Absolut Mando.


Seit ihrem Hit „Dance With Somebody“ spielen Mando Diao in einer anderen Liga. In anderen, den größten Hallen. Auf anderen, den wichtigsten Bühnen. Im September durften die fünf Schweden nun ihren Aufguss für die Reihe „MTV Unplugged“ einspielen. Der Musikexpress war dabei, als der Stecker gezogen wurde.

Als wir Mando Diao beim letzten Mal trafen, hatten sie noch kein Nummer-eins-Album. In Hollywood gaben sie dem gerade den letzten Schliff. Es war nur zwei Jahre her, dass 43 Prozent des Publikum von „Wer wird Millionär?“ einer Kandidatin auf die 4.000-Euro-Frage „Wer oder was ist Mando Diao?“ „Präsident von Peru“ als Antwort empfohlen hatten. Bei Europas größter Fernsehsendung „Wetten, dass..?“ waren Mando Diao damals noch nicht aufgetreten. Die Schweden hatten mit ODE TO OCHRASY zwar bereits einen Top-drei-Erfolg in den deutschen Albumcharts, der Titel „meistgespielter Song des Jahres“ war im deutschen Radio aber immer noch für Superstars wie Shakira reserviert. Dann kam „Dance With Somebody“. Der Song thronte wochenlang auf Platz eins der Airplay-Charts, das zugehörige Album GIVE ME FIRE! verkaufte sich mit 300.000 abgesetzten Exemplaren sechsmal so häufig wie sein Vorgänger NEVER SEEN THE LIGHT OF DAY. Zumindest auf dem europäischen Festland hatte sich der Abstand zu Shakira auf einen Hüftschwung verringert. Die Kolumbianerin spielte ihr MTV-Unplugged bereits 1999 ein, Mando Diao tun es jetzt. In Berlin-Tempelhof, in einem Studio der Berliner Union-Film. Im Studio nebenan stellte Dieter Thomas Heck fünfzehn Jahre lang für das Intro seiner „ZDF Hitparade“ begeistert fest: „Hier ist Berlin!“

Mando Diao mögen dieses Berlin, gaben ihm als Austragungsort ihrer Akustikshow den Vorzug vor der Hauptstadt ihrer schwedischen Heimat, Stockholm. Dieses Berlin mag aber auch Mando Diao. Der Weg von der U-Bahn zur Halle ist verziert mit Fan-Art: Kein Kanaldeckel ohne Mando-Diao-Schriftzug aus Kreide, keine Litfaßsäule, deren Plakate für den Berliner Zoo nicht mit Mengen von „Gustaf!“ oder „Björn!“ verziert sind. Vor der Halle, viele Stunden vor der Aufzeichnung, stehen Mitglieder des Fanclubs, die an diesem Abend im Publikum sitzen dürfen, Schlange – die meisten von ihnen paarweise, sodass eine (wir sehen hier fast ausschließlich Mädchen) stets den Platz derer freihalten kann, die auf jedes einfahrende Auto einstürmt, in der Hoffnung, die vielen mitgebrachten CDs von ihren Idolen signieren lassen zu können. Doch die Idole sind Vollprofis und seit früh am Morgen in der Halle.

Das Setting auf der Bühne führt den Zuschauer durch den Werdegang der Band. Ganz links steht die Kulisse eines Proberaums, gefolgt von der eines Band On The Run symbolisierenden Hotelzimmers, inklusive abgetrennter Toilette, dann das prunkvolle Wohnzimmer des saturierten Superstars. Der letzte Raum stellt einen Dachboden dar, in diesem sehen sich Mando Diao in fernen Jahrzehnten ihren Enkeln schwärmerische Geschichtsstunden in Sachen Rock erteilen. Alle Zimmer stecken voller Andenken: Da steht die zerfetzte schwarze E-Gitarre, die Sänger und Gitarrist Gustaf Norén 2005 zum Abschluss des Auftritts seiner Band bei Rock am Ring zertrümmerte. Da hängt das einem Smiley ähnelnde historische Wappen der Heimatstadt der Band, Borlänge. In einer Garderobe im Dachboden sind Lederjacken der Gruppe aus der Sturm-und-Drang-Phase ihres Debüts BRING ‚EM IN aufgereiht.

