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MTV Deutschland taucht ab ins Pay-TV. Angesichts der Dominanz von YouTube und Co. hatte man den Tod auf Raten kommen sehen. Aber es fühlt sich an wie bei der Oma, die langsam stirbt und deren Ende einen trotzdem traurig macht, wenn es dann endgültig so weit ist.
Was waren das für wunderbare Zeiten, vor zehn Jahren, als es meine Aufgabe war, „MTV Germany“ zu einem deutschen Sender zu machen. Im Rückblick kommt es mir vor wie ein berufliches Schlaraffenland. Wir durften natürlich nicht machen, was wir wollten – haben es aber trotzdem getan. Haben mit Christoph Schlingensief die Sendung „U 3000“ in einem Berliner U-Bahn-Waggon gedreht, haben mit Christian Ulmen seine ersten TV-Shows wie „MTV Alarm“ realisiert. Benjamin von Stuckrad-Barre hat in irgendeinem Keller irgendwas vorgelesen und das ergab dann eine halbe Stunde Programm. Wir haben übers Wochenende „MTV Pogo“ erfunden, gedreht und geschnitten, im Keller der Berliner Kunst-Werke. Wir haben Markus Kavka an den Start gebracht. Und nicht zuletzt haben wir die Londoner Zentrale nach harten Kämpfen überzeugt, dass „MTV Unplugged“ mit deutschen Künstlern eine große Sache ist und entsprechende Sessions mit den Ärzten und den Fantastischen Vier produziert. Es war schlicht und einfach großartig, ich kann es nicht anders sagen, dass wir bei allem, was mit neuer und etablierter Popmusik in Deutschland zu tun hatte, als Musikfernsehen so einflussreich waren. Das Internet spielte noch überhaupt keine Rolle. Es war eine Zeit, in der die Labels einfach nicht an MTV vorbeikamen.
Wir haben uns schnell die Freiheit genommen, eine Haltung zu entwickeln und die auch durchzuhalten. Ich erinnere mich an stundenlange Diskussionen, ob das neue Video von Rammstein mit den Leni-Riefenstahl-Sequenzen nur eine clevere Provokation war oder ein gefährliches, verantwortungsloses Spiel mit der Nazi-Symbolik, ob wir die Böhsen Onkelz ohne Kommentar aus dem Programm verbannen oder nicht, wie wir mit Issues wie Terror, Fremdenhass und Umweltverschmutzung umgehen und ganz generell auf die Politikmüdigkeit der Jugend reagieren. Sollten wir etwa Gerhard Schröder zu uns ins Studio einladen, nur weil Viva das tat? Was wir nicht diskutiert, sondern sofort umgesetzt haben, weil wir uns in diesem Punkt von Anfang an einig waren: Modern Talking rauszuschmeißen. Dafür habe ich übrigens den meisten Ärger kassiert.
Zwölf Jahre ist es her, seit bei „MTV Deutschland“ das erste deutsche Wort gesendet wurde. Brent Hansen, meinem Chef in London, wollte einfach nicht einleuchten, warum MTV denn unbedingt deutschsprachig sein müsse. Er war der Ansicht, dass jedes Eingehen auf die lokale Musik und die lokalen Interessen die Marke verwässere. Entsprechend viele Diskussionen führten wir in seinem von Cannabis-Schwaden durchwaberten Büro, denn der Mann war ein bekennender Kiffer. Sprach alle immer nur mit „Dude“ an, mich eingeschlossen. Die Pflanzen ragten meterhoch in den Raum und verbreiteten diesen süßlichen Duft … heute frage ich mich, ob das nicht alles Taktik war, um mich in eine sanfte Stimmung zu bringen und sich so Verhandlungsvorteile zu verschaffen.
Nur wo Musikfernsehen draufsteht, ist auch Musik drin – aber was blieb von MTV, wenn die Musik nur noch beliebiges Füllmittel zwischen beliebigen Teenage-Kuppelshows und -Soaps darstellt? In Amerika hat man nicht nur den Wandel zum Bezahlsender vollzogen, man hat auch die Unterzeile „Music Television“ aus dem Logo getilgt.
Der Sendestart von MTV in den USA scheint eine kleine Ewigkeit her. Wie hieß es früher so schön: Trau keinem über 30! Und: „I want my MTV“, MTV war eine Haltung, ein Versprechen, ein popkultureller Marshall-Plan. Es begann mit „Video Killed The Radio Star“ von den Buggles. Darauf folgten mehr als 20 Jahre Wahnsinn, Aufstieg und Fall. Doch die Zeit der Videostars und damit auch die von MTV ist nun offiziell vorbei. Gute Musik wird es immer geben, gute Musikvideos auch. Und jeder kann sie jederzeit hören und sehen. Kein Grund also, den alten Zeiten nachzuweinen. Der ständige Blick in den Rückspiegel ist nicht nur beim Autofahren wenig hilfreich, das wusste schon Pop-Philosoph Marshall McLuhan. Längst hat etwas Neues begonnen, von dem noch keiner weiß, wohin es führen wird. Und das ist auch gut so! Nichts wäre fataler als Pop, der sich berechnen ließe. Lassen wir uns überraschen. Bisher hat Pop immer eine Antwort gefunden. Wie heißt es bei Roger Hodgson von Supertramp: „Say goodbye to the old days, say hello to the new ways. If you want to linger, please remember what was told you about the way it’s going to be … you’ll see.“