstverantwortung, Freiheit – sollte kein Problem sein. Aber auch wenn es die Ampel schaffte, den absurden Paragraph 219a zu streichen, der es Ärzt*innen verbot, auf ihren eigenen Webseiten zu erwähnen, dass sie Abbrüche durchführen, ging es danach nicht weiter. Freiheit ja, aber wohl nicht für Menschen mit Uterus?
Die Art der Berichterstattung
Jetzt, wo die Koalition geplatzt ist, versucht es also die Fußgängerampel, wie ich sie gerne nenne, aus SPD und Grüne gemeinsam mit der Linken, doch noch bei dem Thema nach vorne zu kommen. Scheint wohl ausgerechnet die Freiheitspartei bei dem Freiheitsthema gebremst zu haben. Aber wie wird über das Thema berichtet? Vor allem mit Schlagzeilen dazu, wie doll Friedrich Merz von Olaf Scholz empört ist, dass der ebenfalls seine Unterschrift unter den Antrag gesetzt hat. Ein Antrag, um den es um ein Vorhaben aus dem eigenen Koalitionsvertrag geht, wohlgemerkt. Und nichts scheint wichtiger als dabei über die Gefühle eines Mannes zu reden, der von „gesellschaftlichen Großkonflikten“ redet, wenn rund 80 Prozent der Bevölkerung die aktuelle Situation der Rechtswidrigkeit der Abbrüche falsch finden, wie die „taz“ vor einigen Tagen berichtete. Ist der gesellschaftliche Großkonflikt mit uns hier im Raum, Herr Merz? Oder soll er herbeigeredet werden?
Denn das kann man natürlich auch machen, siehe sonstige „Kulturkampfthemen“ wie zum Beispiel Trans-Rechte. Und weil wir im Jahr 2024 leben und alles Pop ist, ob wir wollen oder nicht, tauchen immer wieder in den Kommentarspalten radikale radikale selbsternannte „Lebensschützer“-Gruppen auf, die dabei nur allzu bereitwillig helfen. Ihre eigene Olivia Rodrigo haben sie bislang zwar nicht zu bieten, aber dafür schon mal ein perfekte Canva-Instagram-Infopost-Ästhetik mit Hashtags, Posts über Taylor Swift und Reels, wo sich eine Moderatorin mit rosa Perücken in ironischen Videos darin versucht, ihre Perspektive massenfähig in die Instagram-Welt zu bringen. Hinter der Ästhetik aber, die sich an den visuellen Codes von Infokanälen und Influencer*innen bedient, verbirgt sich reaktionäre Ideologie, die so glaubt, junge Menschen für sich gewinnen zu können.
Dass der Kampf um Deutungshoheit längst auf sozialen Medien ausgetragen wird, ist kein Geheimnis. Der Zustand von Twitter, nun X, und die mittlerweile erforschte Tendenz unter den neuen Algorithmen der Elon-Ära, rechte Inhalte weit zu verbreiten und progressive in die digitale Unsichtbarkeit verschwinden zu lassen, zeigen, dass sich so ein soziales Medium ganz schnell in eine gefährliche, autoritär geführte Richtung entwickeln kann. Was also tun? Wir sind ja, wie eingangs schon drauf geeinigt, alle müde. Aber lasst uns zusammen eine Tasse Kaffee trinken und weitermachen. Hilft ja alles nichts – und Netflix lässt uns ja auch im Stich.