Zur Generalprobe erscheinen die Schweden in der Volkstracht ihrer Heimatgemeinde. „Das war so unglaublich heiß in diesen Klamotten“, erzählt der andere Sänger und Gitarrist der Band, Björn Dixgård, einen Monat später beim Interview, „ich habe so gestunken, als ich sie danach ausgezogen habe.“ „Ja, vor allem an deinen Eiern“, fügt Bassist CJ Fogelklou hämisch kichernd hinzu. Von Unsauberkeit und Unvollkommenheit ist allerdings weder bei der Generalprobe noch bei der Aufzeichnung der Show etwas zu spüren. Mando Diao spielen beide jeweils in einem Take, ohne Wiederholungen, ohne Fehlstarts. Das Set beginnt mit einer ziemlich originalgetreuen Version des 2006er-Hits „Long Before Rock’n’Roll“, doch bereits Song Nummer zwei lässt erahnen, wie viel Arbeit Mando Diao in den vergangenen Wochen in Arrangements investiert haben. „Sheepdog“ ist jetzt Kuschelrock, das prägnante Gitarrenriff gegen ein tiefes Pianomotiv eingetauscht. Auch „Dance With Somebody“, zu dem erlesene Fanclub-Mitglieder im Dachboden und eine Drag-Queen im Hotelzimmer tanzen dürfen, entwickelt sich erst langsam von Ballade zum bekannten Discorocker. „You Can’t Steal My Love“ wurde zur Solonummer am Klavier für Gustaf. Etwas gefühlsduselig widmet er den Song seiner Frau und Sohn Josef: „Bevor ihr in mein Leben gekommen seid, … Gott, ich kann mich gar nicht mehr daran erinner, was davor war“.

Doch es sind nicht die verwandelten Hits, die für den größten Applaus sorgen – klar, im Publikum sitzen nur Hardcorefans. Und Hardcorefans wollen rar gespielte B-Seiten, neue Songs. Bekommen sie auch alles. „How We Walk“, B-Seite von „Sheepdog“ und Gustafs Lieblingssong aus der Feder Björns, gefällt, aber erst der Nachfolger lässt die Fans Tweets posten: „No More Tears“ ist die überarbeitete Version eines Bootlegs, der es unter dem Namen „I Want Your Love“ aus für die Band unerklärlichen Gründen auf YouTube und dort zu vielen Tausenden Aufrufen geschafft hat. Mit „Losing My Mind“ wird ein völlig neuer, wenn auch etwas gewöhnlicher Song vorgestellt.

Nicht nur Fanverwöhnung gehört zum Standard bei Unplugged-Sessions, seit geraumer Zeit ist es Sitte und Brauch, Gäste mitzubringen, wenn man von MTV eingeladen wird. Ex-Kink Ray Davies führt die Gästeliste von Mando Diao an. Eine Ehre? Ray Davies kümmert sich nicht um Ehren. Bei der Generalprobe fehlt der 66-Jährige, er ist noch nicht mal in Deutschland. Zur Aufzeichnung des Duetts (der Kinks-Klassiker „Victoria“, dazu Björn: „Ursprünglich wollten wir ‚Waterloo Sunset‘ nehmen, aber das wäre zu klischeehaft gewesen. Will ich etwa in 30 Jahren von einer jungen Band darum gebeten werden, mit ihnen ‚Dance With Somebody‘ zu spielen?“) erscheint er zwar rechtzeitig, singt aber teilnahmslos und verlässt eilig wieder die Bühne. Wartet draußen etwa noch das Taxi zurück zum Flughafen? War Davies zum Abendessen wieder zuhause? „Ich traf mich mit ihm im Vorfeld der Show in Kopenhagen“, erzählt Björn später, „er gab mir zu verstehen, dass er an allem, was nach Zeitverschwendung klingt, äußerst wenig interessiert sei. Er möchte keine Minute unserer Zeit verplempern – und ganz bestimmt keine einzige Sekunde seiner. Ray Davies ist ein alter Mann, der seit Urzeiten in diesem Geschäft ist. Ich kann gut nachvollziehen, dass er müde ist, dass er nicht mehr auf alles Bock hat.“

Einem Gerücht zufolge musste ein Mitarbeiter eurer Plattenfirma am Tag der Aufzeichnung zu ihm nach Hause kommen und ihn zur Teilnahme überreden.

Carl-Johan „CJ“ Fogelklou: Ja, Herr Davies bekam Besuch an dem Tag. Dieser Besuch machte ihm klar, dass man Vereinbarungen einhalten muss und dass er so kurzfristig nicht absagen könne.

Könnte es sein, dass Davies von Gustafs altem Zitat gehört hat, wonach euer erstes Album besser sei als alles, was The Kinks, The Who und The Small Faces je aufgenommen haben?

Björn: Glaube ich nicht. Wobei ich schon sagen würde, dass wir bessere Alben als die Kinks aufgenommen haben. Unsere Songs möchte ich nicht vergleichen, aber unsere Alben sind rundere Werke als die der Kinks.

Ein weiterer Spezialgast war Juliette Lewis, eine überzeugte Scientologin …

Björn: Wirklich? Das wusste ich nicht. So was ist uns aber auch egal. Solange Menschen nett zu uns sind, kümmert uns nicht, woran sie glauben oder wofür sie stehen.

CJ: Unser Keyboarder Mats ist Mitglied bei al-Qaida und wir kommen super miteinander aus.

Björn: Juliette Lewis hat einfach ideal zu dem Song gepasst, den Gustaf mit ihr singen wollte: „High Heels“ aus GIVE ME FIRE!. Die Platte war ja sehr von Tarantino-Filmen beeinflusst und Juliette hatte die Hauptrolle in „Natural Born Killers“, dessen Handlung ja zumindest auf einem Drehbuch Tarantinos basiert.

Mit Klaus Voormann heißt die Band während des Konzerts sowohl ein altes Idol als auch einen alten Weggefährten willkommen. Der REVOLVER-Designer hat für CJ bereits einen Bass bemalt und war für das Coverbild der Single „Gloria“ verantwortlich. Während der Unplugged-Show soll er sich im Hintergrund des Bühnenbilds aufhalten und die Inspirationen, die von dort auf ihn einwirken, in ein Kunstwerk verwandeln. Am Ende präsentiert er realitätsnahe Zeichnungen von diversen Szenen der Session. Mando Diao wollen sie in künftiges Artwork einarbeiten.

Euer wichtigster Gast dürfte Daniel Haglund, der 2003 von der Band gefeuerte Mitgründer Mando Diaos, gewesen sein, der euch bei vielen Stücken am Klavier unterstützt hat.

Björn: Nach jahrelanger Funkstille haben wir uns vor drei vier Jahren wieder getroffen und seitdem wieder eine gute Beziehung zueinander.

CJ: Er ist ein fantastischer Musiker. Tagsüber ist er Musik- und Deutschlehrer, abends geht’s an die Instrumente.

Björn: Ich gehe davon aus, dass wir zukünftig wieder mehr zusammen machen werden, vielleicht sogar Aufnahmen.

War es für seinen Nachfolger Mats komisch, mit ihm auf einer Bühne zu stehen?

CJ: Überhaupt nicht, die beiden kennen sich seit Ewigkeiten, waren sogar auf derselben Schule.

Und wie ist es für euch, heute auf einer Bühne zu stehen? Habt ihr nach dem Wahnsinn seit GIVE ME FIRE! nicht langsam genug?

Björn: So groß war der Wahnsinn für uns gar nicht. In Schweden war „Dance With Somebody“ nicht so ein Hit wie in Deutschland, ich habe ihn noch nie im Radio gehört. In Schweden werden wir ziemlich in Ruhe gelassen, da konnten wir uns immer wieder erholen.

Die Unplugged-Show erscheint als Livealbum above and beyond. Wie würdet ihr auf das Angebot einer Tour zum Album reagieren?

Björn: Die Songs in neuen Arrangements zu spielen ist sehr reizvoll. Wenn die Platte aber floppt, werden wir gar nicht erst in Versuchung kommen. Dann machen wir was anderes. Eine Pause wird es nicht geben. Das Album beendet kein Kapitel. Uns geht es nie um den Abschluss, uns geht es um den ständigen Anfang.

Albumkritik S. 100

www.mandodiao.com